Die Schulgründerin und ihre Spuren

Brauchtum & Geschichte

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Diese «starke Zuger Frau» arbeitete bei Johann Heinrich Pestalozzi, gründete eine Strohfabrik und ein Töchterinstitut. Lisette Ruepp-Uttinger (1790–1873) aus Zug liess sich auch von tragischen Schicksalsschlägen nicht unterkriegen.

  • Reich bewachsen: das Ruepp’sche Doktorhaus in Sarmenstorf. (Bild: Aus Storz 2006)
    Reich bewachsen: das Ruepp’sche Doktorhaus in Sarmenstorf. (Bild: Aus Storz 2006)

Zug – Zum 70. Geburtstag hatten sich ihre Kinder ein besonderes Geschenk ausgedacht: Es war ein Lehnstuhl, in dem sie ihren Lebensabend geniessen solle. Doch Lisette Ruepp-Uttinger hatte daran keine Freude: «Was, ihr wollt mich mit Gewalt zur Ruhe setzen?» War die gute Frau ein Workaholic? So könnte man es interpretieren. Doch erstens kannte sie das Wort nicht, und zweitens hatte sie einfach viel zu tun, privat, geschäftlich, familiär und dann noch im Sozialen. Dazu blicken wir zurück.

Am Martini-Tag im Jahre 1790 kommt Josepha Antonia Elisabetha in Zug im Herrenhaus zum Schwert zur Welt (heute Grabenstrasse 1/Kirchenstrasse 2). Ihre Mutter heisst Kunigunde Uttinger-Jauch von Altdorf, Tochter des Landschreibers und Landvogts, ihr Vater ist der bereits 68-jährige Carl Oswald Martin Uttinger, bekannt als «Oberst Uttinger», der knapp vier Jahrzehnte als Söldner für Sardinien gewirkt hat. Doch die Familie hat trotz ihres gesellschaftlichen Status Probleme, was die kleine Lisette, wie Elisabetha genannt wird, mitbekommt: Denn seit der Revolution von 1789 bekommt Frührentner Uttinger keine Pensionsgelder mehr. Vier Jahre später ist der ehemalige Berufssöldner bereits tot; Lisette und ihre vier Geschwister sind Halbwaisen. Wieder vier Jahre später folgt das nächste Ungemach: Die Franzosen besetzen die Stadt Zug.

Ein Unglück bringt sie zu einer Ausbildung

Lisette erkrankt an den schwarzen Pocken, einer damals häufig tödlich verlaufenden Krankheit. Doch sie kommt glücklicherweise mit Narben im Gesicht davon, ist aber fürs Leben davon gezeichnet. Nach dem Abzug der Franzosen eröffnen zwei Brüder im Haus zum Schwert eine Apotheke, bei der Lisette tatkräftig mithilft. Aber angesichts der unruhigen Zeit erachtet es ihre Mutter Kunigunde als wichtig, dass auch Frauen eine Ausbildung absolvieren können. Nur so sei langfristig für die von Narben gezeichnete Lisette ein Überleben möglich.

Deshalb schickt Kunigunde Uttiger 1812 ihre Tochter Lisette nach Yverdon. Beim bekannten Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi und bei der mindestens so fähigen Rosette Niederer-Kasthofer bekommt Lisette das Rüstzeug, um eine engagierte Lehrerin zu werden. Niederer schreibt an Lisettes Mutter: «Sie arbeitet mit ununterbrochenem Fleiss munter fort, und mit Erfolg. Wenn sie zwey Jahre auf diese Art hier wird verlebt haben, so muss die Zeit der Selbstständigkeit für sie ein­treten, wo sie dann das Erlernte in Anwendung bringen kann.»

Während der Grenzbesetzung 1815 kommt der Aargauer Bataillonsarzt Dr. Alois Ruepp (1785–1832) nach Yverdon. Lisette und Alois verlieben sich, und sie wird 1816 zur «Frau Doktor» in Sarmenstorf, wo ihr Ehemann als Dorfarzt wirkt. Lisette hilft, wo sie kann, wirkt als Hilfskraft in der Arztpraxis, unterstützt die Krankenpflege und verwaltet, weil sie schon früher in Zug damit Erfahrung gesammelt hat, die Hausapotheke ihres Mannes.

Das Jahr 1832 ist ein tiefer Einschnitt in Lisettes Biografie: Innert elf Tagen sterben ihr Mann Alois Ruepp, ihre jüngste Tochter Josefine und ihr frischgeborener Sohn Alois. Lisette, 42-jährig, steht mit sieben Kindern allein da. Weil es keine Witwenrente oder andere Sozialleistungen gibt, wird Lisette Ruepp-Uttinger erfinderisch. Sie räumt das Doktorhaus von Sarmenstorf und richtet darin eine Strohweberei ein. «Aller Anfang ist schwer,» schreibt sie in ihr Tagebuch, «so auch der unserer Fabrik. Ist die einmal im Gange, so wird es schon besser gehen.» Sie organisiert die Rohstoffe, die Arbeitsabläufe, die Produktion, das Personal und den Verkauf, daneben schaut sie noch zu ihren sieben Kindern. Kein Wunder, meint sie: «Wie verschieden mir doch jetzt das geschäftliche Leben gegen dem frühern Leben erscheint!»

Lisettes Fabrik kommt sehr rasch in Schwung. Schon im Jahre 1834 arbeiten für sie 80 Weberinnen und 50 Flechterinnen. Ihr Unternehmen wird zum Wirtschaftsfaktor der ganzen Region. Dabei nimmt Lisette Ruepp-­Uttinger auch Kostgängerinnen auf und kann es trotz vielfacher Beschäftigung nicht lassen, diesen Frauen pädagogische Grundkenntnisse zu vermitteln – gemäss ihrer einstigen Bestimmung als Lehrerin. So ist es nur ein kleiner Schritt, bis Lisette Ruepp 1835 im Dorf ein Töchterinternat eröffnet. Sie selber unterrichtet Deutsch, Singen, Klavier, Zeichnen, Geografie und Geschichte, ein anderer Lehrer übernimmt die übrigen Fächer.

Eine Pionierrolle bezüglich weiblicher Bildung

Weil das Institut so gut läuft, gibt Lisette Ruepp die Strohflechterei weiter und engagiert sich noch mehr für ihre jungen Frauen. 1837 will sie ihr Institut zu einem kantonalen Lehrerinnenseminar ausweiten, doch dringt sie damit beim Kanton Aargau nicht durch. Daraufhin gliedert sie 1838 ihrer Schule die «Bürgerliche Bildungsanstalt für Töchter» an, in der auch Lehrerinnen eine Ausbildung finden sollen. Sie sagt dazu: «Der Wunsch gar vieler Aeltern des Mittelstandes, (...) ihre Töchter in irgend einer Anstalt für’s Leben erziehen zu lassen, geht meistens in der Klage über, dass sie nicht wissen, wohin mit ihnen.»

Jetzt ändert sich das. Mit manch einer ihrer Schülerinnen schliesst sie eine Art Bund fürs Leben, indem sie lebenslang Kontakt mit ihnen hat. Sie bekommt den Übernamen «Muetterli» und erhält Briefe, die mit «Frau Muetterli, Sarmenstorf» beschriftet sind. Sie leistet beim Auf- und Ausbau der weiblichen Bildung «eine pionierhafte Rolle», wie Erziehungswissenschafterin Yvonne Leimgruber schreibt. Ganze 20 Jahre leitet Lisette Ruepp ihre Pension und Ausbildungsstätte, insgesamt 205 Schülerinnen werden zu tüchtigen Lehrerinnen, Erzieherinnen und Hausfrauen. 1853 gibt «Muetterli» ihr Institut auf. Doch sie bleibt deswegen nicht untätig, sondern gründet einen Armen- und Krankenverein und leitet ihn während Jahren.

In der Schweiz bekannt

Schliesslich bekommt sie zum 70. Geburtstag von ihren Kindern den Lehnstuhl zum Ausruhen geschenkt: «Das geht nicht für mich!», soll sie gerufen haben. In der Folge sitzt sie höchst selten auf diesem Stuhl. Über sie heisst es, sie habe die Arbeit so nötig gehabt wie die Himmelsluft. Wenn sie spürt, dass ihre «Kräfte nicht so weit als die Wünsche» gehen, zieht sie den Stuhl am Nähtischchen vor, wo sie am sonnigen Fenster handarbeiten, lesen oder schreiben kann.

Erst ein Augenleiden bremst die umtriebige Frau, die nach ihrem Tod 1873 als «Engel in Menschengestalt» gilt. Heute ist Lisette Ruepps Wirken nur noch Insidern bekannt. Dabei war sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine schweizerische Berühmtheit. 1935 erschien der Roman «Mutterli» von Josef Reinhart. Das Buch warmit mehr als 50000 Exemplaren schweizweit ein Bestseller und erzielte elf Auflagen! Die Ruepp war eine grosse Identifikationsfigur. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Für die Serie «Starke Zuger Frauen» stellt der Historiker und Schriftsteller Dr. Michael van Orsouw bemerkenswerte Frauen aus der Zuger Geschichte vor. In Folge 4 geht es um eine unternehmerisch wirkende Fotografin.