Groove ist, wenn's sitzt

Dies & Das

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50 Musiker, ein Rhythmus. Der Monster-Groove-Gründer Simon Berz erzählt, was passiert, wenn so viele Musiker
miteinander ­improvisieren.

  • Simon Berz beim Leiten des Monster Grooves. Bild: PD
    Simon Berz beim Leiten des Monster Grooves. Bild: PD

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Juli/August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zur Ausgabe als PDF.

Kling, kling, kling, eine Glocke zählt ein und eint – kling – die über fünfzig Drummer – kling – im selben Tempo – klong – im selben Groove. Der Monstergroove stampft und springt, schwillt an und bricht. Wenn so viele Musiker eine Stunde lang zusammen in der Zuger Chollerhalle improvisieren, passiert das Wichtigste nicht in den Ohren, sondern im Bauch. Es ist diese warme Sicherheit hinter dem Zwerchfell, die Lust zum Tanzen macht. Lust zum Spielen.

Was ist Groove, Simon Berz?
«Der Ausdruck Groove kommt davon, wenn die Plattennadel in der Rille sitzt. Die Nadel ist dann nicht einfach auf einer Linie, sie schwingt.»

Simon Berz ist der Initiator des Monster Groove. Der Musiker und Klangkünstler hat den Monster Groove 2010 gegründet, in diesem Jahr findet er das sechste Mal statt. Dabei improvisieren verschiedene Musiker und Drummer unter seiner Leitung während einer Stunde zusammen. Profis, Amateure, die Schülerinnen und Schüler der Badabum-Schlagzeugschule und Gäste aus aller Welt. Das Resultat verursacht Gänsehaut, wenn das Monster sich regt, bleibt niemand unberührt. Berz geht einen wechselvollen Weg, war Primarlehrer, Heilpädagoge, dann Künstler.

Wie war das, als Sie 1998 mit einem Stipendium fürs Drummers Collective nach New York gingen?
«Wir wohnten zu viert in 4 m2 grossen Drumboxen am Times Square. Wir haben zwölf Stunden am Tag Schlagzeug gespielt, und danach gingen wir an Konzerte oder spielten mit anderen zusammen ein Konzert. Morgens um zehn ging es dann wieder los, weil mindestens einer anfing zu üben. In New York hat jeder von uns zwanzig Kassetten mit Jazzklassikern bekommen. Ich habe mir also einen Walkman und eine dicke Lederjacke gekauft und bin jeden Tag mit diesen zwanzig Kassetten auf den Ohren ans Drummers Collectiv geradelt. Ich müsse Musik hören, sagten sie, die eine Hälfte der Ausbildung sei das Collectiv, die andere Hälfte New York.»

Das Rockstar-Leben in Reichweite
Dann spielte Berz in diversen Bands und Projekten und landete einige Jahre später in Berlin, χ wo er mit der experimentellen Elektronik-Band Apparat zusammenspielte. Es roch nach Erfolg, nach grossen Konzerten, Ankommen im Mainstream mit einer stilbildenden Formation: Touren durch Japan und Amerika standen an.

Aber es kommt anders. Wieso?
Berz: «Ich habe mich gegen das eigentliche Rock-’n’-Roll-Leben entschieden. Was mich viel mehr interessierte als Popmusik ist die Innovation.»
Die Innovation, die Improvisation, die Interaktion: Drei Dinge, die in verschiedenen Facetten immer wieder bei Berz auftauchen. Dinge, die im Moment entstehen. Ohne intellektuellen Schnickschnack, unergründbar für Analysten, Groove misst man nicht. Ein aktuelles Projekt von Berz ist die Band «Fell». Mit dem niederländischen Klangkünstler Toktek zusammen entstehen dort manchmal wilde, manchmal sphärische Klänge zwischen Elektronik und Drum. Toktek sampelt dabei mit speziell programmierten Joysticks die Klänge von Berz’ Drum. Es entstehen Geräusche, die man so noch nie hörte.

Was macht das mit uns, wenn wir Dinge hören, die es nicht gibt?
Berz: «Das Hören ist etwas vom Intimsten, was wir haben. Geräusche machen uns neugierig. Und wenn man das Hören trainiert, sich bewusst fremden Geräuschen aussetzt, trainiert man auch die Neugier. Man lernt dabei viel über sich selber und wie man selbst in der Welt steht.»

2009 wurde Simon Berz mit einem Duo in New Orleans gebucht. Der Promoter kannte die beiden nicht persönlich. Der Besuch dort und die ersten paar Konzerte in der Jazzmetropole sollten der Anfang einer grossen Liebesgeschichte werden. Und New Orleans erwiderte Berz’ Liebe bedingungslos. Seither verbringt er im Jahr rund zwei Monate dort und spielt etwa dreissig Shows während dieser Zeit.

Wie kam das?
Berz: «In New Orleans gibt es gleich gegenüber dem Gericht THE SIDE Bar, die hat kein Geld. Weil da zu viele Polizisten rumhängen, will dort eigentlich sonst keiner rein. Der Promoter, der uns gebucht hat, wollte dem Barmann helfen und fing an, dort frei improvisierte Konzerte zu organisieren, und ich wurde Artist in residence in der Bar, die mittlerweile eines der besten Konzertlokale ist. Ich habe dort mit Helen Gillet, Johnny Vidacovich, James Singleton, Brad Walker, Aurora Nealand und vielen Musikern aus Europa gespielt.»

Nach der Verwüstung durch den Hurrikan Kathrina hat Berz aus herumliegendem Abfall Ins­trumente gebaut und mit Musikerinnen in einer Kunstgalerie zusammen improvisiert. Daraus wurden ein Dokfilm und ein Album: «Liquid Land». Das Projekt beeindruckte die Szene. Ein Veranstalter hat daraufhin angefangen improvisierte Konzerte zu veranstalten, an denen Simon Berz ein fester Bestandteil wurde.

Der Nomade
Holland, Berlin, Touren durch Cuba, Amerika, Japan, Russland, China und Europa und dann noch zweimal im Jahr in Zug. Einmal für den Monster Groove, einmal für die WunderBAR an Heilig Abend auf dem Landsgemeindeplatz, dessen Erlös an Ärzte ohne Grenzen gespendet wird.

New Orleans, Zürich, wo ist Ihr Zentrum?
Berz: «Momentan bin ich ein Nomade. Ich habe meine Wohnung in Zürich untervermietet. Das jetzt gerade ist auch eine super Lebenserfahrung. Immer unterwegs sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal so erleben würde.»

Kling – kling – klong – Stück für Stück setzen die Musiker ein, stimmen sich fliessend untereinander ab, tun, was sich richtig anfühlt und hören genau hin. Auf sich selbst, auf alle, auf den Groove. Der Monster Groove kondensiert viele Ideen, die Berz in seinen Projekten verfolgt.

Wofür braucht’s den Monster Groove?
Berz: «Das Improvisieren ist meine Antwort auf die Situation, in der wir leben. Es braucht dieses erdige Element. Rhythmus zu erleben, sich zu Rhythmus bewegen hat etwas sehr ursprüngliches. Die Interaktion mit dem Körper macht uns intelligent. Das ist vielleicht etwas, was ich noch vom Heilpädagogikstudium habe.
Aber auch vom Künstlerischen her ist das interessant. Wir sind eine sehr leistungsorientierte Gesellschaft geworden. Interaktion mit Musik überlassen wir zu einem grossen Teil der Volksmusik. Der Monster Groove ist eine ‹andere› Volksmusik. Wir haben so viele Wettbewerbe, man muss immer der Beste sein. Mir geht es darum erstmal, herauszufinden wie man selber und in der Gruppe klingt, ohne Wettbewerb oder Preisgeld.»
Kling – kling – Simon Berz schlägt die Glocke, stampft mit den Füssen den Takt in den Grund und verzieht – kling – das Gesicht zum Grinsen.

Was passiert mit jenen, die am Monster Groove spielen?
Berz: «Sie sind im Moment.»
– Klong –
(Lionel Hausheer)