Näher zusammen, als man zuerst denkt...

Musik

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Drei Werke russischer Komponisten bildeten das Programm: Fünf Mitwirkende des Ensembles Chamäleon überzeugten durch stimmungsvolle und angemessen werkbezogene Interpretationen.

Zug – Russland war nie eine Demokratie im westeuropäischen Sinn; dies prägte auch das kulturelle Leben. Die drei ausgewählten Komponisten Anton Arensky (1861–1906), Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) und Gija Kantscheli (geb. 1935) repräsentierten mit ihren Lebensdaten das späte Zarentum, die stalinistische Epoche und den Zerfall der Sowjetunion. Die rückblickend manchmal idealisierte Zarenherrschaft war eine despotische Diktatur, welche aber auf die entstehende Musikkultur kaum direkten Einfluss nahm. Somit konnten sich die russischen Komponisten des 19. Jahrhunderts gefahrlos mit den westeuropäischen Kunstströmungen der Romantik auseinandersetzen und diese teilweise auch übernehmen.

Als Abkömmling einer schwerreichen Familie liess sich Anton Arensky gerade bei seinem Klaviertrio d-Moll, Opus 32, ohne Rücksicht auf das Umfeld ausschliesslich von seiner Inspiration leiten. Dank der klaren Gliederung gelang beim Publikum ein sicherer Nachvollzug über die rund 40 Minuten effektive Spieldauer. In Kernbesetzung des Ensembles Chamäleon (Tobias Steymans, Violine, Luzius Gartmann, Violoncello, und Madeleine Nussbaumer, Klavier) erlebte man eine in gleicher Weise angemessen stilgerechte und technisch versierte Interpretation.

Zurück zur Romantik

Das Werk war dem verstorbenen Cello-Interpreten und Komponisten Karl Davidoff (1838–1889) gewidmet, was auch in der sorgfältigen Gestaltung des Celloparts seinen Niederschlag fand. Schon in den beiden ersten Sätzen eröffnete das tiefe Streichinstrument jeweilen das Seitenthema, und es führte dann vor allem im dritten Satz, welcher am meisten Trauerstimmung enthielt. Hier fand die Wiedergabe zum ersten Mal grössere Ruhepunkte im Piano, während die andern drei Sätze vor allem durch die Tempowahl und die Tonhöhe (Eingang 2. Satz!) differenziert wurden. Fast wie eine Zugabe wirkten die weniger als fünf Minuten Spieldauer «Statt eines Tangos» von Gija Kantscheli, wo der Komponist nach früheren atonalen Experimenten sich wieder mehr an der Romantik orientierte und dabei dem Titel gemäss südamerikanische Elemente einfliessen liess.

«Kunst ist das Flüstern der Geschichte...»

«Zwei Welten», wie das Konzert im Untertitel genannt wurde, bezog sich auf die Tatsache, dass die Stalin-Diktatur ­direkten Einfluss auf das Kunstschaffen ausübte. Westeuropäische Experimente, vor allem in Richtung Atonalität, waren verpönt; erwartet wurde ein «sozialistischer Realismus» mit klar durchhörbaren möglichst einfachen Strukturen. Solche Elemente kommen bei dem in seiner Beziehung zum Regime schwankenden Dmitri Schostakowitsch vor; er hat das Geheimnis ins Grab mitgenommen, wann dies aus musikalischer Überzeugung und wann aus Angst vor Repressalien geschah. Vielleicht gilt gerade für ihn das Wort aus seinem poetischen Nachruf: «Kunst ist das Flüstern der Geschichte, das durch den Lärm der Zeit zu hören ist!» – zitiert von Peter Hoppe in den Eingangsworten zum Konzert.

Das aufgeführte Klavierquintett Opus 57 entstand in den wenigen Monaten des Bündnisses zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion, bevor diese im Juni 1941 von ihrem Bündnispartner überfallen wurde. Es enthielt lediglich Andeutungen Richtung Atonalität. Mit der nachromantischen Stimmung erschien es dem Werk von Arensky zuweilen recht nahe. Im Gegensatz zu den meisten Romantikern verstand aber Schostakowitsch die vier Streicher über weite Strecken als Streichquartett. Ihm gegenüber hatte das Klavier oft nur Begleitfunktion – mehrfach unterbrochen von längeren Pausen.

Zur Kernbesetzung traten noch Naya Korshakova, Violine, und Natalie Mosca, Viola, beide übrigens in Russland geboren, aber seit längerer Zeit in der Schweiz wohnhaft. Die nochmals beispielgebende Interpretation fand bei nie nachlassender Aufmerksamkeit erneut den Weg in ein Publikum, das sich beim prächtigen Frühlingswetter allerdings etwas spärlicher als gewohnt einfand. (Jürg Röthlisberger)