Der Augenblick ist ewig

Musik

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Konstantin Wecker und Niklaus Brantschen treffen sich in Bad Schönbrunn. Der Abend begeistert.

  • Kraftvoll, sanft und melancholisch: Konstantin Wecker brillierte am Klavier im Lassalle-Haus. Im Hintergrund Niklaus Brantschen. (Bild PD/Lassalle-Haus)
    Kraftvoll, sanft und melancholisch: Konstantin Wecker brillierte am Klavier im Lassalle-Haus. Im Hintergrund Niklaus Brantschen. (Bild PD/Lassalle-Haus)

Menzingen – Am Sonntagabend trafen Liedermacher Konstantin Wecker und Zen-Meister Niklaus Brantschen im Lassalle-Haus in Bad Schöbrunn aufeinander. In ihrem Gespräch mit lyrischen Einlagen machten sie sich Spiritualität, Politik, Religion und Weckers Eltern zum Thema. Um 18.30 Uhr wird im Lassalle-Haus um jeden freien Platz gekämpft. Der Andrang ist gross - so auch die Erwartungshaltung des Publikums. Und es darf auf ein tiefgründiges Gespräch gehofft werden. Gleich zu Beginn stellt der Jesuit Niklaus Brantschen klar: «Ich will mehr erfahren, als in Konstantin Weckers Büchern steht.»

«Sie waren keine Nazis»

Und der Künstler erzählt gerne. Mit seinen Eltern habe er grosses Glück gehabt: «Sie waren keine Nazis. Sie waren alles andere als das», so der stolze Sohn. «Ich hatte eine schöne Kindheit», berichtet Wecker. Sein Vater war ein erfolgloser Tenor. «Gott sei Dank. Somit sang er nicht auf einer Bühne, sondern zu Hause». Auch von seiner Mutter liess der Künstler früh seinen Horizont erweitern: «Mama hat mich als kleiner Junge zu den Gedichten geführt.» Schon mit zwölf Jahren habe er Goethe und Eichendorff gelesen. So zog er als 13-jähriger Knirps los, um als freier Dichter zu leben. Das Experiment missglückte: «Einen Tag später war ich wieder daheim. Es war scheisskalt», blickt der Dichter und Liedermacher zurück. Von der erfüllten Kindheit rutschte er in eine wilde Jugend. «Mit dem Stimmbruch fiel ich eine Oktave tiefer aus dem Paradies der Kindheit in die Niederungen der Fleischlichkeit», so Wecker bildhaft. Im Jahre 1966 musste er wegen Diebstahls erstmals hinter Gitter. Folgendes soll ihm sein Vater während eines Besuches gesagt haben: «Konstantin, ich habe es dir immer gesagt: Zwischen Künstler und Verbrecher liegt ein kleiner Unterschied. Und als Verbrecher taugst du offenbar nichts.»

Das «Wir-Gefühl»

Und so setzt sich 48 Jahre später Künstler Konstantin hinter den Flügel und spielt kraftvoll, sanft, aggressiv und melancholisch zugleich. Als Gegenleistung für die musikalische Darbietung versucht der Zen-Meister, den zweifachen Ex-Häftling Konstantin Wecker zu analysieren. «Irgendwann fragt man sich: Was habe ich den anderen angetan?», so Brantschen, und das Wir-Gefühl - «die Innerlichkeit, die sich äussert» - macht sich bemerkbar. «Die Zen-Krankheit ist, wenn jemand in der Innerlichkeit stecken bleibt», beschreibt der Jesuit mit einem Hauch Selbstironie.Bald hat der Zen-Meister genügend Worte verloren. Unbedingt will er noch mehr Liedern seines Kollegen lauschen. Und Wecker weiss, das Publikum mit seiner Musik in Bann zu ziehen. Obwohl er diese gar nicht als sein Eigen sieht. «Die Texte sind mir passiert. Sie sind klüger als ich selbst», erklärt der Künstler bescheiden. Wer mit einem Jesuiten und Zen-Meister an einem Tisch sitzt, muss sich nicht wundern, wenn sein Gegenüber auf die Religion zu sprechen kommt. Wecker ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und bezeichnet sich selbst als Mystiker: «In der Kunst erlebe ich alles, was ich mit der Ratio nicht greifen kann.» Niklaus Brantschen trifft mit einem Zitat wohl den Nagel auf den Kopf: «Wer Angst hat vor der Hölle, ist religiös. Wer aber durch die Hölle ging, ist ein spiritueller Mensch.» Konstantin Wecker ist nicht nur ein spiritueller Mensch, auch auf politischer Ebene ist er kein unbeschriebenes Blatt: 2007 gewann er den Erich-Fromm-Preis für Zivilcourage und gegen Fremdenhass und Rassismus. Den vielseitigen Künstler könnte man als Wahnsinnigen betiteln, doch das stört ihn keineswegs: «Wir brauchen Spinner und Verrückte. Wir sehen doch, wohin es führt, wenn die Normalen regieren.»

Konstantin Wecker setzt sich noch einmal an den Flügel und sorgt mit Titeln wie «Das Lächeln meiner Kanzlerin» - Brantschen: «Ein Ohrwurm» - oder «Zärtlichkeit und Wut» für regelrechte Begeisterungsschübe. Begeistert ist am Ende auch Gesprächspartner Niklaus Brantschen: «Der Augenblick ist ewig.» Diese Ewigkeit habe er soeben gespürt, als er mit geschlossenen Augenlidern der Musik Weckers horchte. (Julian Feldmann)