Dieser Schmuck beeindruckt

Kunst & Baukultur, Dies & Das

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Auf der anderen Strassenseite der katholischen Baarer Dorfkirche St. Martin steht ein Gebäude mit besonderer Bemalung. Der Bau entstand im späten 18. Jahrhundert. Das Reidhaar-Pfrundhaus diente einst als Lateinschule.

  • Das bemalte Pfrundhaus Reidhaar an der Zugerstrasse. (Bild Matthias Blattmann)
    Das bemalte Pfrundhaus Reidhaar an der Zugerstrasse. (Bild Matthias Blattmann)

Baar – Dem Baarer Dorfzentrum fehlte und fehlt eine durchdachte Struktur. Das alte Rathaus ist ein Blickfang. Die Kirche St.Martin natürlich auch. Aber damit hat es sich. Doch es gibt noch weitere Gebäude, welche mehr Beachtung verdient hätten. Eines ist das sogenannte Reidhaar-Pfrundhaus. Das Gebäude mit der Eidotterfarbe steht auf der anderen Strassenseite der katholischen Kirche St.Martin.

Der Bau sei etwas Spezielles, wie das Inventarblatt des Amts für Denkmalpflege und Archäologie offenbart: «Mit seiner reichen Bemalung mit Eckquadern, Friesen, Gehängen und einer grossen Gloriole im westlichen Giebelfeld ist das Gebäude nicht nur auf dem Gemeindegebiet von Baar, sondern auch im weiteren Umkreis eine Besonderheit.» Die Baute sei, so ist im Inventarblatt des Kantons Zug weiterzulesen, gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Doppelwohnhaus errichtet worden.

Eheleute stifteten ein Vermögen

Das Geld für den Bau stammt aus den sogenannten Reidhaaren-Pfründen. Diese errichteten der Baarer Säckelmeister Johann Christoph Reidhaar (1685–1754) und seine Ehefrau Maria Katharina Ohnsorg (1717–1763). Die Testamente der Eheleute lagern noch heute im Pfarreiarchiv in Baar. Eine Pfrund ist vereinfacht gesagt, ein mit einem gottesdienstlichen Amt verknüpftes Einkommen aus einem Vermögen. Die Eheleute stifteten ein Vermögen, aus welchem dann die Pfrundnehmer zu bezahlen waren. Wie der Baarer Bürgerschreiber Franz Hotz (1887–1970) in seiner im «Zugerbieter» im Ende Januar 1950 veröffentlichten Schulgeschichte schreibt, seien diese Stellen beliebt gewesen.

Der ehemalige Bürgerschreiber Franz Hotz stellt die Bedeutung der zu vergebenden Pfründe so dar: «Durch die beiden Reidhaaren-Pfründe erhielt Baar ein vollwertiges Gymnasium.» Die Pfründe waren auch durchaus gut dotiert. So weiss Hotz zu berichten, dass jede Pfrund ein Haus erhalten soll. Johann Christoph Reidhaar hat in seinem Testament verfügt, dass der Zins der 7000 Gulden so lange stehen gelassen werden soll, bis genügend Mittel für einen Hausbau zur Verfügung stehen.

Wie die Reidhaars von Baar zu ihrem stattlichen Vermögen kamen, muss offen bleiben. Hingegen ist verbrieft, dass ein Hans Reidhaar aus Küsnacht am rechten Zürichseeufer kurz nach der Niederlage Zürichs bei Kappel (1529) nach Baar übersiedelte. Dies deshalb, «weil er dem alten Glauben hatte treu bleiben wollen». In einem Reidhaar-Porträt im Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Familienforschung (Ausgabe 1984) ist die Rede davon, dass sich der Hof von Hans Reidhaar im Aufmarsch- und Kampfgebiet der Kappelerkriege befunden habe.

Die Familie Reidhaar scheint sehr schnell in Baar Anschluss gefunden zu haben, denn nur 50 Jahre nach der Einwanderung erhielten sechs Männer mit dem Namen Reidhaar das Baarer Bürgerrecht. Sie konnten dadurch auch der Korporation Deinikon beitreten. Einem Reidhaar gehörte auch die Liegenschaft Büni. Dort befand sich angeblich der Tisch, auf dem 1531 die beiden Kriegsparteien den Friedensschluss im Zweiten Kappelerkrieg besiegelten.

Die Reidhaare bewirtschafteten, so ist im Jahrbuch zur Familienforschung zu lesen, im Gebiet Deinikon mehrere Höfe. Es war eine strategisch empfindliche Gegend, denn auch im Rahmen der Villmergerkriege (1656 und 1712) zwischen reformierten und katholischen Kantonen wurden in Deinikon Höfe gebrandschatzt und verwüstet. Ein Johann Kaspar Reidhaar fiel 1712 bei Villmergen.

Schon damals lief beim Hausbau nicht alles rund

Wie das Jahrbuch zur Familienforschung weiter zu berichten weiss, hätten verschiedene Reidhaare eine Laufbahn als Geistliche eingeschlagen. Im 19. Jahrhundert hat es dann verschiedene Mitglieder des Reidhaar-Stammes ins Ausland verschlagen. Einer suchte im US-Bundesstaat Wisconsin ein Auskommen als Farmer, wobei er Milchbauer war. Das ist insofern speziell, als dass schon die Baarer Reidhaar-Sprosse ein Auskommen in diesem landwirtschaftlichen Segment fanden. Er hat viele Nachahmer gefunden, denn heute gilt Wisconsin als der Milchhof der USA.

In der vorerwähnten Schulgeschichte von Franz Hotz im «Zugerbieter» erfährt der Leser und die Leserin auch einiges über den Bau des heute noch stehenden Pfrundhauses. Die Fundamente für das neue Pfrundhaus seien 1786 ausgegraben worden. Anfang 1788 hatte die Bauherrschaft mit dem Bau des Gartens zu tun. Im gleichen Jahr überwiesen die Bauherren einem Luzerner 3500 Gulden für den Hochbau. Dieser schien dann aber nicht den Wünschen entsprechend erledigt worden. Es gab denn auch Mängelrügen: «Noch im August 1788 wurde Herr Professor Stocker ersucht, mit dem Einzug zu warten, weil Baumeister Singer in den nächsten Tagen komme, damit von ihm und Landvogt Andermatt das Mangelhafte gezeigt werde.»

Wegen Reformen verlor das Haus an Bedeutung

Wann der Professor seine erste Lektion erteilte, ist nicht verbrieft. Den Vorläuferbau verkaufte die Bauherrschaft für 904 Gulden. Das kleine Pfründe-Schulhaus erfüllte seinen Zweck fast während 130 Jahren. Im Zuge einer Gymnasialreform verlor die Lateinschule im Pfrundhaus ihre Bedeutung.

Das Gebäude bei der St.-Martin-Kirche versah die Eigentümerschaft zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit einer Gloriole am westlichen Giebel. Dort ist zu lesen: «Soli Deo Gloria», zu Deutsch: «Gott allein die Ehre.» Ebendiese drei Wörter zieren auch den Buchdeckel der ersten Baarer Gemeinderatsprotokolle. Die Sammlung beginnt mit dem Jahr 1640. (Marco Morosoli)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.