Wiener Romantik im Casino Zug

Musik

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Unter dem Titel «Vienna Sounds» hatten die Männerchöre Zug-Cham und Harmonie Altdorf zusammen mit dem Stadtorchester Zug zu einem sonntäglichen Ohrenschmaus geladen.

  • Tenor Simon Witzig, das Zuger Stadtorchester und die Männerchöre Zug-Cham und Harmonie Altdorf. (Bild Matthias Jurt)
    Tenor Simon Witzig, das Zuger Stadtorchester und die Männerchöre Zug-Cham und Harmonie Altdorf. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Der grosse Konzertsaal im Theater Casino Zug füllte sich am Sonntagmorgen zu über drei Vierteln. Vorwiegend ältere Menschen, aber auch Familien mit Kindern waren gekommen, um sich die romantischen Leckerbissen nicht entgehen zu lassen, die vor allem mit den Strauss-Walzern «Wein, Weib und Gesang» und «An der schönen blauen Donau» versprochen waren. Das ist hierzulande ein seltener Genuss, besonders, wenn er in der Originalfassung unter Beteiligung von Männerchören dargeboten wird.

«Nach unserer zweijährigen, durch Covid erzwungenen Konzertpause freuen wir uns, Ihnen heute Stücke von vier Komponisten aus Wien aufzuspielen, welche die Musikwelt nachhaltig beeinflusst haben», erklärte Lukas Marbacher, Präsident der Männerchöre Zug-Cham, mit sonorem Bass ins Mikrofon: «Zusammen mit dem Stadtorchester Zug und dem Männerchor Harmonie Altdorf möchten wir Sie in die Zeit der Romantik entführen.» Den Dirigentenstab führte Martin Geiser, der für den erkrankten Stammdirigenten der beiden Chöre, Felix J.S. Arnold, eingesprungen ist. Unter seinen ruhigen, gesammelten Handbewegungen begann die glanzvolle Ouvertüre aus Mozarts «Hochzeit des Figaro» (KV 492).

Tenor wusste zu überzeugen

Sie stimmte ein auf zwei Gesangsstücke, in denen Tenor Simon Witzig brillieren konnte: Nach einer orchestralen Introduktion, die ein wenig an die Majestät des priesterlichen Sarastro in der «Zauberflöte» erinnerte, besangen die Chorsänger in schwarzem Hemd und weissem Schlips zunächst die «Seele des Weltalls» (KV 429), die Sonne, was der Tenor – im Dialog mit der Flöte – in einer Hymne auf Freude, Frühling, Blumenketten, Duft und die «gütige Natur» noch steigerte. Der darauffolgenden Konzertarie «Misero! o sogno» (KV 431) drückte die expressive Tenorstimme das Gegenteil aus: Bedrängnis in nächtlichem Albtraum ohne Ausgang, voller Schatten, Verzweiflung und Todesangst. «Aprite, aprite questa porta infernale! – Öffnet dieses Höllentör!» – der Ton war fast ein Schrei, das prägte sich ein. Und auch, dass beide Stücke für Mozarts überzeugte Freimaurerei stehen, die im damaligen Wien unter Joseph II. nicht unumstritten war.

Dann erschien in langem violetten Glitzerkleid die junge Mezzosopranistin Sonja Leutwyler, und auch ihre «Rhapsodie für Alt» (op. 53) von Johannes Brahms stand unter einem düsteren Himmel in eisiger Landschaft – noch bevor der Gesang einsetzte. Ihre Stimme, die Höhe und Tiefe mühelos verbindet, sich aufschwang und wieder niedersank, hielt das Wort «Öde» sehr lange aus, und etwas später kam der «Menschenhass aus der Fülle der Liebe» hinzu. Man ahnte die Einsamkeit des liebesenttäuschten Brahms dahinter, und erst im letzten Teil wurde die Solostimme in einem sanften Dur-Teil vom Choralgesang des Männerchors aufgehoben. Auch dieser Moment berührte und ging nah.

Die zweite Hälfte des Konzerts war ganz der Strauss-Familie gewidmet. Die beiden seit über 250 Jahren immer wieder gespielten Wiener Walzer (op. 314 und 333) wurden im Casino eingerahmt von zwei früheren Musikstücken, die zeichenhaft standen für den tiefen Konflikt zwischen Vater und Sohn.

Der Konflikt wurde aufgegriffen

Johann Strauss Vater rekrutierte sein Publikum aus den bürgerlichen und adligen Kreisen, für die Kunst gesellschaftliche Macht repräsentierte und zementierte; sein Sohn fühlte sich den studentischen Burschenschaften, Arbeiterkreisen und Künstlergruppen nahe, die sich gegen den konservativen Polizeistaat des Staatskanzlers Fürst Metternich auflehnten. 1848 brachen in Europa die Revolutionen aus. Der «Ligourianer Seufzer» (op. 57) ist eine Scherz-Polka von Strauss Sohn aus dem Revolutionsjahr, die sich unter Verwendung von Katzenmusik über Metternichs Anhänger lustig machte; den Radetzky-Marsch (op. 228) aber schrieb Strauss Vater zwei Monate später für den siegreichen Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky, mit dem die restaurativen Kräfte in Wien wieder Auftrieb erhielten und die jungen Revolutionäre zu vernichten hofften.

Die Zuger Veranstalter folgten der historischen Reihenfolge: Zuerst kam der parodistisch-karnevaleske Ligourianer Seufzer, dann erst, ganz am Schluss, der Radetzky-Marsch. Als Zugabe wurde letzterer gar wiederholt. Andersherum hätte das hingerissene Publikum ja auch nicht mitklatschen können. (Dorotea Bitterli)