Ton, Klang und Brand

Kunst & Baukultur

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Das Ziegeleimuseum in Hagendorn ist mit zwei Besonderheiten in die Saison 2022 gestartet.

Hagendorn – Das kleine private Arbeitsstudio der berühmten mexikanischen Fotografin Graciela Iturbide steht in irgendeiner Strassenzeile von Mexiko City, scheinbar eingeklemmt zwischen niedrigen Nachbarbauten, auf einem 7 mal 14 Meter grossen Grundstück. Es ist ein dreistöckiges, mit einer Dachterrasse gekröntes Türmchen, das von unten bis oben ganz aus rotbraunen, handgemachten Ziegeln gemauert wurde, die aus der Gegend stammen. Ein Empfangsraum, ein Wohnzimmer und das Arbeitsstudio sind übereinandergestapelt und öffnen sich auf beiden Seiten je zu einem mit Grün gefüllten Innenhof.

Sichtmauerwerk ist in Mexiko nicht ungewöhnlich, hier aber wurde es auf fast exzessive, sehr moderne und fantasievolle Weise realisiert: Stein um Stein, mal als feste Mauer, mal als rhythmisch perforierte Wandfläche, mal als Fischgrätmuster am Boden. Das teils durchbrochene Mauerwerk bringt ein im Tagesverlauf wechselndes Spiel aus Licht und Schatten hervor; und die Textur der allgegenwärtigen Ziegel wirkt dabei wie eine gewobene Hülle, eigentümlich warm und asketisch gleichzeitig. Das erdig-filigrane Kleinod – von Iturbides Sohn, dem Architekten Mauricio Rocha, und seiner Partnerin Gabriela Carrillo entworfen – ist so schön, dass man sich daran kaum sattsehen kann. Es hat 2020 einen Brick Award gewonnen.

Seit 2004 präsentiert der Brick Award als international etablierte Auszeichnung alle zwei Jahre herausragende Backsteinarchitektur und gibt Architektinnen und Architekten aus der ganzen Welt die Möglichkeit, zeitgenössische innovative Ziegelbauten einem breiten Publikum vorzustellen. 2020 wurden 644 Projekte aus 55 Länder eingereicht. Das Iturbide-Türmchen gewann in der Kategorie «Feeling at Home». Ob Gemeinschaftshaus in Rwanda, Stadtarchiv in Delft, Universität in Katowice oder Bibliothek in Indien – rund um den Globus wurden in vier weiteren Kategorien Preise vergeben. Es geht um Ästhetik, Funktionalität, Innovation und Nachhaltigkeit. Die prämierten Projekte sind Gegenstand der neuen Sonderausstellung «Brick 20» des Ziegeleimuseums in Hagendorn und können dort bis Ende Oktober besichtigt und bewundert werden.

Ein «klingender Scherbenteppich»

Das Ziegeleimuseum wartet aber noch mit einer zweiten Attraktion auf – einer leisen und sehr sensiblen, die mit der Doppelbedeutung des Wortes «Ton» spielt. «Am Anfang aller irdischen Existenz war Ton: der Urknall. Am Anfang aller menschlichen Kultur war Ton, der erste gewonnenen Rohstoff», heisst es in der Projektbeschreibung des Künstlerduos «TONundTON» (Keramikerin Theres Stämpfli und Musiker Peter K Frey), das im alten Kammerofen der Ziegelhütte einen «Klingenden Scherbenteppich» ausgelegt hat. Durch die Beschickungsöffnung des Ofens blickt man tatsächlich auf eine rechteckige Fläche aus Tonscherben und vernimmt gleichzeitig Klänge, die an das Klopfen von Werkzeugen auf gebrannte Irdenware (so wurde die Qualität geprüft) und an das Brausen eines Feuers im Ofen erinnern.

Bei einem geführten Museumsbesuch darf man auch noch auf den neun Meter hohen Ofenturm steigen, von dem aus man das ganze Zieglerareal überschaut. Der Turm wurde vor drei Jahren aus ungebranntem Stampflehm in Pisé-Technik errichtet und will als Experiment einen Beitrag leisten zur Entwicklung vom traditionellen Lehmbau hin zu einem nachhaltigen Wandel in der Bauindustrie.

Am Samstag, 2. Juli, soll dort der Höhepunkt des Jahres stattfinden: Das feierliche Entfachen eines fast 13-tägigen Brandes, der wie zu alten Zeiten handgefertigte, im Ofen gestapelte Hohlziegel zu Tonware brennen soll. (Text von Dorotea Bitterli)

Weitere Informationen: www.ziegelei-museum.chwww.brickaward.comwww.tonundton.ch.