Wenn die Heimatnovelle zur Dystopie wird

Literatur & Gesellschaft

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Der Zuger Autor Cyrill Delvin malt in seinem dritten Buch ein visionäres Bild der Schweiz nach Klimawandel und Ressourcenkrieg. Die Zuhörer im Burgbachkeller nehmen seine Befürchtungen ernst: Denn das Szenario ist wohldurchdacht.

  • Lesung im Burgbachkeller: Moderator Sven Baier (links), Autor Cyrill Delvin und Schauspieler Marcel Schneider. (Bild Roger Zbinden)
    Lesung im Burgbachkeller: Moderator Sven Baier (links), Autor Cyrill Delvin und Schauspieler Marcel Schneider. (Bild Roger Zbinden)

Zug – Dunkel ist’s im Burgbachkeller, und kühl. Das Publikum trägt in der Mehrheit weisse Haare. Das passt sehr gut, denn die Novelle, aus der Schauspieler Marcel Schneider auf der Bühne vorliest, zeichnet erstens eine dunkle und düstere Zukunft der Schweiz. Mit Warlords und Kindersoldaten, mit Krieg um Wasser und Kleinstterritorien. Und zweitens: Eine solche Dystopie, verpackt in eine Heimatnovelle, lässt sich vielleicht besser nachvollziehen, hat man schon einiges erlebt und reflektiert – und changieren die Haare zwischen Grau und Weiss.

«Schweizer Erinnerungen an die Zukunft», so heisst das Buch, dem diese Lesung im Rahmen des Oswalds-Gassen-Fests vergangenen Samstag gewidmet ist. Organisiert hat die Lesung die Zuger Buchhandlung von Susanne Giger. Der Autor der Dystopie, der 52-jährige Zuger Cyrill Delvin, sitzt im Publikum. Mit seiner düsteren Vision einer künftigen Schweiz trifft er einen blank liegenden Nerv unserer Zeit: die Frage nach dem Da- nach – was passiert mit unseren politischen Gesellschaften, wenn Klimawandel und Ressourcenknappheit fortgeschritten sind?

Clans und bürgerkriegsähnliche Fehden

Im Fachmagazin «Nature» wurden erst gerade Details einer Studie der Stanford University veröffentlicht: Im Kampf um überlebenswichtige Ressourcen werde die Erderwärmung eine Häufung bewaffneter Konflikte zur Folge haben. In einem Szenario mit vier Grad Erwärmung könnte das Kriegsrisiko im Mittel um 26 Prozent steigen – gegenüber einer Welt ohne menschengemachten Klimawandel. Autor Cyrill Delvin fragt sich: «Was wird aus der Schweiz, wenn ihr Geld und Wasser ausgehen?» Und: «Wie verändert sich eine zivilisierte Gesellschaft wie die schweizerische, sollte das weltweite Finanzsystem in sich zusammenstürzen und der Klimawandel sich als schlimmer herausstellen als erhofft?»

In Cyrill Delvins Novelle hören die Zuhörer der Lesung am Samstag von einer Schweiz, geprägt durch Zerfall, Misstrauen, mangelnde Ressourcen – einzelne Clans bekriegen sich in bürgerkriegsähnlichen Fehden. Der Autor, der Biologie und Philosophie studiert hat und im Bereich Markenstrategie arbeitet, sagt dazu: «Alles gemahnt an Zustände, wie wir sie heute Ländern aus den weniger entwickelten Regionen Afrikas oder Zentralasiens zuschreiben.»

Kein Unterschied zwischen Schweiz und Afghanistan

Bei der Fragerunde nach der Lesung kommt Delvin auch auf seinen zweiten Roman, der in Afghanistan spielt, zu sprechen. Und zieht den Vergleich Schweiz/Afghanistan: «Alpenpässe, Landwirtschaft, reiche Nationen als Anrainer. Ich behaupte, dass sich bei grosser Verschlechterung der wirtschaftlichen und klimatischen Bedingungen eine Schweizer Gesellschaft nicht anders verhält als eine afghanische.»

Die philosophische Frage eines Autors, der gleichermassen voraus- und zurückblickt. Nach der Veröffentlichung seines dritten Buchs im Eigenverlag sucht der Zuger nun nach einem «seriösenPublikumsverlag».Seineaktu- elle Novelle liest sich so düster wie spannend und durchdacht. (Susanne Holz)

Hinweis
www.cyrill-delvin.net