Wilde, bunte Performance aus Belgien

Theater & Tanz

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Die «Needcompany» führt im Theater Casino Zug ihr Stück «Probabilities of Independent Events» auf.

  • Frech, jung und lebensfroh wirbeln die Tänzerinnen über die Bühne. (Bild Alexandra Wey)
    Frech, jung und lebensfroh wirbeln die Tänzerinnen über die Bühne. (Bild Alexandra Wey)

Zug – Die grosse Bühne des Theater Casino Zug hat für einmal einen strahlend weissen Boden. Links und rechts und nahe an der Rampe sitzen und stehen sechs Musiker mit ihren E- und A-Gitarren, Keyboard, Violine, Cello und Schlagzeug. Eine Akkordeonistin gehört auch dazu, aber sie tritt gleich zu Beginn in die Mitte und spricht zum Publikum: «Wir haben Probleme mit den Kostümen. In der Zwischenzeit zeige ich Ihnen den Kostüm-Rhythmus.»

Ihr Stampfen und Klatschen wird von der ganzen Band übernommen, und zu diesem Beat strömen nun zehn junge Tänzerinnen und ein Tänzer herein, natürlich in Unterwäsche, denn die Kostüme sind, wie gesagt, noch nicht da.

Fliegende Kostümierung

Als der von einem Velo gezogene Kostümwagen schliesslich erscheint, werden die Kleider tanzend herausgezogen und übergestreift – bunte, aus Tüchern in fröhlichen Farben zusammengenähte weite Gewänder, die zusammen mit einer fulminanten Gruppenchoreografie zur einsetzenden Livemusik ein wirbelndes Kaleidoskop ergeben. Visuell und akustisch sofort mitreissend.

Der jüngste der Musiker hüpft samt Gitarre über die Bühne, fegt um die Tanzenden herum, performt mit ihnen. Einen Augenblick lang halten die Irrwische inne und weisen auf den Schlagzeuger, der begeistert zu singen beginnt: «I want it all, and I want it now.» Der Queens-Schlager eröffnet eine Show, die 75 Minuten dauern wird: «Probabilities of Independent Events» der belgischen Needcompany nimmt Pop- und Folksongs von Musikikonen als Ausgangslage und verwandelt die Bühne in eine wilde, groteske Party. Die Veranstaltung ist Teil des Migros-Kulturprozent-Tanzfestivals «Steps».

«Was ist möglich, was ist wahrscheinlich, was ist planbar?», fragt das Stück und beantwort seine Frage gleich selbst: «Alles!» Es will «urkomische Geschichte», «Ode ans Leben, an die Fantasie und das Querdenken», ein «Hoch auf das Zusammensein, die Übertreibung und den Kitsch» sein. Alles im Superlativ.

Alles noch unfertig, fünf Tage vor der Aufführung. Grace Ellen Barkey, die Choreografin und künstlerische Leiterin, steht in den ersten Reihen der Zuschauerarena und beobachtet den Durchlauf der ersten Szene. Die in Indonesien geborene, seit über dreissig Jahren in Brüssel arbeitende Tänzerin und Performerin gründete 1986 gemeinsam mit dem darstellenden Künstler Jan Lauwers die Needcompany. 2004 stiess Maarten Seghers dazu.

Das Markenzeichen dieser dreiköpfigen Kerntruppe ist Multidisziplinarität: Musik, Theater, Tanz, Performance und visuelle Künste werden in kreativen Mischungen zu Bühnenstücken, Installationen, Museumsprojekten bis hin zu grossen Festival-Opern zusammengefügt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Needcompany hat damit seit dreissig Jahren Erfolg in nahezu allen europäischen Hauptstädten, tourt aber auch durch Süd- und Nordamerika, Australien, Japan und weitere asiatische Länder.

Zusammenarbeit mit der Züricher Hochschule

Für die schweizerische Erstaufführung von «Probabilities of Independent Events» hat die Steps-Festivalleitung Barkey eine Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Zeitgenössischen und Urbanen Tanz vorgeschlagen. Die jungen Tanzenden, die zwischen klassischem Ballett und Streetdance eine äusserst breite Palette an Tanzsprachen verkörpern, haben knapp zehn Tage Zeit für das Einstudieren des Stücks.

Barkey und der Bandleader Rombout Willems sind nicht schnell zufrieden, es wird wiederholt und korrigiert – in auffallend respekt- und humorvoller Atmosphäre. Später wird die Choreografin im Gespräch sagen: «Es geht um die Zukunft der Jugend, um ihre Energie, ihre Träume. Eben um dieses ‹I want it all, and I want it now.›» Hinter diesem Satz leuchten Fragen auf: Und die Klimajugend, die weiss, dass sie nicht mehr alles wird haben können? Und die Jugend in Indien, die aktuell bereits mit der Klimaüberhitzung zurechtkommen muss? Sind das nicht die Kehrseiten des konsumorientierten «Alles-und-sofort-haben-Wollens»?

Man kann das Needcompany-Projekt als Feier einer tsunamihaften Jugendkraft lesen, man kann es aber auch, viel ambivalenter, als Fingerzeig wahrnehmen, und so hätte die Kunst einmal mehr die Funktion der antiken Seherin und Warnerin Kassandra, die das grössere Bild in den Blick fasst. Absolut sehenswert.

Hinweis
«Probabilities of Independent Events» wird von der Needcompany im Theater Casino Zug am 4. und 5. Mai 2022, je 20.00 Uhr, aufgeführt. Danach folgt eine Tournee quer durch die Schweiz. Weitere Infos und Tickets: www.theatercasino.chwww.steps.ch und www.needcompany.org.