Wo die Linde Identität stiftet

Kunst & Baukultur

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Der Neuheimer Schild gehört zu den nachvollziehbarsten im Kanton – man braucht sich in der Gemeinde nur umzusehen. Die Hommage an die einzigartige Landschaft ist erstaunlich jung.

Zug – Wer sich online mit der Wappenkundefigur der Linde auseinandersetzt, glaubt via Wikipedia erstaunlich schnell in Neuheim zu landen. Ein Irrglaube – der Link führt in den Süden Litauens, in die Gemeinde Leipalingis. Diese hat ein Wappen, das stark an das von Neuheim gemahnt. Darüber hinaus fällt auf den ersten Blick der Vergleich mit der kleinsten und jüngsten Zuger Gemeinde buchstäblich flach aus: Denn es fehlt an Hügeln, auf denen die Linden gepflanzt sind und so schön zur Geltung kommen wie in der Zuger Moränenlandschaft.

Diese teilt Neuheim mit Menzingen, von dem sich die Ortschaft 1848 lossagte und zur eigenen Gemeinde wurde. Offenbar war trotz des Stolzes auf die Unabhängigkeit damals keine Zeit für ein originelles Wappen, weshalb man zu einem «schlechten Notbehelf» griff, wie Dorfchronist Hans Schlumpf in seinem Buch «Neuheim» in Anlehnung an das «Wappenbuch des Kantons Zug» findet: das Zuger Kantonswappen mit einem «N» darin.

Rückbesinnung in schwierigen Zeiten

Die Entwicklung eines eigenen Wappens brauchte Zeit. Fast 100 Jahre nach der Eigenständigkeit – und damit nach der Landesausstellung 1939 – stimmten die Versammlungen der Einwohner- und der Bürgergemeinde dem Entwurf eines nicht näher beschriebenen Künstlers «A. Wettach-Bossard» zu: dem heutigen Wappen mit Hügel, aus dem eine Linde wächst. Das Jahr 1942, in dem auch die Gemeinde Baar ihr neues Wappen erhielt, fällt nicht zufällig mit dem Zweiten Weltkrieg zusammen, führt der Neuheimer Gemeindearchivar Philippe Bart aus: «Es ist ganz typisch, dass man sich in unsicheren und schwierigen Zeiten auf solche Identität und Gemeinschaftssinn stiftende Symbole wie Wappen rückbesinnt, die im normalen Alltag eher eine untergeordnete Rolle spielen.» Auch kein Zufall ist die Linde als Wappenfigur. Die Mehrzweckhalle ist danach benannt, und es gibt zwar keine Lindenstrasse, aber einen Lindenweg. Dieser Baumart werden eine besondere Wirkung und magische Kräfte zugeschrieben. Der Sage nach hat jeder Bauer seinem Erstgeborenen auf dem Hügel seines Hofs eine Linde gepflanzt. Ein praktischer Nebeneffekt: Die charakteristischen Linden auf den Moränenhügeln sollen den Teufel fernhalten. Die Lindenblüte dürfte zudem auch im ländlich geprägten Neuheim ein althergebrachtes Hausmittel gegen vielerlei Beschwerden sein.

Darüber hinaus fanden – aus alemannischem Erbe – in früherer Zeit häufig Versammlungen wie Gerichtsverhandlungen unter Linden statt, weil ihr dichtes Blätterdach Schutz vor Sonne und Regen bot. Es war sogar Pflicht, das Gericht unter freiem Himmel abzuhalten, wie dem «Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte» zu entnehmen ist. Die klösterlichen Herrschaftshöfe, die ab dem 14. Jahrhundert auf heutigem Neuheimer Gebiet lagen, verfügten gemäss dem «Historischen Lexikon der Schweiz» über eigene Niedergerichtsbarkeit. Das heisst, die Strafen bei geringfügigen Delikten durften im Ort festgelegt und vollstreckt werden.

Möglicherweise war das auch auf dem Josefsgütsch der Fall, wo die bekannteste Neuheimer Linde steht. Nach Angaben der bereits erwähnten Dorfchronik ist sie bald 500 Jahre alt. Bis 1962 waren sie zu zweit gewesen, ehe ein Föhnsturm eine niederschmetterte. In die noch existierende Jahrhundertezeugin schlug später ein Blitz ein. Ein Glück, tagte das Gericht zu dieser Zeit nicht mehr darunter: Im «Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte» heisst es nämlich, dass die Linde als «am sichersten vor Blitzschlag» gilt. (Raphael Biermayr)

Hinweis In der Serie «Zuger Wappen» stellen wir in loser Folge die Wappen der elf Zuger Gemeinden vor und lassen sie durch einen Zuger Künstler neu interpretieren.