Das Irritierende vermeintlich banaler Dinge

Kunst & Baukultur

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Mit «Geographie der Erinnerung» zeigt die Galerie Carla Renggli in Zug die neuen Arbeiten der Luzernerin Monika Feucht. Die Zeichnungen und Objekte zeugen vom Faible für das Kleine und Besondere.

Zug – Monika Feucht ist keine Inszenatorin grosser Narrative. Vielmehr seziert die Künstlerin mit schlichtem Inventar, bestehend aus Bleistift und Papier, auf diskrete Weise das zeichnerische Potenzial vermeintlich banaler Marginalien: zu einem Chignon zusammengebundene Haare, den Schattenwurf von Schnittblumen in einer Vase, die Iriden eines Augenpaars oder die verästelte Struktur einer Moospflanze.

Dem mikroskopischem Blick Feuchts unterzogen, wirken die präzise auf Papier ausformulierten Sujets für unsere auf Weitsicht getrimmten Augen befremdlich und irritierend. Zugleich wohnt den grau nuancierten Zeichnungen eine Sinnlichkeit inne, die im Potenzial des Bleistifts liegt, räumliche Wirkung zu entfalten und die Textur von Oberflächen zu imitieren.

Präzision und Sinnlichkeit sind nicht zuletzt die Prädikate, mit denen die Jury an der Jahresausstellung «Zentralschweizer Kunstschaffen 2016» das zeichnerische Werk Feuchts würdigte und mit dem «Preis der Zentralschweizer Kantone» prämierte.

Auseinandersetzung mit spontanen Entdeckungen

Dass sich Feucht jedoch nicht nur im Medium der Zeichnung zurechtfindet, bekunden installa­tive und plastische Arbeiten, die einem komplett anderen Gestus verpflichtet sind: In diesen überwiegt nicht das sorgfältige Erkunden eines nah herangeführten Gegenstandes, sondern die spielerische Auseinandersetzung mit spontanen Entdeckungen.

Ein Beispiel dafür ist die Wandinstallation «Paarungen» (2016), die derzeit in der Galerie Carla Renggli in Zug zu sehen ist. «Paarungen» ist ein humorvolles und abenteuerliches Sammelsurium von an der Wand befestigten Objekten, die – entsprechend dem Titel der Arbeit – der Thematik von Paaren gewidmet ist:

So etwa liest man auf der Innenseite des Deckels einer an die Wand geschraubten Holzschachtel das Verb «loslassen». Feucht hat die Lettern mit rotem Faden und in Schnürchenschrift auf eine semitransparente Folie gestickt. Der Faden formt sich anschliessend zu zwei gestickten Händen, die sich in keinem Punkt berühren. Vom Ende der beiden Daumen aus mündet das rote Garn in ein undefinierbares Fadenchaos auf dem Schachtelgrund. Dort wirft es die Frage auf, ob loslassen auch Auflösung bedeutet.

Immer neue Zeichnungen in der Luft

Demgegenüber nimmt die Installation «Zeichnen in der Luft» (2015/2016) das Medium der Zeichnung selbst ins Visier: Mit Gazestreifen bandagierte Äste fügen sich zu einer von der Decke hängenden Schwebeinstallation, die sich durch manuelles Anstossen um ihre eigene Achse dreht. Durch das Drehmoment der Installation entstehen kontinuierlich neue Zeichnungen in der Luft, die sich als ephemere Schatten in Form abstrakter Linienstrukturen auf dem Boden einschreiben.

Neben dieser Installation ist in der Galerie die Zeichnungsserie «Wo ich wirklich war» (2015/2016) zu sehen, die der Ausstellung zu ihrem Titel verholfen hat. Ausgangspunkt dieser Arbeiten sind Schwarz-Weiss-Kopien fotografischer Aufnahmen, die im Natur- und Erholungsraum Allmend entstanden sind. Ihrer abstrakten Bildlichkeit wegen erinnern die entstandenen Zeichnungen an fernsichtige Landschaften oder -karten eines schneebedeckten Gebirges.

Wir sind körperliche und geistige Wesen zugleich

Bei näherem Herantreten erkennt man indes, dass sich die dunkleren Partien der Zeichnungen aus dicht gesetzten Bleistiftstrichen zusammensetzen, die in ihrer zeichnerischen Qualität an ein Tierfell denken lassen. Indem Feucht ihre Zeichnungen mit dem Werktitel «Wo ich wirklich war» versieht, weist die Künstlerin auf unsere Gespaltenheit als zugleich körperliche und geistige Wesen hin. Ferner auf den Umstand, dass wir uns jeweils sowohl dort aufhalten, wo sich unser Körper befindet, als auch dort, wo uns unsere Gedanken und Wünsche hintragen. Denn die Geografie unserer Erinnerung lässt sich nicht als exakter Punkt auf einer Landkarte bestimmen, sondern liegt fernab davon in uns selbst. So lässt sich Feuchts Werkgruppe als Kartografie der eigenen Geistesexistenz lesen.

Zurückgreifend auf vertraute Gegenstände, die jedoch durch künstlerische Eingriffe verfremdet und abstrahiert werden, ­handelt Feuchts künstlerisches OEuvre vom Partikularen. Gerade dadurch aber – indem die Künstlerin nicht das Grosse zelebriert, sondern aus dem Kleinen schöpft – regt sie uns zum Nachdenken über Gegenstände an, die sich nur deshalb am Rande des Wahrnehmbaren befinden, weil sie uns so vertraut sind, dass sie letztlich ungesehen bleiben. (Tiziana Bonetti)

Hinweis
Monika Feucht: «Geographie der Erinnerung». Noch bis zum 8. April. Galerie Carla Renggli, Ober Altstadt 8, Zug. Di bis Fr 14.00 bis 18.30 Uhr, Sa 10.00 bis 16.00 Uhr.