Welche Temperatur hat die deutsche Sprache?

Literatur & Gesellschaft

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Gestern haben «Stars der Migrantenliteratur» von ihrer Beziehung zur deutschen Sprache erzählt. Eine Gesprächsrunde mit tiefen Einblicken.

Zug – Sie ist eine blitzgescheite Sprachkünstlerin: Yoko Tawada, geboren 1960 in Japan, zu Hause seit 1982 in Deutschland, Literaturwissenschaftlerin, Autorin von Prosa und Lyrik, Essays und Dramatik in japanischer wie deutscher Sprache. Im Burgbachkeller liest sie – beim von der Literarischen Gesellschaft Zug veranstalteten Wochenende unter dem Motto «Schreiben im neuen Land» – aus ihrem soeben erschienenen jüngsten Roman vor. «Etüden im Schnee» kann man durchaus als liebevolle Persiflage auf die Migrantenliteratur verstehen: Drei Generationen Eisbären spielen die Hauptrolle, die ihre Leben in Moskau, der DDR und dem wiedervereinigten Deutschland verbringen. «Alle politischen Probleme haben mit Eisbären zu tun», erklärt Tawada augenzwinkernd ihre aktuelle Fokussierung auf diese Tiere.

Die Wahlberlinerin bringt die zahlreichen Zuhörer auf vielerlei Weise zum Schmunzeln und Nachdenken. Sie liest aus Gedichten und schärft den Blick auf Worte, auf die feinen Nuancen ihrer Bedeutung: «ICH muss keine Steuern zahlen DU musst nicht zur Bundeswehr, denn ein DU tötet nicht.» Sie schäkert mit der Sprache: «Ein Mus ist kein Muss», doch gebe es viele Sorten davon. «Mandelmus gibt es nur im Reformhaus, und dieses hat nicht bei jeder Reform mitgewirkt, auch nicht bei der Rechtschreibreform.» So geht es Schlag auf Schlag, Tawada möchte Sprache aus «allen Winkeln betrachten und mit ihr arbeiten». Da greift Thomas Heimgartner von der Literarischen Gesellschaft eine Frage Ilma Rakusas auf, der Moderatorin der Gesprächsrunde: «Welche Temperatur hat die deutsche Literatur?» Eine genaue Antwort erhält man nicht, aber Tawada spricht von jüdischer Literatur, die sie geprägt habe, Kafka, Celan, Benjamin. Und davon, dass man im protestantischen Norddeutschland keine Witze mache: Wenn etwas falsch laufe, fühle man sich verpflichtet, es zu ändern – und nicht zu scherzen.

Tawada erzählt, als Jugendliche osteuropäische Witze bewundert zu haben wegen ihrer Pointen, japanische Witze seien langsamer und hörten vor der Pointe auf (hier lacht der Saal).

Obsessive Rückkehr

Und sie bezieht sich auf ihren Kollegen in der Gesprächsrunde, den 1967 in Rumänien geborenen und seit 1982 in der Schweiz lebenden Autoren Catalin Dorian Florescu. Dieser serviert als Dessert Witze aus der Zeit des Kommunismus. Und was antwortet Florescu Rakusa auf ihre Frage nach der Temperatur der deutschen Sprache? «Es wäre ein Fehler, die rumänische Temperatur in die deutsche Literatur zu übernehmen.» Er habe mit 15 alles in Rumänien zurückgelassen, die erste Liebe, seine Kinder- und Jugendbücher von Twain und Verne «mein Fundament». Heute bereise er seine erste Heimat obsessiv: «Die Nabelschnur besteht, das Rumänisch ist geblieben.» Er wende sich inhaltlich dem Osten zu: «Der Balkan weht durch meine Bücher.» Die Stellung des herausgestellten Exoten möge er aber nicht: «Ich schreibe über den Menschen und das Leben wie alle anderen auch – es ist immer dasselbe.» (Susanne Holz)