Das Klohäuschen «St. Dagobert»

Dies & Das

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Das turmartige Gebäude auf dem Friedhof St. Michael gibt überzeugend vor, Teil eines sakralen Gebäudeensembles aus dem Spätmittelalter zu sein. Beachtet man aber seine Geschichte und Funktion, erweist es sich als hübsche, kleine «Mogelpackung».

  • Gibt vor, alt zu sein: die «Dagobertkapelle» auf dem Friedhof St. Michael. (Bild Stefan Kaiser)
    Gibt vor, alt zu sein: die «Dagobertkapelle» auf dem Friedhof St. Michael. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Als stünde es seit Hunderten von Jahren hier, erhebt sich das im Volksmund «Dagobertkapelle» genannte Gebäude dominant über dem Friedhof St. Michael. Platziert an der Stelle, wo der Gottesacker sich entlang der Schwertstrasse gegen Süden hin ausweitet, erweckt es den Eindruck, zusammen mit dem etwas unterhalb gelegenen Beinhaus ein Gebäudeensemble zu bilden, das bauhistorisch eng zusammengehört.

In Tat und Wahrheit aber ist die «Dagobertkapelle» noch keine hundert Jahre alt und gibt lediglich vor, so wie das Beinhaus aus dem Spätmittelalter zu stammen. Es ist auch keine Kapelle und auch keinem heiligen Dagobert geweiht – obschon es einen solchen gibt, der aber in unserer Region wenig zu suchen hätte. Eine reine Mogelpackung also? Im Prinzip ja. Aber ungemein dekorativ und in ihrer historistischen Stilnachahmung wohlgelungen. Die Ursprünge der «Dagobertkapelle» liegen im Plan, den Friedhof St. Michael zu vergrössern. Das war Ende der 1910er-Jahre. Die Zuger «Hofarchitekten» Dagobert Keiser und Richard Bracher wurden beauftragt, Varianten für eine Erweiterung des Friedhofgeländes mit einer neuen Abdankungshalle zu erarbeiten. Die «platzsparende» Urnenbestattung war zur damaligen Zeit vor allem in katholischen Gebieten noch wenig populär. In wachsenden Städten wie Zug brauchte es demzufolge mehr Platz für die Toten.

Erweiterungen für den Zuger Stadtfriedhof kamen bergwärts in Frage oder nach Süden hin. Nach langem Diskutieren wurden sich die Zuger schliesslich einig, den Gottesacker nach Süden hin zu seiner heutigen L-Form zu erweitern – in kleinerem Rahmen als von den Architekten ursprünglich vorgeschlagen. Als Abdankungshalle war ein neubarocker Bau vorgesehen. Diesen lehnten die Zuger jedoch ab. Man entschied sich anstelle dieser Halle für ein schlichteres Friedhofsgebäude, welches als Abort für die Friedhofsbesucher und als Geräteraum dienen sollte.

Für die Ausführung dieses Nutzgebäudes zeichnete Dagobert Keiser verantwortlich, womit auch die umgangssprachliche Benennung «Dagobert­kapelle» selbsterklärend wird. Keiser entschied sich für die schlichte Formensprache der ländlichen Spätgotik, wodurch die «Dagobertkapelle» stilistisch an das Beinhaus anlehnt. Das Gebäude zeigt sich von Süden, Westen und Osten betrachtet als turmartig schlank. Den ­sakralen Eindruck einer Kapelle weckt insbesondere die Ostseite. Hier liegt der Zugang zur Toi­lettenanlage über eine grosszügige Vorhalle mit vier weiten gotischen Bogenöffnungen. Die Vorhalle liegt wegen des stufenförmig ansteigenden Geländes ebenerdig zum oberen Friedhofteil. Somit wirkt das Gebäude hier ohne das untere Geschoss entsprechend niedriger – so zu sehen auf unserem Bild.

Wie auch im Beinhaus ist die Vorhalle mit einer hölzernen Kassettendecke überspannt. Der schmucke Brunnen davor mit halbkreisförmigem Trog trägt die Jahreszahl 1920. Etwas Schlösschenhaftes liegt im steilen Krüppelwalmdach mit seinen beiden Firstdornen sowie in den mit Quadersteinen verstärkten Ecken des Sockel- respektive Untergeschosses. 2010 wurde die «Dagobertkapelle» aufgehübscht, indem man den Efeuwuchs an der Fassade entfernte, einen neuen Kalkputz auftrug und die Fensterläden erneuerte. Seitdem setzt das formschöne Gebäude wieder den gewollten Akzent auf dem Friedhof St. Michael und erweckt weiterhin den Eindruck, ein seit jeher zum spätgotischen Stadtbild gehörendes Relikt aus dem frühen 16. Jahrhundert zu sein.

Der Übername «Dagobertkapelle» trägt etwas Liebevolles in sich, wo man so diesen historistischen Pseudo-Kerchel seinem Erbauer «geweiht» hat. Das eigentliche, eher seltene Dagobert-Patrozinium indes findet man hauptsächlich im Raum Elsass und Lothringen. Dagobert (652–679) war ein Merowinger-König und wurde nach seinem Tod als Heiliger verehrt, weil er ein tugendhaftes, frommes Leben geführt haben soll. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut!» gehen wir Details mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach. Frühere Beiträge finden Sie online unter www.zugerzeitung.ch/hingeschaut.