«Ehrgeiz hat mich ein Leben lang begleitet»

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Robert Bösch (64) ist international einer der gefragtesten Outdoor-Fotografen. Der in Oberägeri lebende Fotograf und Alpinist hat mit dem Buch «Mountains» ein Lebenswerk veröffentlicht.

  • Robert Bösch zu Hause in Oberägeri mit Bücherbergen seines neusten Werkes «Mountains». (Bild Roger Grütter)
    Robert Bösch zu Hause in Oberägeri mit Bücherbergen seines neusten Werkes «Mountains». (Bild Roger Grütter)

Oberägeri – «Mountains» heisst Ihr soeben erschienener Bildband. Opulent und prächtig. Ihr Lebenswerk?

Was die Berg-Fotografie betrifft, ist es sicher eine Art Lebenswerk. Ich trage die Idee für ein Buch über die Berge und die verschiedenen sportlichen Aktivitäten in der Bergwelt schon zehn Jahre mit mir herum. Meine Absicht war, nicht einfach spektakuläre Einzelbilder aneinanderzureihen, sondern etwas Ganzes spürbar werden zu lassen. Das Buch ist auch kein «Best of» all der Jahre. Ich wollte bewusst die Erfahrungen der letzten Jahre einfliessen lassen, in denen ich beispielsweise die Landschafts-Kunstfotografie intensiver erforschte. «Mountains» bewegt sich in diesem Spannungsfeld von Action- und Kunstfotografie.

Es gibt nicht viele Menschen, die ausgezeichnete Fotografen und ebensolche Alpinisten sind: Wie hat sich diese Kombination ergeben?

Schon als Jugendlicher habe ich gerne fotografiert. Damals hätte ich nicht gewusst, wie man ein professioneller Fotograf werden könnte. Hingegen habe ich mich mit Leidenschaft dem Bergsteigen gewidmet. Ich war immer sehr leistungsorientiert und offen für extreme Varianten. Das Bergsteigen hat mich über Jahre in Beschlag genommen. Ich bin in alle Weltgegenden gereist, um zu klettern. Da hatte ich immer eine Kamera dabei.

Wie entwickelte sich die Fotografie?

Am Anfang hat es sicher geholfen, dass ich Bilder von Orten auf der Welt hatte, wo andere kaum je hinkommen. Um 1980 gab mir die «Schweizer Illustrierte» den Auftrag, eine Skitouren-Geschichte zu machen. Das war nichts Spektakuläres, aber es half mir, langsam bei den Magazinen Fuss zu fassen. Ich lernte, wie Redaktionen funktionieren. Mit sehr viel Engagement, Einsatz und Motivation habe ich mich als Fotograf verbessert und bin drangeblieben. Parallel dazu war ich Bergsteiger. Während meines Geografiestudiums habe ich mich – learning by doing – zum Bergsteiger ausgebildet. Nach dem Studium habe ich die Bergführerausbildung absolviert und als solcher mein Geld verdient. Seit 30 Jahren lebe ich aber zu 100 Prozent als Fotograf.

Was ist der Kern Ihrer Leidenschaft für die Berge und das Klettern?

Es ist die besondere Intensität. Grundsätzlich geht es um Erfahrungen, wie bei jeder sportlichen Tätigkeit: die Freude, eine Leistung zu bringen, das angenehme Gefühl der Müdigkeit danach und die Motivation, besser zu werden. Beim Bergsteigen kommen sehr viel Eigeninitiative und Eigenverantwortung dazu. Es ist nicht immer nur lässig oder euphorisch. Die Auseinandersetzung mit der Gefahr, die damit verbundenen Ängste und dann wieder das Erlebnis, es doch im Griff zu haben und in brenzligen Situationen ruhig und überlegt handeln zu können: Diese Dynamik macht das Bergsteigen faszinierend.

Sie waren bergsteigerisch weltweit unterwegs. Gibt es Highlights?

Eine schwierige Frage. Wenn ich sage die Klettertour in der Westwand des ­Yerupaja in Peru, dann sagt das niemandem etwas. Aber es war eines dieser ausserordentlichen Erlebnisse: Wir hatten nur eine Postkarte von der Wand, schon der Weg zum Berg mussten wir uns selber «erkämpfen» und waren schliesslich mit Eseln unterwegs. Heute führt eine Strasse in der Nähe durch. Es gab auch Highlights, bei denen ich am Ende nicht auf einem Gipfel stand, aber die Herausforderung am Berg trotzdem gross war. Es sind nicht so sehr einzelne Touren oder Berge, die nachwirken, vielmehr die Gesamtheit aller Erlebnisse.

Gibt es trotzdem Bergregionen, die es Ihnen besonders angetan haben?

Ich bin in vielen Regionen geklettert, auch in wüstenhaften Gebieten wie in Jordanien oder Patagonien. Etliche Male war ich im Himalaja. In den Alpen liebe ich das Mont-Blanc-Gebiet, es ist unerschöpflich. Ein wahres Paradies für Bergsteiger ist die Schweiz. Die Wendestöcke bei Gadmen sind ein Eldorado für das alpine Klettern. Ich mache immer noch Klettertouren. Gerne besuche ich die Gebiete beim Klausenpass oder beim Furkapass. Oft bin ich auch im Engadin.

Sie haben Ihren Bildband dem 2017 tödlich verunfallten Extrembergsteiger Ueli Steck gewidmet. Sie wollten ihn in Nepal anlässlich seiner Mount-Everest-Lohtse-­Überschreitung besuchen. Als Sie in Kathmandu landeten, hörten Sie vom Absturz. Wie hat Sie das getroffen?

Es war ein unglaublicher Schock. Unfassbar im Moment. Wenn man einen engen Freund verliert, geht das nicht spurlos an einem vorbei. Ich bin viel mit Ueli geklettert, oft haben wir spontan abgemacht, er war immer zu haben. Er wird mir bei meinen Fotoprojekten fehlen.

Was haben Sie an ihm geschätzt?

Seine Zuverlässigkeit. Man konnte sich auf ihn verlassen. Er hat nie nur an sich gedacht, sondern immer auch an das Gegenüber. Es war ein gegenseitiges Vertrauen da. In den vielen Jahren, in denen wir uns gekannt haben, habe ich zu realisieren begonnen, was für ein ausserordentlicher Bergsteiger er zunehmend wurde. Mit einer irrsinnigen Konsequenz ging er seinen Weg. Seine ­Kreativität und seine bergsteigerischen Visionen waren aussergewöhnlich. Die psychische Fähigkeit, sich so zu exponieren, das haben nur wenige.

Hat sein Absturz Ihr Risikoverständnis neu definiert?

Nein. Ich habe schon einige Bergsteigerkollegen verloren, mit Ueli aber zum ersten Mal einen engen Freund. Bergsteigen heisst immer, sich bewusst sein zu müssen, wie weit man geht, wann der Bogen überspannt wird. Alle, die länger in den Bergen unterwegs sind, haben Situationen erlebt, die auch ganz anders hätten enden können. Persönlich bin ich heute logischerweise nicht mehr so risikofreudig wie früher. Die Leistungskraft und die Risikobereitschaft nehmen ab. Wenn du dich mit 60 gleich fit fühlst wie mit 30 oder 40, dann bist du damals zu wenig fit gewesen.

Wie ist das, wenn man in oft ge­fährlichen Situationen am Berg, die vollste Konzentration erfordern, auch noch fotografiert?

Das sind zwei verschiedene Dinge. Wenn ich bergsteige, habe ich vielleicht eine kleine Kamera dabei, aber meine volle Konzentration gilt dem Bergsteigen. Ich sehe vielleicht ein gutes Bild, und wenn ich Zeit und Nerven habe, drücke ich ab. Gehe ich als Fotograf in die Berge, dreht sich alles um die Fotografie. Risikoreiche Situationen werden vermieden. Man arrangiert sich mit den Athleten und bespricht, was für sie und für einen selber machbar ist. Man klettert auch nicht unbedingt ganze Touren, sondern wählt für Shootings bestimmte Abschnitte.

Wie oft sind Sie fotografisch in den Bergen an Grenzen gekommen?

Wir hatten zum Glück noch nie einen grösseren Unfall beim Fotografieren. Das hat auch damit zu tun, dass ich die Athleten nie gepusht habe. Ein Bild lebt von dem, wie ich es gestalte. Das braucht nicht zwingend eine halsbrecherische Situation.

Haben Sie auch schon Todesangst erlebt auf Ihren Bergabenteuern?

Viel schlimmer als die Ängste am Berg sind die Nächte vorher. Du musst warten und weisst, was alles passieren kann. Und am Morgen taucht keine Wolke auf, und dann weisst du: Jetzt musst du gehen. In der Wand selber ist die Angst meist weg. Sie hat keinen Platz, weil man so fokussiert und unter totaler Spannung ist. Und man kann handeln.

Und wenn sie trotzdem plötzlich auftaucht?

Das Bergsteigen ist ein fortwährender Prozess von Überlegungen und Einschätzungen. Ist alles im grünen Bereich? Oder bin ich schon im roten? Wie sind die Verhältnisse, was macht das Wetter? Was ist zehn Meter weiter oben zu erwarten? Man ist dauernd am Checken. Und wenn man einen Point of no Return überschreitet, muss man sicher sein, dass man es nach oben schafft, es gibt nichts anderes. Man darf nicht in Panik geraten. Das ist nicht erlaubt. Sonst muss man nicht bergsteigen.

Spektakuläre Erst- und Spezial­begehungen ziehen zunehmend einen Vermarktungstross nach sich. Berge werden zur Showbühne. Ist das überhaupt noch lustig für Sie?

Bergsteigen ist immer kompetitiv gewesen. Wer ist der Bessere? Bergsteigen ist auch Wettkampf, das wird immer so sein. Das ist der Hintergrund für solche Entwicklungen. Dazu kommt, dass das Bergsteigen nicht wirklich messbar, die Leistung schwer einschätzbar ist. So kann es vorkommen, dass beim Bergsteigen die Vermarktung oft besser ist als die Leistung.

Stört es Sie nicht, wenn bekannte Bergsteiger oft wie wandernde Reklametafeln aussehen?

Wenn ein Bergsteiger ein paar Kleber auf dem Helm oder der Jacke hat, was soll’s? Im Bergsport kommt man kaum mit einem einzigen Sponsor aus. Das ist nicht wie im Tennis. Problematisch empfinde ich den Berg-Tourismus, wie er sich zum Beispiel am Mount Everest entwickelt hat. Es ist keine grosse alpinistische Leistung, an Fixseilen, mit künstlichem Sauerstoff und Sherpas auf den Gipfel zu steigen. Da ist der Ruhm grösser als die Leistung.

Kommen wir zu Ihrer Kunst als Fotograf: Sie wollen stets das bestmögliche Bild herausholen. Was macht dieses bestmögliche Bild aus?

Fotografie ist für mich die Kunst des Bildersehens und des Weglassens. Den spannenden Ausschnitt in einer Situation zu sehen: An dem habe ich immer gearbeitet. In der Actionfotografie muss man diesen vorausahnen können. Ein ausserordentliches Bild gelingt dann, wenn man alles richtig macht, also den besonderen Ausschnitt sieht und ihn auch erwischt, und dann noch etwas dazukommt, das man nicht einplanen kann, aber intuitiv doch miteinbezieht.

Ab wann wird Fotografie Kunst?

Da lässt sich keine klare Linie ziehen. Einzelbilder greifen für solche Bewertungen sowieso zu kurz. Ein guter Fotograf definiert sich über sein Werk, über eine grössere Gesamtheit. Einem guten Bild sieht man nicht an, ob es von einem Profi oder einem ambitionierten Hobbyfotografen geschossen wurde oder ob es ein Zufallstreffer war. Ein gutes Bild ist ein gutes Bild.

Schwarz-Weiss- oder Farbfotografie: Was stimmt für Sie wann?

Früher habe ich nur farbig fotografiert. Ich suchte besondere Lichtstimmungen. Mit der digitalen Fotografie habe ich dieses Interesse ziemlich verloren, weil es einfach ist, diese am Computer zu generieren. Die Bildbearbeitung hat mich nie sonderlich gepackt. Mit der digitalen Fotografie entscheidest du erst am Computer, ob ein Bild farbig oder schwarzweiss werden soll. So ist Schwarz-Weiss strenggenommen auch eine Verfremdung, aber eine ehrliche. Zudem ist sie akzeptiert in der Fotografie.

Wie hat der Wechsel zum Digitalen Ihre Arbeit verändert?

Das Fotografieren ist viel einfacher geworden. Es gibt mehr gute Bilder, mehr gute Fotografen, die Preise sinken. Es ist schwieriger, sich abzuheben. Aber ich profitiere natürlich auch davon: Man hat weniger Druck vor einem Shooting, da man die Bilder während des Arbeitens kontrollieren kann. Und man kann sie einfacher verschicken. Aber weil die Bildbearbeitung so einfach geworden ist, hat das Fotografieren für mich einen gewissen Reiz verloren. Deswegen habe ich mir selber Leitplanken gesetzt. Im Buch «Mountains» ist kein einziges Bild beschnitten. Jedes Bild ist so, wie ich es im Moment geknipst habe.

Die Frage ist, ob das die Betrachter überhaupt merken und schätzen ...

Das ist ein Problem. Das Werkzeug «Photoshop» wertet vermutlich die Moment-Fotografie ab. Das goldene Zeitalter der Outdoor-Fotografie scheint am Ende zu sein. Heute ist das Niveau der Outdoor-Fotografie enorm hoch, doch wenn es sich durchsetzt, dass man den Bildern nicht mehr ganz traut und das Aufmotzen mit Photoshop zum Standard wird, verliert die Fotografie an Glaubwürdigkeit. Da findet eine gewaltige Erosion der Achtung vor der Moment-Fotografie statt.

Sie gehören zu den international beachteten Berg- und Naturfotografen. Braucht es da auch viel Energie, um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, zu halten?

Der Ehrgeiz hat mich ein Leben lang begleitet. Ich wollte immer besser werden und besser sein als die anderen, wollte wieder einen Schritt weitergehen und aus jeder Situation das bestmögliche Bild herausholen. Das hat mich angetrieben. Bei der Mammutkampagne war ich froh, dass ich diese machen konnte und nicht ein anderer. Natürlich gibt es Konkurrenz. Ich suche nicht gleich die Nähe zu andern Outdoor-Fotografen, aber ich habe je nachdem Respekt vor deren Arbeit. Wenn ich gute Bilder sehe, ist das für mich auch wieder ein Ansporn, besser zu werden.

Sie haben eine Frau und zwei Kinder. Wie verträgt sich Ihr Leben mit den Ansprüchen der Familie?

Meine Frau Corinna weiss um das Risiko, aber ich habe Berge bestiegen, seit wir uns kennen. Da gewöhnt man sich daran. Sie macht selber gerne Skitouren, und zusammen haben wir schon ein paar rechte Bergtouren gemacht. Die Kinder haben die Risiken, denen ich mich aussetzte, nicht so stark wahrgenommen. Trotz Touren und Shootings war ich auch oft zu Hause und habe von den Kindern viel mitbekommen. Belastend war weniger, dass ich öfter weg war, sondern dass man wetterabhängige Shootings nicht wirklich planen konnte, so dass ich plötzlich aufbrechen musste. Meine Frau hat mich immer sehr unterstützt. Viele Jahre haben wir das Geschäft gemeinsam geführt. Wir haben ein riesiges Fotoarchiv, arbeiten wie eine Agentur. Aus dem Dia-Archiv ist mittlerweile ein Online-Archiv geworden. Das hat meine Frau aufgebaut.

Haben Sie neben Fotografie und Bergen andere Leidenschaften?

Ich hatte in all den Jahren ein nahrhaftes Pensum mit hoher Kadenz. Kürzlich habe ich eine alte Agenda durchgeblättert: Bergtour Mont Blanc, Shooting im Engadin, Kletteraufnahmen in der Eiger-nordwand, und das in wenigen Tagen. Es war mir nie etwas zu viel. Heute habe ich weniger Hektik. Gewisse Aufträge mache ich nicht mehr. Hobbys habe ich keine, das Wort bedeutet mir nichts. Ich treibe regelmässig Sport, gehe biken, mache Klettertouren. Ich lese viel und gerne, Konzerte und Kinobesuche gehören auch dazu. Letztere deutlich ­häufiger – ich bin eindeutig visuell mehr begabt als musikalisch.

Sie waren schon auf allen Kontinenten. Gibt es einen Ort oder eine Region, wo Sie unbedingt noch oder wieder hinfahren möchten?

Träume gäbe es viele: Ich würde natürlich gerne doch noch auf dem Gipfel des Cerro Torre in Südpatagonien stehen oder auf dem Achttausender K2, Makalu, Nanga Parbat – natürlich ohne künstlichen Sauerstoff. Aber diese Ziele gehen von der körperlichen Leistungsfähigkeit und auch der Risikobereitschaft her nicht mehr. Aber ich habe so vieles gesehen und erlebt, dass ich nicht das Gefühl habe, dass mir diesbezüglich etwas wirklich fehlt. (Interview: Pirmin Bossart)