Zehetmair und die grossen «H» der Klassik

Musik

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Das Zehetmair-Quartett hat in der Shedhalle Zug begeistert. Auf dem Programm stand Joseph Haydn mit einer nicht unumstrittenen Komposition sowie ein weniger bekannter Komponist.

Zug – Thomas Zehetmair hat eine Gabe und viele Fähigkeiten. Eine Fähigkeit ist zweifelsohne, seine Gabe – die Musik – so geschickt in sein musikalisches Schaffen zu integrieren, dass er in beinahe allen Bereichen Bestnoten verdient – an der Geige sogar Bestnote mit Sternchen. Das hat er am vergangenen Samstag in der Shedhalle Zug mit seinen Musikern unter Beweis gestellt. 1994 wurde das Zehetmair-Quartett gegründet, und in kurzer Zeit konnte man sich international etablieren. Zehetmair selbst ist Solist, Kammermusiker, Dirigent und in der aktuellen Saison Leiter des Musikkollegiums Winterthur.

Auf dem Programm in Zug standen Joseph Haydn (1732–1809) und Paul Hindemith (1895–1963), in der Vorschau als die beiden «grossen H» angekündigt. Nun, bei Haydn ist man publikumstechnisch auf der sicheren Seite, irgendwann hat die Masse bestimmt, dass Haydn gefällt. Der «Vater des Streichkonzerts» hat über 80 solche komponiert und etabliert. Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms und schliesslich Hindemith haben diese Art der Musik ins 20. Jahrhundert getragen. Doch wenn Haydn draufsteht, muss nicht zwangsläufig auch Haydn drinstecken. Denn in der hervorragenden Einführung vor dem Konzert wurde – bei Haydn mittlerweile fast schon Pflicht – auch darauf verwiesen, dass das Opus 3 «Serenaden» vermutlich gar nicht von Haydn selbst geschrieben wurde, sondern von dem wenig bekannten Komponisten Roman Hofstetter. Musikphilologen streiten sich seit 1964 darüber – gelungen ist das Werk aber allemal.

Mit Ruhe und Gelassenheit

Aufgrund dieser Prämisse wäre der Abend am Samstag auch unter «zwei grossen H und einem nicht so grossen H» zu verbuchen gewesen. Ob nun Haydn oder Hofstetter: Werden die Stücke vom Zehetmair-Quartett aufgeführt, ist Hörgenuss in jedem Fall garantiert, und der Komponist spielt vielleicht sogar eine untergeordnete Rolle. Die Musiker haben die Audienz in der Shedhalle mit einer Gelassenheit und Ruhe bespielt, wie es nur Profis können. Bereits nach den ersten Tönen wurde (erwartungsgemäss) klar, dass das Quartett musikalisch in absoluter Topform war; das Spiel vom Quartett zu beschreiben, ist an dieser Stelle müssig, es wäre eine Aneinanderreihung von Plattitüden und Superlativen. Obschon: Thomas Zehetmair selbst liebt es durchaus, das Publikum auch mal zu verstören oder zumindest wachzurütteln. Dies gelingt ihm mit einem beabsichtigen Kratzen, mit einem irritierenden Schmirgeln im Ton oder bewusstem Ignorieren von allzu viel Schmalz oder Süsse in den Kompositionen. Davon war aber am Samstag bei Haydn nichts zu hören.

Thomas Zehetmair wurde 1961 in Salzburg in eine Musikerfamilie geboren und verfolgte dadurch schon als Kind Musikproben – beispielsweise eben von Streichquartetten. Bereits 1978 erhielt er den ersten Preis des Internationalen Mozart-Wettbewerbs in Salzburg und gab in seinen frühen 20ern regelmässig Konzerte. Mittlerweile hat der Österreicher das grösste Repertoire für die Violine aufgenommen, und viele seiner Veröffentlichungen wurden ausgezeichnet. Er selbst ist ein gefragter Solist und Dirigent in führenden internationalen Orchestern, er hat in Deutschland den Paul-Hindemith-Preis der Stadt Hanau in Anerkennung für herausragende musikalische Leistung erhalten. Ergo ist eine Affinität des Musikers zu Hindemith gegeben. Das Leben und Schaffen des Komponisten (1895–1963) wurde ebenfalls in der Einführung in Zug genauer erläutert, teilweise sogar mit Tondokumenten.

Ungewohnte Komponenten

Manches wirkte ungewohnt, vielleicht hielt diese Tatsache auch einige Joseph-Haydn-Liebhaber davon ab, das Konzert in der Shedhalle zu besuchen, denn es hätte noch freie Plätze gehabt. Der musikalische Einspieler in der Einführung: «Ouvertüre zum ‹Fliegenden Holländer›, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 Uhr am Brunnen vom Blatt spielt».

So weit ging das Zehetmair-Quartett mit Paul Hindemith nicht, obschon es spannend gewesen wäre, die «schlechte Kurkapelle» von hochkarätigen Musikern auf Violine, Viola und Violoncello zu hören. (Haymo Empl)