Vom Siechenhaus zum «Gartenpalais»

Dies & Das

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Wo einst Todkranke vor sich hin vegetierten und qualvoll starben, entstand vor über 200 Jahren ein palastartiger Neubau. Dessen Architektur ist für die Region in dieser Ausprägung einzigartig.

  • Erst vom See her betrachtet erkennt man die beeindruckenden Dimensionen des einstigen Bürgerasyls. 1812 wurde das Bauwerk mit wuchtigem Mansardwalmdach vom Tiroler Baumeister Melchior Schellhammer errichtet. (Bild Werner Schelbert)
    Erst vom See her betrachtet erkennt man die beeindruckenden Dimensionen des einstigen Bürgerasyls. 1812 wurde das Bauwerk mit wuchtigem Mansardwalmdach vom Tiroler Baumeister Melchior Schellhammer errichtet. (Bild Werner Schelbert)

Zug – Ab 1435, dem Jahr der Zuger Altstadtkatastrophe, existierte in der Zuger Vorstadt, welche aus damaliger Sicht weit ausserhalb des Zentrums lag, ein so genanntes Siechenhaus. Es war dies eine Einrichtung, in welche man leprakranke Bewohner brachte, um sie von der Bevölkerung abzuschotten, damit sich die todbringende Krankheit nicht weiterverbreitet. Um 1522 wollte man die Aussätzigen noch weiter weg von der Stadt haben. Da, wo ­heute der eingedolte Aabach versteckt seine letzten Meter zum See zurücklegt, errichtete man ein neues Armen- und Siechenhaus – daher rührt auch der einstige Name des Aabaches: der «Siehbach» (auch: «Siechenbach»), eine einst weit verbreitete Bezeichnung für Fliess­gewässer, an denen solche Elendseinrichtungen standen.

Allmählich zog sich die verheerende Krankheit zurück und trat ab 1755 in Zug kaum mehr auf. Das einstige Siechenhaus wurde aufgehoben und um 1812 abgerissen. An seiner Stelle, an der heutigen Chamerstrasse 33, entstand das neue «Bürgerasyl», durch dessen Verkauf im Jahre 1965 die Bürgergemeinde das ­Alterszentrum in der Mülimatt in Oberwil finanzierte. Als Architekt des 1812 errichteten Gebäudes am einstigen Siehbach ist ein gewisser Melchior Schellhammer verbürgt – ein Maurermeister und Zimmermann aus dem Tirol. Viel ist über diesen Schellhammer nicht zu erfahren. Der Name ist heute mit einigen Personen in der Schweiz vertreten, doch dürften die Familienmitglieder des Tiroler Baumeisters wohl die ersten Schellhammer gewesen sein, die in der Schweiz das Bürgerrecht erhalten haben, nämlich um 1807 in Risch. Melchior Schellhammer zeichnete verantwortlich für die Neugestaltung des im Kern mittelalterlichen Lohri-Hauses an der Zuger Neugasse.

Ein paar Jahre später hatte der gebürtige Tiroler auch den Auftrag erhalten, exakt an der Stelle des einstigen Siechenhauses das neue Bürgerasyl zu planen und zu erbauen. Schellhammer entschied sich für einen stattlichen, dreigeschossigen Bau mit auffallend wuchtigem Mansardwalmdach, das nahezu so hoch ist wie der gemauerte Baukörper. Die insgesamt 16 Lukarnen – ursprünglich waren es deren 12 – lassen das Dach noch mächtiger erscheinen. Das Gebäude ist in seiner Bau- und Gestaltungsart in der Region besonders auffallend, erinnert es doch – bestärkt durch seine frei stehende Position mit grünem Umschwung – an österreichische Gartenpalais oder an süddeutsche Jagdschlösser. Obschon der Entstehungszeit entsprechend klassizistisch gehalten, weist das Gebäude Züge der architektonischen Formensprache des Spätbarock auf, was in Österreich-Ungarn länger Bestand hatte als in anderen Regionen Europas.

In den Jahren 1999 und 2000 wurde das ehemalige Bürgerasyl über einen Zeitraum von 15 Monaten aufwendig und vor allem umsichtig restauriert. Jahrelang war man sich uneins gewesen, was aus dem stark marode gewordenen Gebäude von Schellhammer werden soll. Schliesslich sollte es als Wassersport-Vereinsgebäude dienen und auch für die Öffentlichkeit nutzbar sein («Siehbachsaal»). Obwohl die eigentliche Schauseite des Gebäudes diejenige zur Strasse hin war und ist, kommen seine wirklichen Dimensionen heute nur richtig zur Geltung, wenn man es vom See her betrachtet. Als die Chamerstrasse ausgebaut und ein Radweg angelegt wurde, hob man das Gartenstück zwischen Hausmauer und Fahrweg an, so dass der einstige strassenseitige Treppenaufgang verschwand und die Schauseite an Fläche einbüsste. Seeseitig wurde das Dach über dem Podest der einfachen Aussenstiege entfernt, und es wurde ein Treppenlauf hinzugefügt, wonach das Haus nun über eine elegante Freitreppe verfügt, wie man sie bei repräsentativen Bauten häufig findet.

Die originale Farbgebung der Fassade war nicht mehr eruierbar. Nachdem die Fachleute Reste von Ocker fanden, betrachtete man dies als Anhaltspunkt und verpasste der Gebäudehülle ein elegantes Schönbrunner Gelb. Vielleicht eine heimliche Reminiszenz an die Herkunft des Erbauers? Das Innere des Gebäudes war seit Anbeginn schlicht – Sozialbauten benötigten weder Beletage noch sonstige Repräsentationsräume. Bei der Renovation ging da nicht allzu viel verloren. Neben dem eindrücklichen Treppenhaus aus der Erbauungszeit ist an sich einzig die ehemalige Hauskapelle zu erwähnen, deren stilvolle Ausmalungen aus den 1920er-Jahren wieder rekonstruiert worden sind.

Heute präsentiert sich das alte Bürgerasyl insbesondere seeseitig als augenfälliger Prachtbau, der bezüglich Farbe und – nach wie vor – bezüglich Form einen ausserordentlich kräftigen Akzent setzt in der historischen Architekturlandschaft des Kantons Zug. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut!» gehen wir ­Details mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach. Frühere Beiträge finden Sie online unter www.zugerzeitung.ch/hingeschaut.