Getrieben von Identitätssuche

Musik

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Der amerikanische Jazz-Superstar Vijay Iyer war am Mittwochabend in der Shedhalle zu Gast. Das Wunderkind von einst ist erwachsen geworden.

  • Vijay Iyer – hier am Konzert in der Shedhalle – kreiert innovativen Sound und fordert Konventionen heraus. (Bild Patrick Hürlimann)
    Vijay Iyer – hier am Konzert in der Shedhalle – kreiert innovativen Sound und fordert Konventionen heraus. (Bild Patrick Hürlimann)

Zug – Die Definition von Jazz per se kann als Crossover verschiedenster Musikstile und Genres verstanden werden. Und dies stimmt, zumindest wenn man den Zuhörermix am Mittwoch in der Shedhalle Zug betrachtete: Alle Generationen in diversen Verbünden sind angetreten, um den amerikanischen Star-Jazz-Pianisten Vijay Iyer live zu sehen. Die Vorankündigung sowie die unglaublich vielen Auszeichnungen und Ehrungen des Wunderkindes machten es für den 46-jährigen Künstler nicht einfach, denn das Publikum kam mit hohen Erwartungen.

Seine CD «Historicity» beispielsweise war im Jahr 2010 für einen Grammy nominiert, und auf dem aktuellen Konzertflyer listete man nicht wie sonst üblich den Werdegang auf, sondern beschränkte sich auf Schlagworte rund um die verschiedenen Auszeichnungen.

Vijay Iyer ist 1971 als Sohn indischer Immigranten in den USA geboren und galt lange Zeit als Nachwuchs-Supertalent im Jazz. Die Bibel des Jazz, das US-Printmagazin «Down Beat», hat ihn zum Top-Jazzkünstler in den Jahren 2012, 2015 und 2016 nominiert. Er glänzt in akustischen Jazz-Settings und überzeugt zudem durch elektronische Musik, arbeitet mit Streichquartetten, Filmemachern und Dichtern zusammen. Dass man mit 46 Jahren irgendwann mal nicht mehr als «Wunderkind» betitelt werden kann/möchte und auch nicht mehr so sehr auf den «Nachwuchstalent-Bonus» hoffen darf, versteht sich von selbst. Das hat der Jazzmusiker am Mittwoch offensichtlich auch nicht getan: Er hat eine solide Leistung abgeliefert.

Reminiszenzen an die Klassik

Zwei Sets spielte Iyer vor der kleinen, aber feinen Audienz am Mittwoch. Gleich zu Beginn wurde klar, dass die Musik schwer zu kategorisieren sein würde, was gemäss Biografie auch durchaus die Intention des Künstlers ist. Das im Zusammenhang mit Iyer gerne verwendete Schlagwort «Fee Jazz» passte nicht, zu verwoben die Töne, zu einmalig die Art, mit diesen umzugehen – ohne einfach alles in einen musikalischen Eintopf zu werfen. Klar waren da flüssige Läufe im Spiel und Reminiszenzen an die grossen Komponisten der Klassik, aber durch spannende Brüche und die einzigartige Phrasierung der akustischen Konturen kam es zu einem Klangfeuerwerk, das spannend und irgendwie neu war. Aber eben: irgendwie. Es fiel schwer, am Mittwoch eine Beziehung zum Künstler herzustellen – das wiederum ist aber essenziell in so kleinem Konzertrahmen. Iyer spielte umwerfend, einmalig und jenseits bekannter Kategorien, dennoch wirkte die Inszenierung – das war es letztendlich – seltsam blutleer. Zu Beginn wurde dem Publikum sehr anspruchsvolle Musik serviert, das mag beinahe verstörend gewesen sein. Der Musiker hatte durch diesen Auftakt eine Richtung festgelegt, die er nachher nicht mehr wirklich beibehalten hat. Wohl ganz bewusst: Iyer sagte einst in einem Interview, er sei als klassisches Einwandererkind stets getrieben von der Suche nach Identität. Das spürte man auch am Konzert, in seiner Musik, in seiner Art.

Iyer – die Zukunft des Jazz?

Mag sein, dass die Bilder, die mit «Jazz» verbunden werden, andere sind, als Iyer sie verkörpert. Gut möglich auch, dass die amerikanische Mentalität am Mittwoch nicht gepasst hat. Die sterile Zurückhaltung des Musikers war so ganz anders als gewohnt. Das nicht sehr zahlreiche Publikum wiederum schien sehr genau zu wissen, was es erwartete – denn Irritationen waren keine auszumachen. War es einfach Höflichkeit? Oder ging man mit gar keinen Erwartungen ans Konzert? Eher nicht – denn beim allgemeinen Reflektieren des eben Gehörten in der Pause schien man genau in dieser Art die Zukunft dieser Musik zu sehen. Raus aus dem Jazz-Ghetto, weg von den Klischees, auf zu Neuem.

Vijay Iyer verkörpert diesen Bruch: Er ist nicht Afroamerikaner, nicht aus New Orleans. Nein, er ist gutbürgerlich aufgewachsen, und er spielte als erstes Instrument die Violine. Seine seltsame Steifheit, seine zurückhaltende Art – das ist wohl genau so, wie er eben in persona ist. Unbestritten ist, dass sich Jazz nur mit Hilfe einer neuen Generation von Musikern weiterentwickeln kann. Musiker wie Vijay Iyer, die einen innovativen Sound kreieren, der Konventionen herausfordert und dadurch auch bestehenden Kategorisierungen entgeht. Nonkonformisten wie Iyer, die konsequent an sich und ihre Musik glauben und versuchen, diese Einstellung auch nach aussen zu transponieren. (Haymo Empl)