Zu gutes Zeugs für nur auf Platte

Dies & Das

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Delilah meets Bitch Queen: Was passiert, wenn zwei Musiker ohne Plan ein Album produzieren? Ein irrer Flug zur Hauptstadt der toten Spielzeuge.

  • X-Darlings: Isabella Eder und Harry Darling. Bild: PD (Rolf Fassbind)
    X-Darlings: Isabella Eder und Harry Darling. Bild: PD (Rolf Fassbind)

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe (#56) des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Artikeln, und hier gibts das PDF.

Die Songs von X-Darlings sind der perfekte Soundtrack, um ein brennendes Spielzeug-Blechauto mit 180 km/h durch die Wand zu fahren. Die Band X-Darlings scheint aus dem Nichts zu kommen. Dies sogar in mehrfacher Hinsicht. Das Projekt ist nur entstanden, weil er, Harry Darling, zu viele Songs schreibt. In seiner Stammband, die Glam-Rocker Bitch Queens aus Basel, können nicht alle Songs verwirklicht werden. Ausserdem hätten die Basler mittlerweile, nach rund fünfzehn Jahren, eine eher gefestigte Idee, wie Bitch-Queens-Songs klingen sollten. «Ich hielt es nicht mehr aus, dass so viele Songs halb fertig bei mir rumliegen.»

Harry hat das Glück, dass er alles kann. Jedenfalls deckt er im Produktionsweg einer Rockplatte fast jeden Schritt ab. Er ist Schlagzeuger und nützlicherweise allgemein multibegabt an Instrumenten, hat ein eigenes Tonstudio und arbeitet selber als Live-Tontechniker. Ach ja, Gitarre spielen und singen kann er auch noch, denn Songs schreiben sich schlecht ohne minimales Handwerk.

Also steckte er seine Gitarre am Computer ein, rattert sechs rohe Songs rein und schickt sie seiner Freundin: Isabella Eder von den Delilahs. Sie ist Gründungsmitglied der Zuger Band und etwa genauso lange im Musikgeschäft wie Harry. Was sie hört, gefällt und überrascht. «Ich war mir gar nicht bewusst, dass dieses Projekt so konkret in Harrys Kopf war», erzählt Isabella Eder. Klar hätten sie bereits vorher darüber geredet, dass sie gerne mal zusammen etwas machen würden. Doch nun wurde der Plan erst richtig konkret. Harry Darling: «Es ist schön, nun ein Projekt zu haben, an dem wir beide das tun können, was wir lieben. Ohne dass dafür unsere Beziehungszeit draufgeht.»

Hauptstadt der toten Spielsachen
Im Sommer vor zwei Jahren gingen sie mit einigen Songideen ins Studio. Eine Woche, nur sie beide. Ein Songschreiber, der mit dem Projekt erstmals aus dem schattigen Dasein der Drummer heraustreten wird. Und die Zweite Gitarre der Vorzeigerockband aus Zug. Herausgekommen ist dabei ein Debütalbum mit neun Tracks und einiges an Wumms: «Dead Toy Capital of the World».

«Ich wollte bei dem Projekt einfach mal machen, ohne zu viel zu denken», sagt Harry Darling. Bei seiner anderen Band werde immer sehr viel Konzeptionelles miteingearbeitet. Klar: eine Glamrock-Band hat quasi ein festes Genre, in das die Songs schlussendlich einzuordnen sind. Und feste Fans, die man nicht enttäuschen will. Ungefähr das Gleiche gilt für die Studio c arbeit der Delilahs. Nach rund fünfzehn Jahren im Schweizer Musikkuchen weiss man zwar, wie das Ding funktioniert. Aber mit dem Erfolg kommen auch einige Schranken.

«Wir hatten absolut keine Erwartungen an das Projekt», sagt Isabella Eder. Am Anfang sei nicht mal geplant gewesen, dass es überhaupt Shows geben sollte. «Die Band war so noch gar nicht existent, wir waren erstmal ja nur zu zweit.» Zu der Zeit waren die X-Darlings noch ein reines Recording-Projekt. Diese Haltung sei unglaublich befreiend gewesen, erinnert sich Harry Darling. «Die Synthesizer auf der Platte sind ein Produkt dieses Keine-Erwartungen-Habens.»

Entsprechend schwierig ist «Dead Toy Capital of the World» genremässig einzuordnen. Harry Darling versucht es scherzhaft mit «Alternativ-Apocalypse-Cyber-Punk-Rock» und trifft es dabei besser, als es jedem Musikjournalisten möglich wäre. Die Bindestrich-Orgie beschreibt nämlich ganz treffend die stimmige Vielfalt einer angenehm trashig produzierten Rockplatte aus dem Jahr 2018. Also leicht in der Zukunft gelegen, da sie bereits vor zwei Jahren im Studio waren.

Nach vorne auf die Bühne
Während des Fertigungsprozesses der Platte fiel irgendwann die Entscheidung: «Wir merkten, hey, das ist besser als erwartet, das wollen wir live spielen können», sagt Isabella Eder. Also suchten sich die zwei noch zwei weitere Mitstreiter und buchten die ersten Shows. Ausserdem ist das für Harry Darling endlich die Chance, vorne auf der Bühne zu stehen. Jetzt, da er nicht mehr hinter dem Schlagzeug versteckt ist, wird es auch endlich mal brauchbare Fotos von ihm geben.

Die erste Show spielten X-Darlings vor wenigen Wochen am «Seelenwärmer». Ein Festival im Gasthaus Grünenwald auf halbem Weg nach Engelberg, keine Bühne, keine Monitoren, keine teure Musikanlage. Doch der Auftritt war gut, die Songs funktionierten. «Ein guter Gradmesser ist immer der CD-Stand. Werden T-Shirts und CDs einer bis dahin unbekannten Band gekauft, kann es nicht so schlecht gewesen sein», sagt Harry Darling. Die X-Darlings verkauften gut. Auch an ihrer zweiten Show, in einer Konzert-Location mit einer richtigen Bühne und guten Anlage. «Da hörte man dann auch, dass die Songs gut live zu spielen sind», sagt Isabella Eder.

Blechauto aufziehen, anzünden und los
Gute Platte, gute Shows, und nun kommt der grosse Durchbruch? «Ach, wir wissen, wie das läuft, wir sind nicht mehr zwanzig», sagt Isabella Eder. Sie beide wissen aus Erfahrungen mit ihren anderen Bands, was realistische Erwartungen sind. «X-Darlings sollen schon eine Band sein, die Shows spielt», sagt Isabella Eder. Und eine zweite Platte, die komme wohl von alleine, sagt Harry Darling: «Ich habe einen konstanten Fluss an Songideen, das wird sich so schnell nicht ändern.»

Wenn er jede davon verwirklichen würde, kämen wahrscheinlich acht Platten jährlich heraus. Realistische Erwartungen, das klingt gesetzt und abgeklärt und eigentlich gar nicht nach Leuten, die ein Album wie «Dead Toy Capital of the World» aufnehmen. Das liegt wohl daran, dass die zwei ihre Musik nicht wegen des grossen Traums machen. Sondern ihren Traum bereits leben. Isabella Eder: «Songs schreiben, Platten aufnehmen und Shows spielen. Das macht uns einfach unglaublich viel Spass.» Und das merkt man. Also: Dreht euer Blechauto auf, angezündet und losgefahren. Wo’s hingeht, weiss keiner.

Text: Lionel Hausheer