Der Herzschlag Lateinamerikas auf vier Dutzend Saiten

Musik

,

Die bekannte Schweizer Harfenistin Daniela Lorenz versetzte die Rathus-Schüür in einen wahren Taumel mit Seelenfutter aus den Anden.

  • Lateinamerikanische Klänge in Baar: Harfenistin Daniela Lorenz mit Juan A. Aguilera (links) und Javier O. Miers. (Bild Christof Borner-Keller)
    Lateinamerikanische Klänge in Baar: Harfenistin Daniela Lorenz mit Juan A. Aguilera (links) und Javier O. Miers. (Bild Christof Borner-Keller)

Baar – Wie liesse sich die Volksmusik Lateinamerikas verallgemeinernd charakterisieren? Sagen wir mal ganz mutig: Sie ist verhältnismässig einfach in ihrem harmonischen Aufbau, die Melodien kommen zumeist ohne komplizierte Konstrukte aus. Und genau dies dürfte die Faszination ausmachen, welche die Musik auf die Menschen ausübt, denn diese Einfachheit schafft Raum für ungeheuer viel Leidenschaft und Ausdruck. Meist sind es die Geschichten und die Gefühle, welche die Melodien bergen und welche direkt mitten ins Herz dringen. Was das bei den Menschen auslöst, zeigte sich eindrücklich am Mittwochabend in der voll besetzten Rathus-Schüür in Baar. Die international bekannte Schweizer Harfenistin Daniela Lorenz brachte mit den beiden paraguayischen Gitarristen und Sängern Juan A. Aguilera und Javier O. Miers die Sonne Lateinamerikas nach Baar auf technisch höchstem Niveau.

Die auf südamerikanische Volksmusik spezialisierte Profimusikerin ist mit ihrer Harfe sowohl als Solokünstlerin als auch mit wechselnden Instrumental- und Vokalformationen unterwegs, hat mehrere Tonträger herausgegeben und vertieft sich in den Spieltechniken der südamerikanischen Harfe. Das klassische paraguayische Modell sei am besten entwickelt, erläuterte die Musikerin im Rahmen einer kurzen Instrumentenkunde. Und auf einem so edlen, gerade mal acht Kilo leichten Möbel spielte sie an diesem Abend. Nachdem die barocke Harfe im 17. und 18 Jahrhundert aus Europa nach Südamerika gebracht worden war, seien dort zahlreiche Abwandlungen davon entstanden. Alte Dokumente belegten, dass die paraguayische Harfe in dieser Form einst auch in Europa in Gebrauch war. Sie steht auf zwei Stativbeinen und wird stehend gespielt.

Das Lied vom toten Jungen ...

Das Programm setzte sich zusammen aus populären Volksliedern, sanften Mazurken, traditionellen Polkas, gefühlvollen Walzern und Guaraní-Liedern, welche zuweilen an die sentimentalen Züge des Fado erinnern. Die Harfenistin erläuterte stets die Hintergründe zum jeweiligen Stück. Von Sehnsucht, Liebesschmerz und Schicksalen handeln oft die von erschütternder Tragik geprägten Erzählungen hinter der Musik. Wie «El Pájaro Chogüí», das wehmütige Lied über einen Guaraní-Jungen, der bei einem Sturz vom Baum ums Leben kommt, sich in den Armen seiner weinenden Mutter in einen zauberhaften Vogel verwandelt und sich singend in den Weiten des paraguayischen Himmels verliert. Oder «Cerro Cora», eine hinreissende Canción um die für Paraguay furchtbar schicksalhafte Schlacht am Ende des Tripel-Allianz-Krieges, welcher als die blutigste Auseinandersetzung des südamerikanischen Kontinents in die Geschichte eingegangen ist. Verstörend fröhlich hingegen klingt die morbide Ode eines Mannes, der seine Geliebte darum bittet, sein Grab mit Blumen zu schmücken, wenn er dereinst von dieser Welt gegangen ist. Die hellen und klaren Stimmen der beiden singenden Gitarristen erzeugten dabei Gänsehaut voller Hingabe lebten sie die Musik ihrer Heimat sprichwörtlich.

Für viele Zuschauer neu dürfte an diesem Abend die Interpretation eines der berühmtesten Lieder Südamerikas gewesen sein. Denn wenige mögen Kenntnis davon gehabt haben, dass «El cóndor pasa», das in unseren Breitengraden besonders durch die Adaption von Simon & Garfunkel berühmt geworden ist, ursprünglich Teil einer Zarzuela von Daniel Robles war und aus einem langsamen Yaraví und einem lebendigen argentinischen Huayno besteht. Daniela Lorenz und ihre beiden Mitmusiker interpretierten das Lied in seiner Originalform.

... und vom Glockenvogel

Liess sich das Publikum bei treibenden Rhythmen einerseits zum Mitwippen und gar Mitklatschen hinreissen, zeigte es sich andererseits sichtlich ergriffen und gebannt von der wohlklingenden Melancholie, die den insgesamt knapp 50 Saiten der drei Musiker entsprang. Jedes einzelne Stück wurde mit einem begeisterten Raunen und lautstarkem Applaus quittiert. Mit «Pájaro Campana» dem Glockenvogel – und einer Hymne an den Morgenstern verausgabten sich die Virtuosen zum Finale noch einmal so richtig. Dass das Publikum das eingespielte Trio nicht ohne Zugaben abtreten liess, entbehrt jeglicher Erwähnung.

An diesem Abend erhellte die Andensonne zwei Stunden lang die RathusSchüür, ganz im Sinne des gemächlichen peruanischen Walzers «Alma, corazón y vida, y nada más» Seele, Herz und Leben, mehr brauchts nicht. (Andreas Faessler)

 

Hinweis
Näheres zu Daniela Lorenz unter www.daniela-lorenz.ch