Die Dunkelheit liegt hinter ihr

Literatur & Gesellschaft

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Margarita Rust Stirnimann (75) breitet ihr Innenleben in einem Buch aus. Nach aufwühlenden Jahren hat sie zu sich und zur Ruhe gefunden. Was andere über sie denken, ist ihr einerlei – selbst wenn man sie für eine Spinnerin hält.

  • Maragrita Rust hat gelernt, sich vor Unangenehmem zu schützen. (Bild: Stefan Kaiser)
    Maragrita Rust hat gelernt, sich vor Unangenehmem zu schützen. (Bild: Stefan Kaiser)

Walchwil – «Ob es dieses Buch braucht?», fragt Margarita Rust Stirnimann und sagt gelassen: «Das ist mir egal. Ich habe es einfach gemacht.» Die 75-jährige Walchwilerin hat unter ihrem Künstlernamen «Maru» das Buch «Balance der Gefühle» aufgelegt. Der Titel deutet auf einen Schmachtfetzen hin. Aber es handelt sich nicht um Seichtes. Es handelt sich um ein Nach-aussen-Kehren des Innersten von Rust in Form von mehreren Dutzend Gedichten, illustriert durch stimmige Fotos und Bilder.

Die Mehrzahl der Texte stammt aus den Jahren 1983 bis 1986, einer schweren Zeit in ihrem Leben. Nach dem Auslöser für die dunklen Zeilen gefragt, wird Rust das einzige Mal in einem langen Gespräch kleinlaut. «Drei markante Erlebnisse» waren der Zeit des Schreibens vorausgegangen, «aber das habe ich hinter mir gelassen und will nicht mehr darüber sprechen.» Damals seien die Vorkommnisse gar «unaussprechlich» gewesen, das Schreiben habe ihr geholfen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Viele der Gedichte aus dieser Phase zeugen von einer gewissen Gefangenschaft in sich, einer Machtlosigkeit:

«Der Sturm dir entgegenkommt Du stehst unvorbereitet da

hast ihn nicht gewollt

Es brodelt, tobt um dich herum

vor Schrecken bleibst du stumm

Niemand erkennt deine Qual

allein stehst du

im Orkan.»

Margarita Rust war damals in ihren Anfangsvierzigern, zum ersten Mal verheiratet und Mutter eines Sohns. Trotz erwähnter Erlebnisse sei sie «nur geknickt» gewesen, «nie gebrochen», sagt sie. Sie war im Gegenteil bereit, aufzubrechen. 1987 wurde sie durch Zufall auf eine Ausbildung zur Atempädagogin aufmerksam und war sofort begeistert davon: Das war ihr Fanal. «Von diesem Moment weg konnte ich wieder nach vorn schauen», sagt Rust.

Sie kriegte auch im übertragenen Sinn wieder Luft und Lust: Sie wendete sich wie früher schon vermehrt der Natur zu, begann sich für klassische Musik zu interessieren. Und nachdem sie ihr Diplom in der Tasche hatte, eröffnete sie in Walchwil eine eigene Praxis für Atemunterricht. Darüber hinaus lernte sie wieder zu lieben. Mit ihrem zweiten Mann lebte sie bis zu dessen Tod eine erfüllende und respektvolle Beziehung, wie aus ihren Ausführungen hervorgeht. In den späteren Gedichten im Buch lernt man so eine andere Person kennen, eine gefestigte und selbstbewusste.

«Ich habe gelernt auszubrechen

mich nicht mehr

zur Befriedigung

eines anderen Ichs

einsperren zu lassen.

Ich habe gelernt, die Zäune,

die mich in eine Norm pressen wollten, zu durchbrechen.

Ich habe gelernt, dass die Zäune da sind, Grenzen zu setzen,

nicht zu unterdrücken,

zu beherrschen –

sondern in Frieden zu leben.»

Rust hat zur Ruhe gefunden. Das bedeutete aber nicht, dass sie es ruhig angehen liess. Ihre eigenen Erfahrungen ermutigten sie, «Frauen in deren Unabhängigkeit zu fördern», sagt sie. Sie ging mit gutem Beispiel voraus, lernte als 22-Jährige das Skifahren und erwarb mit 34 Jahren den Führerschein für Segelschiffe. «Und kürzlich habe ich mir so einen grossen Honda CR-V gekauft», sagt sie mit einem Grinsen, «da haben wohl einige im Dorf gedacht: Jetzt spinnt sie vollends.»

In Verbundenheit mit dem Zufall

Rust fährt nicht nur ein grosses Auto. Sie hat auch ein grosses Haus mit grosszügigem Garten an grossartiger Lage in Walchwil. Die offenkundige finanzielle Sicherheit hat sie nicht sich allein zu verdanken. Wie vieles in Rusts Leben ist auch sie das Resultat von zufälligen Begegnungen mit Personen, die einen positiven Einfluss hatten. «Ich glaube an den Zufall», sagt sie und meint damit das Glück, das einem zufällt und einen weiterbringt.

So ist auch ihr Buch entstanden. Auf eine Annonce in unserer Zeitung hin sandte Rust zwei Gedichte zum Thema «Liebe» ein, die in einem Kinderbuch veröffentlicht wurden. Danach sei sie «mutig genug» gewesen, in Zusammenarbeit mit dem Schwyzer Herausgeber Carl Wiget ein Buch zu machen, das von ihren persönlichen Erfahrungen und deren Aufarbeitung handelt. Rust ist überzeugt, dass sie damit zum Nachdenken anregt. «Das ist mir verschiedentlich bestätigt worden», sagt sie stolz.

Ist Margarita Rust heute zufrieden? «Ja», sagt sie, ohne zu zögern. «Ich habe eine Menge aus meinem Leben gemacht – das reicht eigentlich für drei Leben.» Offen für weitere glückhafte Zufälle ist sie gleichwohl. (Raphael Biermayr)

Hinweis

Das Buch «Balance der Gefühle» ist in Zug zum Preis von 28 Franken bei Bücher Balmer erhältlich.