Zuger Blasmusiker sind verstimmt

Musik

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Laut den neuesten Pandemievorschriften müssen Bläser in Innenräumen mindestens 25 Quadratmeter freien Raum um sich herum aufweisen. So lassen sich kaum Probelokale finden, wie das Beispiel aus Walchwil zeigt.

  • Die ungewohnt kleine und weitläufige Formation von der Bühne aus gesehen. (Bild Matthias Jurt)
    Die ungewohnt kleine und weitläufige Formation von der Bühne aus gesehen. (Bild Matthias Jurt)

Zug – «Speziell» sei sie gewesen, die Erfahrung, erstmals unter den aktuellen Covid-19-Vorschriften zu proben, sagt Roland Hürlimann. Der Dirigent der Musikgesellschaft Walchwil begrüsste am vergangenen Donnerstagabend 14 Vereinsmitglieder im Gemeindesaal. Mehr als 15 Personen sind derzeit nicht zugelassen.

Doch das ist nicht der Punkt, der Hürlimann erzürnt. Sondern die seit dem 19. April geltende Vorschrift, dass jeder Musiker mindestens 25 Quadratmeter Platz um sich herum braucht, sofern sie nicht beispielsweise durch Plexiglaswände abgetrennt sind. Dies, um andere durch die angeblich dauernd aus dem Instrument entweichenden Aerosole nicht zu gefährden, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) durch Studien belegen könne.

Das sorgt nicht nur für Schwierigkeiten, harmonisch klingende Stücke einzuüben, sondern überhaupt Probelokale zu finden. 15-mal 25 Quadratmeter ergeben 375 Quadratmeter – eine Fläche, grösser als die meisten einfachen Schulsporthallen. Die Musikgesellschaft Walchwil darf seit einigen Jahren den Gemeindesaal nutzen, dessen Masse laut Hürlimann für bis zu 16 Personen ausreichen.

Die Kirche würde ausreichen

Die beschränkte Zahl zugelassener Personen hat dazu geführt, dass die Walchwiler Musiker auf vier unterschiedlich grosse Formationen aufgeteilt wurden. Diese können nicht gleichzeitig proben. Laut Roland Hürlimann sei man auf der Suche nach weiteren Lösungen im Dorf. Doch diese Aufgabe gestaltet sich in der zweitkleinsten Zuger Gemeinde als besonders schwierig. Die wenigen Turnhallen seien besetzt. «Wir könnten wahrscheinlich die katholische Kirche nutzen, aber dort hallt es zu stark», überlegt der Dirigent laut. Zudem stünden Diskussionen im Raum, ob man Fabrikationsräumlichkeiten «in oder um Walchwil» nutzen könne. «Oder wir setzen die Proben bei schönem Wetter früher an und gehen nach draussen.»

Alle Musiken hätten damit zu kämpfen, sagt Roland Hürlimann, der als Leiter des Ressorts Musik dem Vorstand des Zuger Blasmusikverbands angehört. Im Kanton gebe es über 700 Bläser. Er wisse von hiesigen Vereinen, die wegen der Pandemiemassnahmen Mitgliederaustritte zu verkraften hätten. In Walchwil sei dies nicht der Fall – möglicherweise noch nicht. Hürlimann zeigt auf: «Wir haben Mitglieder von 16 bis 73 Jahren. Die Jüngeren könnten schnell etwas anderes finden, die Älteren den Zeitpunkt zum Aufhören jetzt als gekommen ansehen», schildert er seine Gedanken nach 13 Monaten ohne gewohnte Vereinstätigkeit.

Auf Hoffnung folgt Enttäuschung

Besonders bitter: Die Jahreskonzerte der Musikgesellschaft Walchwil, die Höhepunkte im Kalender, waren am 14. und 15. März 2020 angesetzt gewesen – einen Tag nach Bekanntgabe der bis dahin strengsten Coronamassnahmen beziehungsweise einen Tag vor Bekanntgabe des ersten Lockdowns. Ausserdem war ausgerechnet letztes Jahr das 125-Jahr-Jubiläum, das der Verein hätte feiern wollen.

Hürlimann stimmt in den Gesang so vieler ein, die sich in der Virusbewältigung – beruflich oder privat – auf die jeweils neue Situation einstellten, nur um schliesslich bald den nächsten Nackenschlag verarbeiten zu müssen. Das lässt sich am Beispiel der Musikgesellschaft Walchwil anschaulich darlegen: Als sich auch Ende November 2020 noch keine Lockerungen abzeichneten, arbeiteten die Verantwortlichen laut dem Dirigenten das Konzept mit vier Formationen mit eigenen Repertoires aus und besorgten Noten dafür. Kurz vor Weihnachten waren sie so weit – dann gab der Bundesrat die Verschärfung der Massnahmen per 22. Dezember bekannt. Diese beinhaltete unter anderem die Zahl von maximal fünf Personen bei Treffen.

Mittlerweile sind immerhin 15 zugelassen, doch gelten die erwähnten 25 Quadratmeter Sicherheitsabstand um jeden Musiker herum. «Dieser Zustand ist inakzeptabel», fasst Roland Hürlimann seinen Ärger in Worte. Ihm gleichgetan haben das dieser Tage viele Exponenten von Blasmusikvereinen in der Schweiz über die Medien. Sie hoffen, dass eine Petition des nationalen Verbands die Entscheidungsträger beeinflusst, «zu realistischen Massnahmen zurückzukehren», wie es darin heisst.

Der Vorstoss sei nach Verbandsangaben in den ersten 24 Stunden nach Aufschaltung von über 12000 Personen unterschrieben worden. Die Bläser stellen sich auf den Standpunkt, dass ihre Instrumente «keine Virenschleudern» seien und es Gegenstudien zu jenen gebe, auf die sich das BAG bei seiner Beurteilung stützt.

Mit wenig zufrieden sein

Trotz des Frusts: Roland Hürlimann schildert gern, wie er in der jüngst durchgeführten Probe im Walchwiler Gemeindesaal auch in der ungewohnt weitläufigen Formation gelegentlich so etwas wie Spielfreude ausmachte. Er sagt offen: «Zuerst ging es völlig in die Hose, der Widerhall ging gar nicht.»

Doch nachdem man das Schlagzeug von der Bühne geholt und den Vorhang zugezogen hatte, habe es «einigermassen gut getönt». Mehr liegt derzeit wohl nicht drin. (Raphael Biermayr)