«Schon als Kind habe ich Figuren und Situationen erfunden»

Literatur & Gesellschaft

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Die Literarische Gesellschaft Zug lud die Autorin Michelle Steinbeck zu einer Lesung in die Galvanik ein. Die erste Veranstaltung von «Literat U30» lockte aber nicht nur junge Zuhörer an.

Zug – Auf dem Hof begegnet der jungen Frau ein freches Kind mit Rotznase, das blinkende Schuhe trägt. In ihrem Zimmer stellt sie fest, dass alles noch so ist, wie sie es damals zurückgelassen hat. Sie entdeckt die Schreibmaschine des Vaters, legt Papier ein und beginnt zu tippen. In der Küche lärmen weitere Kinder, und der Bruder lästert, worauf sie sich ins Bett legt. Dort steigen wüste Gedanken in ihr auf. Plötzlich spürt sie einen Druck auf der Brust, ausgelöst durch ein Bügeleisen. Sie packt es und schmeisst es zum Fenster hinaus. Als sie nachschaut, sieht sie, dass sie mit dem Eisen das Kind erschlagen hat.

So beginnt Michelle Steinbecks erster Roman «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch», wofür sie 2016 gleich für den Deutschen Buchpreis nominiert worden ist. Am Montagabend las sie in der Galvanik daraus vor.

Das Lebensgefühl der Jugend

Mucksmäuschenstill lauschten die rund 100 Zuhörer der Autorin, die von einem Mädchen erzählt, das auf der Suche nach dem Vater in überraschende Situationen gerät – und dabei viel über sich selbst erfährt. Die Geschichte beginnt spannend und wird zunehmend skurriler und mysteriöser. Nicht nur, weil die junge Frau das vermeintlich tote Kind in einen Koffer packt, um es zu entsorgen, sondern auch, weil es da eine Brücke wie einen Regenbogen gibt und Autos in die Luft steigen. Spielerisch vermischt Steinbeck in einer unbeschwert frischen Sprache Realität und Traum, wobei die 27-Jährige auch deftige Ausdrücke benützt, die der fantastischen Geschichte eine Prise Humor verleihen. Nach der vom Bassisten Raphael Scheiwiller sensibel untermalten Lesung führt Thomas Heimgartner, Präsident der Literarischen Gesellschaft Zug, ein Gespräch mit der Autorin. Ob es stimme, dass sie den ersten Satz x-mal überarbeitet habe. «Ja, das waren viele Stunden, jetzt ist er gut», gibt diese zu. Sie habe gleich mit dem ersten Kapitel begonnen, dort sei alles später Folgende angelegt.

Inspiriert zu dem Buch hätten sie ihr Traumtagebuch und ein russischer Surrealist. «Er beschreibt, wie er in der Wohnung auf eine tote alte Frau stösst. Die Geschichte hört aber für mich zu plötzlich auf, das hat mich genervt.» Darum habe sie das Thema weiterentwickelt. Zum Schreiben sei sie über das Lesen gekommen, erzählt die 1990 in Lenzburg geborene Michelle Steinbeck: «Schon als Kind habe ich Figu­- ren und Situationen erfunden.» Heimgartner fragte, wie es komme, dass sie so unkonventionell schreibe und ihre Figuren sogar brutal agieren lasse. «In der Schule wurde jede Kreativität unterdrückt», ereifert sich Michelle Steinbeck. Ihr Schreiben habe sich entwickelt, und sie finde nicht, dass das Mädchen in der Geschichte brutal reagiere. Beim Schreiben habe sie einfach gedacht: «Wie komme ich jetzt aus der Scheisse wieder raus?»

Das rege Interesse an der ersten «Literat U30»-Veranstaltung freute die Organisatoren. Die unter 30-Jährigen dürfen hier jeweils gratis zuhören. Luisa Viggiano (17) fand die Perspektive der Autorin interessant und sagte: «Ich werde wiederkommen.» (Monika Wegmann)