Ein «Exot» unter den Wegkreuzen

Brauchtum & Geschichte

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Das stattliche Patriarchenkreuz bei Blickensdorf ist eine kleine Besonderheit in der vielfältigen Zuger Sakrallandschaft. Unweit im Dorf steht indes ein «kleiner Bruder».

  • An der Strasse von Blickensdorf nach Steinhausen ist das stattliche Patriarchenkreuz nicht zu übersehen. (Bild Maria Schmid)
    An der Strasse von Blickensdorf nach Steinhausen ist das stattliche Patriarchenkreuz nicht zu übersehen. (Bild Maria Schmid)

Baar – In katholischen Gefilden ist der Reichtum an Wegkreuzen besonders ausgeprägt, so begegnet man ihnen auch im Kanton Zug auf Schritt und Tritt. Wir treffen hier auf prächtige Exemplare aus der Barockzeit, einfachere aus dem 19. Jahrhundert, solche aus Stein, solche aus Holz, einige erheben gar einen künstlerischen Anspruch. Und dann gibt es noch jene, welche durch ihre Gestaltung besonders aus der Menge herausragen. So wie etwa jenes höchst eindrucksvolle Beispiel beim Hof Unterzimbel an der Strasse von Blickensdorf nach Steinhausen. Aufwendig gestaltet ist es, überdurchschnittlich hoch und massiv. Sein augenfälligstes Merkmal aber ist der zweite, kürzere Querbalken.

Von Byzanz nach Europa

Doppelkreuze in dieser Form als Steinmonument am Weg sind vergleichsweise sehr selten. Man nennt den Typus unter anderem «Päpstliches», «Spanisches», «Ungarisches» oder – am geläufigsten – «Patriarchenkreuz». Der Ursprung des zweiten, kürzeren Querbalkens liegt gemäss allgemeiner Auffassung bei der am Kreuze Jesu angebrachten Inschrifttafel «INRI» (Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – «Jesus von Nazaret, König der Juden»). Demnach ist der Typus des Patriarchenkreuzes also entstanden, indem man mit einem zweiten, kürzeren Balken diese Titeltafel symbolisierte.

Die Form des Doppelkreuzes als Zeichen der Verehrung Christi ist mit Sicherheit jünger als die klassische Kreuzform. Historiker verorten den Ursprung des Doppelkreuzes vornehmlich im Syrien des 6. Jahrhunderts, wo die allgemeine Kreuzverehrung früher eingesetzt hat als andernorts. Im Byzantinischen Reich breitete sich das Doppelkreuz rasch aus, während im Abendland erst für das 10. Jahrhundert erste Doppelkreuze bezeugt sind. Als ab dem 12. Jahrhundert erbeutete Reliquienschätze aus Byzanz nach Westeuropa gebracht wurden, gewann hier auch das Doppelkreuz an Popularität. In Deutschland wurde es vorderhand als «Scheyererkreuz» bekannt. Dies, nachdem das Kloster Scheyern zu einem Doppelkreuz gekommen war, welches Herzog Konrad von Dachau in Jerusalem erstanden und nach seinem Tod im Jahre 1159 dem Kloster vermacht hatte. Davon ausgehend entwickelte sich im süddeutschen Raum eine grosse Verehrung des «Crux Schurensis» als christliches Schutzsymbol auf Gebäuden, an Portalen, auf Kirchenglocken oder an Weggabelungen.

Vom Ursprung des Begriffs

Die heute landläufige Bezeichnung «Patriarchenkreuz» ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass das Doppelkreuz häufig von Kirchenfürsten wie dem Papst oder von Bischöfen vorgetragen wurde. Eine weitere Erklärung für den Begriff liegt darin, dass der Patriarch von Jerusalem dem Volk bis mindestens ins 8. Jahrhundert traditionsgemäss in der Karwoche ein Doppelkreuz mit einer Kreuzpartikel zur Verehrung präsentierte.

Warum das Patriarchenkreuz im Unterzimbel nun als solches gestaltet ist, bleibt offen. Naheliegender jedenfalls als der direkte Verweis nach Byzanz ist wohl der Bezug zum Patriarchenkreuz, welches der Baarer Kirchturm auf seiner Spitze trägt, wobei dieses dem Typus des sogenannten «Lothringerkreuzes» etwas näher steht, weil die beiden Querbalken fast gleich lang sind. Dieses Doppelkreuz auf dem Kirchturm war vermutlich einst auch Vorbild für das Lothringerkreuz im heutigen Baarer Gemeindewappen.

Ein fast baugleiches, einbalkiges Pendant

Gestaltet ist unser Wegkreuz aus Sandstein an der Steinhauserstrasse bei Blickensdorf im neugotischen Stil. Es ist plastisch reich ausgearbeitet. Im Feld des formschön sich verjüngend gestuften Sockels sind die Worte Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit Amen eingemeisselt. Wie der renommierte Zuger Kunsthistoriker Josef Grünenfelder feststellt, zitiert das Patriarchenkreuz im Unterzimbel die gestalterischen Formen des Wegkreuzes unten im Baarer Dorf an der Asylstrasse beim Martinspark. Dieses steht hier seit 1997. Es war vom alten Baarer Friedhof hierher verbracht worden, um das morsch gewordene Eichenkreuz von 1930 zu ersetzen. Aufgrund der weitgehenden gestalterischen Analogie der beiden Sandsteinkreuze sowie ihrer gleichen Entstehungszeit kann man möglicherweise ein- und dieselbe Werkstatt annehmen. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.