Episoden mitten aus der Gesellschaft

Literatur & Gesellschaft

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In «Bourgeoiserien» erzählt Giorgio Avanti skurrile Geschichten des Alltags. Diese leben nicht zuletzt durch seinen eigensinnigen Schreibstil.

Zug – Die Literatur und die Filmindustrie neigen dazu, Episoden mitten aus dem Leben stets zu romantisieren, auszuschmücken oder sie zu einer komplexen Geschichte auszubauen, die irgendein bemerkenswertes Ende nimmt. Ob heile Welt oder totales Desaster am Schluss – eine Pointe folgt fast immer.

Ganz anders geht es Giorgio Avanti (*1946) an. Der in Walchwil lebende und arbeitende Maler, Jurist, Poet und Autor bringt in seinem neuen Buch «Bourgeoiserien» 31 Geschichten, Begebenheiten, fiktive und weniger fiktive Erlebnisse zu Blatte, die wie spontan aus Biografien irgendwelcher Menschen des mittleren und gehobeneren Bürgertums gegriffen sind.

Der einzige Anhaltspunkt respektive rote Faden innerhalb dieses Sammelsuriums an «Bürgerlichkeiten» ist die Figur namens Jakob, welche in den meisten Episoden eine (immer ganz unterschiedliche) Rolle spielt. Die Inhalte könnten unterschiedlicher nicht sein. Ob Peinlichkeiten einer wenig erfolgreichen Vernissage, der schicksalhafte Sexualtrieb eines Transvestiten, Gleichgültigkeiten in einer gescheiterten Ehe, Durchfall in Viet­nam, ein verfressener Köter oder die folgenreiche Begegnung mit einer Fahrenden – der Autor bildet Episoden ab, wie sie mir, dir, dem Nachbarn, dem Arbeitskollegen und jedem erdenklichen anderen widerfahren könnten. Ungeschönt, beobachtend, meist undramatisch, nüchtern, aber so unterhaltsam wie süffig zugleich und voller geistreicher Ironie. Immer wieder sickert durch: Auch die bessere Schicht – oder die, welche sich dafür hält – ist halt eben nicht immer ganz so fein, wie sie sich vordergründig gibt.

Charakteristische Sprache

Zu einem wesentlichen Teil ist es auch die Sprache des Autors, welche den Lesegenuss ausmacht: Häufig in einem temporeichen Telegrammstil wie aus dem Moment heraus abgefasst, verwendet Avanti zahlreich poetische Floskeln, baut Wortmalereien ein, abstrahiert und formuliert, sodass der Dichter in ihm ebenso Platz erhält wie der Prosaist. Er versteht es, unaufregende Nichtigkeiten des Lebens zu einer plastisch erzählten Story zu flechten – wie die schlussendlich ausgeht, ist in den meisten Fällen sekundär.

Menschliche Abgründe

Avanti lässt tief in die Seele vieler seiner Protagonisten blicken, gibt menschlichen Abgründen einen prominenten Platz. Und dabei liegt es auf der Hand, dass der Autor zahlreiche Bestandteile der Geschichten wahren Begebenheiten entlehnt, die er entweder selbst erlebt hat oder die ihm auf irgendeine Weise zugetragen worden sind. (Andreas Faessler)

 

Hinweis
«Bourgeoiserien» von Giorgio Avanti, Hardcover mit Umschlag, 124 Seiten, Bucher-Verlag, Fr.19.80.