Schubladisieren lässt sie sich nicht

Musik

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Die Soul-Diva Christina Jaccard riss mit Gospel und viel Herzlichkeit ihr begeistertes Publikum mit. Ihre Songs kombinierte sie mit literarischen Exzerpten aus ihrem Buch «Die Auster».

  • War bei ihrem Auftritt in der City-Kirche voll in ihrem Element: Christina Jaccard. Bild Christian H. Hildebrand
    War bei ihrem Auftritt in der City-Kirche voll in ihrem Element: Christina Jaccard. Bild Christian H. Hildebrand

Zug – Wenn die Sängerin Christina Jaccard einen Raum betritt, dann zieht sie alle Blicke auf sich – ihre elegante Art, ihre Präsenz und letztendlich auch ihr Charisma erhellen jeden Raum; auch wenn er eher schlicht ist… wie derjenige der City-Kirche Zug. Die Lokalität mag auf den ersten Blick architektonisch vielleicht eher an einen Hamam als an eine Kirche erinnern. Doch sind es genau solche Räume, die mit Glanz gefüllt werden wollen. Und dies gelang der Sängerin am Mittwochabend. Die voll besetzte Kirche liess sich auf einen «Abend mit Christine Jaccard» ein, ein offener Titel, bewusst gewählt und eine Worthülse, die wie der Raum der Kirche ebenfalls nach Gusto befüllt werden konnte.

Die Sängerin las einerseits aus ihrem Buch «Die Auster», andererseits erzählte sie im ­Gespräch mit Pfarrer Hans-Jörg Riwar viel über ihr Leben, welches weit mehr als nur Anekdoten zu bieten hatte. Natürlich stand auch «schwarze» soulige Musik auf dem Programm.

Kompromissloser Freiheitsdrang

Jaccards Stimme ist einzigartig, schon beinahe legendär: Im Blues und Gospel fühlt sie sich als Person zu Hause. Und müsste man die Zürcher Sängerin schubladisieren, würde sie wohl in die Kategorie Soul am besten hineinpassen. Dass das Ausnahmetalent mit Glamourfaktor sich aber nicht gerne in eine Schublade stecken lässt, wurde im Gespräch mit dem Pfarrer klar: Schon als junges Mädchen verweigerte sie sich musikalischen Konventionen, ihre klassische Ausbildung als Opernsängerin brach sie ab, da sie keine Lust hatte, den dortigen Gesangsprofessoren zu huldigen. Und auch weil sie keine Muse verspürte, sich an die strengen und für sie unsinnigen Regeln wie «man darf nur im Unterricht singen» halten zu müssen.

Die Stimme einer Christine Jaccard muss frei sein – eines der Leitsujets in den Gospels, aber natürlich geht es in diesen Stücken auch um Spiritualität, Gott und die Liebe. Die Sängerin hat – passend zu den aus­gewählten Liedern – aus ihrem Buch «Die Auster» eigene Gedanken und kurze Gedichte rezitiert. Auch diese sind so vielseitig wie die Künstlerin selbst: Daher kann es im Buch durchaus auch mal vorkommen, dass ein Apfel zu einer Quitte sagt «lass uns Gelee werden und ­zusammen einkochen».

Tiefsinnigkeit gepaart mit Lebensfreude

Ansonsten fiel an diesem musikalisch-literarischen Abend auf, wie viel Gehalt, Doppelbödigkeit und manchmal auch Schwere die Jaccard’schen Gedankengänge in besagtem Buch festgehalten hatten. Es wird wohl nicht immer einfach sein, mit so viel Energie, Power und auch einer gewissen Schwermut umgehen zu können; schliesslich sind es aber genau diese Faktoren, welche für die musikalische Vielfalt einer Christina Jaccard zuständig sind. Denn nur dadurch erreicht sie als weisse Sängerin in der schwarzen Musik die notwendige Authentizität, welche das Publikum als ­diffuses Gefühl wahrnimmt und dafür zu sorgen vermag, dass «ein Abend mit Christina ­Jaccard» unvergesslich wird.

Das Publikum in der City-Kirche liebte Klassiker wie «The Rose», und selbst ein Beitrag wie «Atomic Kiss», welcher im Kontext des unrühmlichen ­Siegeszuges der Atombombe in den 1940er-Jahren entstanden war, passte im Kontext bestens in den Abend.

Überzeugendes Gesamtkonzept

Es wäre müssig, einzelne Elemente auf musikalischer oder literarischer Ebene en détail zu analysieren – «Ein Abend mit Christina Jaccard» funktionierte aufgrund des Gesamtkonzeptes. Die Künstlerin begleitete sich selbst am Klavier, die Auswahl der Lesetexte erfolgte auf Basis eines stringenten Konzeptes, welches für die eigene Interpretation genügen Raum liess. Und rein akustisch erwies sich die City-Kirche trotz oder gerade wegen der «Badezimmerplättli» ebenfalls ideal.

Apropos Kirche: Im Gespräch mit Hans-Jörg Riwar erfuhr man, dass die Sängerin schon seit längerem ihr zweites Zuhause in New York gefunden hat und dort auch – das ist schon beinahe gelebtes Klischee – in einer Kirche im Chor mitsingt, entsprechendes Outfit inklusive. Ihre Spiritualität ist der Sängerin gegeben, sie habe aber auch gelernt, diese zu zelebrieren, indem sie beispielsweise trotz ihres vollen Terminkalenders «stille Morgen» habe. Zeit also, die ganz allein ihr gehört und die sie auch als solche zelebriere. Anders wäre ein solch hoher und konstanter Output auch kaum möglich, derzeit ist die Sängerin beinahe täglich irgendwo im Land für einen Auftritt unterwegs. Umso schöner, dass es die innovativen Männer und Frauen der City-Kirche geschafft haben, eine Perle wie Christina Jaccard auf die Bühne – pardon – Plättli zu bringen.(Haymo Empl)