Vereint im Spiel mit dem Licht

Kunst & Baukultur

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Christopher Lehmpfuhl und Reinhard Fluri – zwei Maler mit Vorliebe für ähnliche Sujets. Unterschiedlicher jedoch könnten ihre Maltechniken nicht sein. In der Galerie Urs Reichlin stellen derzeit beide ihre Werke aus. Da ist Spannung vorprogrammiert.

  • Reinhard Fluris Gemälde entstehen im Atelier. (Bild Stefan Kaiser)
    Reinhard Fluris Gemälde entstehen im Atelier. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Er sitzt auf einem Kübel am Quai – von oben bis unten mit Farbe vollgekleckert – und blickt mit zusammengekniffenen Augen auf den Zugersee hinaus. Dann tunkt er die Finger in einen Berg von Ölfarbe und «schmiert» sie auf die am Boden liegende Leinwand. Dieses «Schmieren» mag man im ersten Moment als solches wahrnehmen. Es ist die Art und Weise, wie Christopher Lehmpfuhl malt. Der Berliner Künstler arbeitet stets plein air, unter freiem Himmel. Pinsel verwendet er nicht, es geschieht alles mit den Fingern oder gar der ganzen Hand.

Keine Witterung, keine Extremtemperatur hält ihn dabei von der Arbeit ab – im Gegenteil. «Ich mag Postkartenidylle nicht. Bloss kein schönes Wetter, wenn ich arbeiten will», so Lehmpfuhl. Seine Bilder beginnen zu leben durch die meteorologischen Gegebenheiten – dunkle Wolken, Schneetreiben oder Gewitterstimmung liebt der 44-Jährige. Fröstelt der Betrachter, wenn er auf Lehmpfuhls tiefverschneites Engadin schaut, und schwitzt er beim Anblick einer flimmernden Landschaft des Südens, dann ist das Bild genau so geworden, wie es werden muss.

Witterungsverlauf schlägt sich im Bild nieder

Lehmpfuhls Technik sprengt die Grenzen der «konventionellen» Malerei um Weiten. «Ich entwickle eine zeitgemässe Form des Impressionismus, modelliere mit Farbe», sagt Lehmpfuhl. «Alles wird greifbar.» Dies im wahrsten Sinne des Wortes: Reliefartig hebt sich die stellenweise zentimeterdicke Farbschicht von der Leinwand ab. Seine dadurch oft gewichtigen Werke benötigen bis zu einem halben Jahr oder länger, bis sie vollständig durchgetrocknet sind.

Und damit diese Unmengen an Farben auch da bleiben, wo der Künstler sie haben will, verwendet er eine Spezialmischung mit einem hohen Pigment- und einem kleineren Ölanteil.

Der Berliner arbeitet rund um den Erdball, die Schweiz schätzt er insbesondere wegen ihrer abwechslungsreichen Berg- und Seenlandschaft. Eine zentrale Komponente bei seiner Arbeit ist das Licht, dessen Spiel in der Natur Lehmpfuhl stets sucht und seinen Werken sprichwörtlich einverleibt. Je dramatischer die Wetterlage, desto intensiver seine Licht-/Farbsinfonie. Im Laufe des Entstehungsprozesses wird der Effekt zuweilen verstärkt oder abgeschwächt: Ändert sich die Wetterstimmung, fängt er diesen Umschlag ein. Lehmpfuhl befindet sich im permanenten Dialog mit dem, was er vor sich sieht. «Es ist für mich wie die intensive Auseinandersetzung mit einem Gegenüber.» Dieses Ge­gen­über besteht aus sämtlichen Reizen, die der Künstler aus seiner Umgebung wahrnimmt, seien da neben der Witterung auch Menschen, die vorbeikommen und mit ihm sprechen, ein jäher Windstoss, Geräusche von nah und fern...

Lehmpfuhls Bilder entwickeln je nach Entfernung des Betrachters eine überwältigende räumliche Wirkung. Er versteht es, mit seiner vermeintlich grobschlächtigen Technik selbst filigranste Elemente des Abgebildeten so geschickt anzudeuten, dass man meinen wollte, sie seien feinst ausgearbeitet. Und bei einem flüchtigen Blick wirken die Motive fast fotografisch.

Feine Linien brechen die Farbe

Im eigentlichen Sinne fotogra­fisch scheinen die Werke von Reinhard Fluri, obschon der Solothurner Künstler sich nicht als Fotorealist bezeichnet haben will. Dies aus gutem Grund: Wie Lehmpfuhl legt auch er grossen Wert darauf, dass seine Bilder eine eigene, intensive Stimmung entwickeln und ausstrahlen. «Dies täten sie nicht, wenn ich einfach genau das malen würde, was ich vor mir oder auf einer Fotografie sehe», so Fluri. Eine Fotografie liegt den Motiven zwar fast immer zu Grunde, sie ist jedoch nur ein Ausgangspunkt.

Mit höchster Sorgfalt haucht er dem entstehenden Gemälde im Atelier eine ureigene, neue ­Atmosphäre ein, ohne dass die Grundstimmung verlorengeht – auch bei Fluri steht der Faktor Licht an oberster Stelle. Als Basis dient ihm eine weisse Grundierung auf dem Holzträger. In diese ritzt er feine Linien, die je nach Ausrichtung und Wölbung die Farbe unterschiedlich brechen und der Szene eine subtile, aber hocheffektive Lebendigkeit geben, wie sie eine Fotografie nicht entwickeln könnte. Abgesehen davon wählt er gerne Blickwinkel, welche die Realität verfremden: Die Ansicht von Eiger, Mönch und Jungfrau aus dem Führerstand der Schynige-Platte-Bahn existiert so nicht, wie Fluri sie abbildet. Genauso wenig gibt es ein Haus mit Fensterbank da, wo man wie bei Fluri hoch über die Mythen hinweg zum Glärnisch sieht. Das Spiel mit Perspektiven lässt er immer wieder einfliessen. Aber auch dasjenige mit Details wie etwa beim kleinen Ausschnitt einer blühenden alpinen Magerwiese auf einem grossformatigen Grund. Durch die hyperrealistische Wirkung glaubt man, Teil dieser abgebildeten Natur zu werden. Und wenn ihm die von der Stimmung lebende Landschaftsmalerei zu meditativ wird oder ihn ein Gefühl der Befangenheit überkommt, wählt der 54-Jährige als Ausgleich verspieltere Motive; Ausschnitte von Alltagsszenen etwa, Objekte oder Interieurs.

«Man wünscht sich heutzutage tendenziell wieder vermehrt gegenständliche, realistische Malerei», sagt Fluri. «Das hängt wohl mit einer gewissen Sehnsucht zusammen.» (Andreas Faessler)

Hinweis
Bilder von Christopher Lehmpfuhl und Reinhard Fluri in der Galerie Urs Reichlin, Baarerstrasse 133, Zug. Ausstellung bis 6. Mai. Eröffnung in Anwesenheit von Reinhard Fluri heute Samstag von 10.15 bis 16.15 Uhr.