Huwyler ist Zug auf der Spur

Dies & Das

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Dreissig Jahre lang hat Max Huwyler 
Zuger Geschichten gesucht. Jetzt ist ein Buch draus geworden. Und was für eins.

  • Auch hier lauert eine gute Geschichte: Max Huwyler und die Treppe ins Nichts. (Bild: Christian Herbert Hildebrand, fotozug.ch)
    Auch hier lauert eine gute Geschichte: Max Huwyler und die Treppe ins Nichts. (Bild: Christian Herbert Hildebrand, fotozug.ch)
  • Max Huwylers Geschichten sind solche zum Erzählen.  (Bild: Christian Herbert Hildebrand, fotozug.ch)
    Max Huwylers Geschichten sind solche zum Erzählen. (Bild: Christian Herbert Hildebrand, fotozug.ch)

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen.

Max Huwyler war lange weg. Und dann war er lange wieder da. Und dieses da, das hat fast dreissig Jahre gebraucht, um ein richtiges Buch zu werden. «Jakobs Auswanderung» ist das erste literarische Prosawerk des Stadtzuger Autors, der für seine Gedichte und Kinderbücher bekannt wurde. Und was für ein Buch: Ein gewachsenes, schillerndes Buch voller Fragmente, ein Buch über Zug, über ein Zug, das so gewesen ist oder zumindest hätte sein können, gefunden, erfunden, erfahren.

Gedreht und gewendet
Huwyler stösst die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf, in der Grafenau, heute mitten in der Stadt, früher mitten auf der Zuger Allmend. Hinter seinem Arbeitstisch türmen sich Regale voller Notizen, oft nach Themen und Jahren geordnet, oft auch nicht. Theaterstücke, Textfragmente, Kunstwerke. Huwyler ist ein Sammler seiner eigenen Eingebungen. In diesen Regalen wachsen Fragmente zusammen, bis sie ein Buch bilden. Jeden Text hat er gedreht und gewendet, überarbeitet und gefeilt. Jahrzehnte lang hat er seine Sammlung gepflegt. Als er den ersten Text des Buches geschrieben hatte, in den 80ern, war noch lange nicht klar, was daraus werden könnte.  Dafür war die Eingebung so konkret, wie eine Eingebung nur sein kann: in Stein gemeisselt.

Huwyler fand den Grundstein seines Buchs in Form einer Gravur an einem Eckstein an der St.-Oswalds-Kirche. «Mater Maria» steht da, in den Fels gehauen. Huwylers Neugier hat die Geschichte dahinter gesucht. Gefunden hat er die Geschichte eines Steinhauers, der sich in die Bürgerstochter Maria verliebt. Und dann hat Huwyler einfach weitergemacht. Hat an Fäden und Enden gezogen und ungekeimte, ungehörte Kerne von Geschichten gefunden: zwei Namen, Vater und Sohn, auf der Liste der Gefallenen bei der Schlacht in Hünenberg zur Weihnacht 1388, eine Kindheitserinnerung, eine Treppe, die ins Nichts führt, ein Höhenweg, der nicht mehr der höchste ist, eine skandalöse Beerdigung, der triebgesteuerte Ritter von der Wildenburg; sie alle wachsen in Huwylers Händen zu Bildern und Geschichten heran. Wo er Material gefunden hat, bleiben die Geschichten historisch, und wo nicht, sorgt Huwyler für Ersatz. Und geht dabei nicht zimperlich vor, sondern versucht sich an Alternativen: rehabilitiert kurzerhand den Ritter und lässt dabei Grautöne in schwarz-weiss geschnittene Geschichtsbilder sickern.

Kritischer Blick, exakte Sprache
Huwyler stösst die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf, aber eigentlich stösst er die Tür auf in ein Zug, das vielen unbekannt ist. Eines, in dem sich Menschen in der Kleinräumigkeit so sehr identifizierten, dass sie sich in Burgbächler und Neustädtler unterteilten, je nach besuchtem Schulhaus. Es ist das Zug aus Huwylers Kindheit – aber auch eines aus grauen Vorzeiten, ein Zug der Schlachten und Hinrichtungen, des Metalli-Streiks und des Kulturkampfs.

«Die Zuger haben ein eigenartiges Selbstverständnis», sagt Huwyler. Die eigene Provinzialität ist gründlich ausgeblendet. «Als Kind war ich überzeugt, unsere Stadt sei die beste auf der Welt, unsere Feuerwehr die beste, und die Stadtmusik ebenfalls.» Dass es in anderen Städten ähnlich zu- und herging, fand erst der erwach­sene Huwyler heraus. Dafür ist ihm ein wohlwollend kritischer Blick geblieben. Und Huwyler versteht es, seine Geschichten in eine exakte Sprache zu giessen, die präzise trifft.

Die Sprache ist Huwylers Lebenswerkzeug. Er hat sie lange gefeilt: Etwa beim Verfassen eines grossen Lehrbuchs für Grammatik, dann mit seinen Gedichten, jetzt mit diesem Geschichtenband.
Kein Wunder spricht er auch so: behutsame, ausgesuchte Sätze mit Ziel, aber auch mit Zeit für einen kleinen Exkurs, wenn er sich anbietet. Und er bietet sich oft an, einfach aufgrund der grossen Themenfülle: «Da habe ich eine Sammlung von Zuger Sagen gefunden», sagt Huwyler, «die auf noch älteren Dokumenten beruht – und diese sind noch vorhanden.» Historische Dokumente über eine Teufelsaustreibung auf der ­damaligen Allmend. Also ziemlich genau hier, zwanzig Meter unter Huwylers Arbeitszimmer. «Es sind Zeugnisse des Chronisten Hans Haller, über eine wohl tatsächlich durchgeführte Teufelsaustreibung wegen eines Viehsterbens. «Man hat Teufelsaustreiber kommen lassen aus der ganzen Schweiz und sie auf die Allmend geführt. Den ersten haben die Teufel vermöbelt und umgebracht, den zweiten auch.»

Als das Viehsterben nicht enden will, sieht sich die Zuger Obrigkeit gezwungen, noch einmal einen Austreiber anzuheuern. Was dann geschieht, wollen wir hier nicht verraten. Allerdings steckt eine düstere Moral hinter der Sage – die Geister waren keine Unbekannten, sondern die «Gewaltigen», ehemalige Zuger Ratsherren. So zitiert Huwyler den Chronisten: Weil die Zuger Allmend vor Zeiten bis an die Stadt gar treu u. gänzlich gemein gewesen und die Gewaltigen die besten Stücke davon nach und nach an sich gezogen haben, so ist das eine Straf der Sünd, die sie an der ganzen Gemeinde und besonders an den Armen begangen haben.

Solche Dinge hat Huwyler ausgegraben. Eine Freude, darin zu stöbern. Max Huwyler wohnt nahe beim Staatsarchiv. «Das ist eine Fundgrube von Geschichten und potentem Personal.» Und wie geht’s jetzt für ihn weiter? «Jetzt setze ich mich an den See, bis wieder eine Geschichte kommt», sagt er und lacht. «Ich habe ja Zeit.» (Text: Falco Meyer)

 

Hier geht's zur Buchvernissage: «Jakobs Auswanderung»

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