Ein Labyrinth aus Macht und Ohnmacht

Theater & Tanz

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Eine karge Wand und zwei Königinnen im Ausnahmezustand: Maria Stuart im Theater Casino Zug fordert, irritiert und wirkt lange nach.

  • «Maria Stuart»: Die Inszenierung mit dem Theater Orchester Biel Solothurn animiert dazu, Schiller neu zu denken. Bild: Joel Schweizer
    «Maria Stuart»: Die Inszenierung mit dem Theater Orchester Biel Solothurn animiert dazu, Schiller neu zu denken. Bild: Joel Schweizer

Zug – Beim Betreten des Theatersaals im Casino Zug fiel sofort die auffallend grosse Zahl leerer Plätze auf – ein merkwürdiger Kontrast zur atmosphärischen Dichte des Abends, der folgen sollte und der gerade deshalb irritierte, weil die Inszenierung von Maria Stuart unter Mélanie Huber mit dem Theater Orchester Biel Solothurn TOBS auf ein hohes Mass an Konzentration setzte. Die Mischung aus historischer Vorlage und zeitgenössischer Dekonstruktion verlangte dem Publikum einiges ab, und obwohl die Fragmentierung über einen erinnernden alten Mann zunächst eher Verwirrung als Orientierung stiftete, wurde im Verlauf der zweiten Hälfte allmählich nachvollziehbar, warum dieses erzählerische Prinzip gewählt worden war; es spiegelte die innere Zerrissenheit der Figuren und erzeugte ein Gefühl von Unfertigkeit, das durchaus beabsichtigt schien.

Stephan Teuwissens Adaptation trat als reduziertes Kammerspiel auf, weit entfernt von der dramatischen Grösse eines ungebrochenen Schiller-Klassikers. Die Frage, warum heutzutage nahezu jede Inszenierung als dekonstruktive Brechung daherkommen muss, stellte sich auch an diesem Abend; die Aufführung zeigte allerdings, dass Dekonstruktion fruchtbar sein kann, wenn sie die Figuren nicht verkleinert, sondern ihre Abgründe freilegt.

Gleichzeitig aber blieb spürbar, dass ein Teil des Publikums sich eine klassischere, weniger verfremdete Lesart gewünscht hätte. Im Theater war zu hören, dass manche Besucher in der Pause an der Bar den Abend als «irritierend, aber faszinierend» beschrieben. Gesprächsfetzen, die ein Bild davon zeichneten, wie sehr diese Inszenierung forderte – und gleichzeitig belohnte, sofern man bereit war, sich darauf einzulassen und mitzudenken.

Starke Darstellerinnen in einem engen Gefüge

Das Schauspiel an sich bildete den klaren Ankerpunkt des Abends. Kathrin Veiths Maria Stuart pendelte zwischen gebeugter Würde und verzweifelter Sehnsucht, eine Figur, die sich in jedem Blick verausgabte; Lina Hoppe verlieh Elisabeth eine steinerne Fassade, die an den entscheidenden Stellen jedoch brüchig wurde.

Diese Brüchigkeit gewann an Schärfe, wenn man die historische Königin einbezog, die ihr Gesicht mit Venetian Ceruse – einer hochgiftigen Mischung aus Blei und Essigsäure – weiss puderte: Blei gelangte über die Haut in den Körper, Essigsäure beschleunigte den chemischen Prozess, was zu Haarausfall, Zahnverlust, Lähmungen und schleichenden Organschäden führte. Macht, so zeigte die Inszenierung im Subtext, ist ein Gift, das langsam in die Körper der Herrschenden einsickert – ein Gedanke, der sich in Hoppes Spiel wie ein kaum wahrnehmbarer Schatten abzeichnete.

Gefangenschaften werden sichtbar

Das Bühnenbild von Lena Hiebel – eine nahezu leere Wand, ergänzt durch eine schlichte Rampe auf der rechten Seite – erwies sich als bewusst statisch; ein visuelles Echo zu den Gefängnissen, in denen beide Frauen steckten, Elisabeth in ihrer Macht, Maria im realen Kerker. Dennoch blieb die karge Front über lange Strecken ermüdend und bot wenig Dynamik, was bei einem derart text- und stimmorientierten Abend das Gefühl verstärkte, dass ein wenig mehr visuelle Variation hilfreich gewesen wäre. Der Soundteppich wirkte wie ein atmosphärischer Puls, der die Handlung zusammenhielt, gerade so an der Grenze zu «es nervt langsam».

Eine der Schlüsselszenen des Abends war die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth im Park. Dieser Moment, in der Vorlage mit hoher pathetischer Fallhöhe ausgestattet, wirkte in dieser Inszenierung beinahe alltagsnah; der politische und existenzielle Konflikt erschien für einen Augenblick wie ein emotionaler Schlagabtausch zwischen Nachbarinnen – ein Vergleich, der sich geradezu aufdrängte, weil die Szene ungewöhnlich bodenständig und direkt ausgetragen wurde.

Wer sich auf diesen Abend einliess, wurde zweifellos belohnt, doch es handelte sich nicht um leichte Kost; das Stück forderte Konzentration und Geduld, und vieles erschloss sich erst auf dem Nachhauseweg, wenn die verschachtelten Ebenen im Kopf nachwirkten. Für jene, die Schiller neu denken wollten, war dieser Abend eine anregende Erfahrung; wer hingegen ein opulentes Kostümdrama erwartete, dürfte eher enttäuscht gewesen sein. Die Inszenierung bleibt als intensi- ves, stellenweise sperriges, aber nachhaltig wirkendes Kammerspiel in Erinnerung – und als ein Theaterabend, der zeigte, wie nahe Reibung und Erkenntnis beieinanderliegen.