Lebendige Lyrik

Literatur & Gesellschaft

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An diesem Wochenende war es wieder so weit: «Literatur kompakt» ging in eine neue Runde. Dieses Jahr stand das kleine, aber feine Festival im Burgbachkeller unter dem Motto Lyrik.

  • Adrian Hürlimann moderiert die Beiträge der Lyriker auf der Bühne des Burgbachkellers. (Bild Jakob Ineichen)
    Adrian Hürlimann moderiert die Beiträge der Lyriker auf der Bühne des Burgbachkellers. (Bild Jakob Ineichen)

Zug – Am Freitag und Samstag versammelten sich rund ein Dutzend Autoren aus dem deutschen Sprachraum – alles Lyriker – im Burgbachkeller. Viele kamen aus Deutschland oder Österreich, und bei manchen hatte man deren Namen bisher nicht oder kaum gehört.

Das verwundert unter Umständen wenig, denn das Motto des Festivals stand unter dem bisweilen etwas verschupften Genre Lyrik, die nach den Bestsellerlisten am wenigsten erfolgreiche Literaturgattung. Was eigentlich erstaunt (zumindest nach dem Besuch des Literaturfestivals), denn Lyrik ist viel mehr als einfach nur «ein Gedicht». Weder die Reimform ist Voraussetzung für Lyrik, noch gibt es sonst grössere Formvorgaben, vielleicht lediglich, dass beim (lauten) Rezitieren durch die Worte bestimmte Rhythmen entstehen. Eine ideale Gattung der Literatur also für das Konzept Lesung.

Stadtpräsident Dolfi Müller hielt die Eröffnungsrede

Manche verbinden Lyrik zwangsläufig mit Schule, auch der Zuger Stadtpräsident Dolfi Müller. Er hielt eine stimmige Eröffnungs­rede und gab unumwunden zu, dass ihm beim Stichwort Lyrik sofort der «Erlkönig» als damit verknüpftes Ereignis in den Sinn komme. (Wie traumatisch dieses für ihn war, konnte man aufgrund seiner Rede nur erahnen.) Dennoch habe er immer wieder für sich einen Zugang zu diesem Subgenre der Literatur gefunden, und – so der Stadtpräsident weiter in der Eröffnungsrede – er kaufe sich dann und wann auch einen Gedichtband. Manchmal lese er diese auch. Lyrik also. Ein gewagtes Experiment, und viele liessen sich darauf ein. Am Eröffnungsfreitag war der Burgbachkeller gut besetzt, überwiegend weiblich – wie bei sehr vielen Literaturveranstaltungen –, aber äusserst hete­rogen von der Altersstruktur her.

Lyrik ist also nicht per se einfach unpopulär, aber «sie ist weniger leicht zu präsentieren und zu konsumieren als Erzählungen und Romane», erklärt Thomas Heimgartner, Präsident der literarischen Gesellschaft Zug. «Wir fanden aber, dass gerade ein Festival wie ‹Literatur kompakt› die Möglichkeit bietet, das Publikum für Lyrik zu gewinnen – weil es so in kurzer Zeit einen Überblick zu aktuellem dichterischem Schaffen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gewinnen kann.»

Gelesen wurde dieses Jahr in Gruppen, daher war es am Freitag und Samstag einfach, sich effektiv besagten Überblick zu verschaffen. «Wir strebten bei der Programmierung Qualität und Vielfalt an. Ausserdem sollten die Autorinnen und Autoren innerhalb eines Länderblocks miteinander harmonieren. Und mit dem Abschluss der Veranstaltung wollten wir den Bogen von der Lesung zur Performance und zum Spoken Word schlagen.» Dies ist den Veranstaltern mit dem Event am Wochenende auf jeden Fall gelungen.

Der Verein ist seit 107 Jahren aktiv

Auch wenn man das aktuelle Schaffen von Lyrikern nicht aktiv verfolgt, ein Name ist auch ausserhalb der Gattung Lyrik bekannt: Nora Gomringer. Die Autorin gewann vor zwei Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Oscar für die Schriftsteller. Sie selbst bezeichnet sich als «Schweizerin und Deutsche» auf ihrer Webseite, ist auch in allen sozialen Netzwerken aktiv und widerlegt damit das Klischee «Lyrik = staubig». «Mit Nora Gomringer konnten wir eine Autorin gewinnen, die sich sowohl in traditionellen wie in neuen literarischen Formen zu Hause fühlt – und die sehr publikumswirksam ist», bestätigt Thomas Heimgartner. Dennoch, aktuell drückt ein Begriff wie Literatur immer auch etwas Elitäres aus. Dem widerspricht der Präsident der literarischen Gesellschaft: «Wir sind ein Verein, der öffentli­che Veranstaltungen organisiert – seit 107 Jahren. Mitglied bei uns können alle literaturinteressierten Menschen werden. Wir sehen uns also überhaupt nicht als elitären Club.»

Mit Lyrik werden im Idealfall beim Rezipienten Bilder im Kopf erzeugt, Bilder, die individuell und einzigartig sind und nicht hinterfragt werden müssen. Ganz ähnlich, wie das bei der Musik geschehen kann: Entsprechend sorgfältig war denn auch das musikalische Begleitprogramm ausgewählt. Es handelte sich um «Musikalische Interventionen» von Hildegard Kleeb und Roland Dahinden. Die beiden spannten mit Piano und Posaune einen spannenden, teilweise angenehm verstörenden Bogen zwischen Lyriker, Hörer und Lokalität. Auch hier wagte man von Seiten der Literarischen Gesellschaft Zug etwas, das Publikum wurde gefordert und aus der passiven Rolle des Konsumenten gerissen, wenn es sich akustisch auf die Kompositionen einliess. Denn auch bei den «Interventionen» galt es, sie nicht kaputtinterpretieren zu wollen, sondern das Gehörte auf sich einwirken zu lassen. (Haymo Empl)