Erfrischendes «Jüngstes Gericht»

Musik

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Am Wochenende führte das Vokalensemble Messa di Voce fast vergessene, barocke Musik auf und verlieh ganz nebenbei einer altehrwürdigen Komposition neuen Glanz.

  • Das Vokalensemble Messa di Voce führte das Oratorium «Das jüngste Gericht» in der St.-Oswald-Kirche auf. (Bild Stefan Kaiser)
    Das Vokalensemble Messa di Voce führte das Oratorium «Das jüngste Gericht» in der St.-Oswald-Kirche auf. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Man soll versuchen, die Sichtweise des «barocken Menschen» zu verstehen und das Konzert (auch) aus dieser Perspektive zu geniessen, hat die musikalische Leiterin des Chors – Manuela Hager – in der Einführung zum Konzert am Samstag geraten. Und damit einem dies ein bisschen einfacher gefallen ist, wurden auch direkt praktische Hilfestellungen gegeben. Manuela Hager machte das in der Konzerteinführung kompakt, frisch, kompetent und schaffte es, dass man grosse Lust auf das Konzert bekam. Dieses war als Gesamtpaket dann ein Spektakel für Aug und Ohr. Selten schaffte es ein Vokalensemble, ein derart rundes und durchdachtes Konzeptkonzert auf die Beine zu stellen. Dieterich Buxtehude in einer kompakteren Form mit entsprechender Bearbeitung, vor dem Gemälde des Jüngsten Gerichts von Melchior Paul Deschwanden! Das grosse Bild in ­gotisiertem Neurenaissancestil aus dem Jahr 1866 passte bestens zum Konzert, es wurde dafür auch lichttechnisch hervorgehoben. Interessant auch hier die verschiedenen Anmerkungen dazu – schon beinahe auf ikonografischem Niveau, für den Laien aber bestens verständlich – von Manuela Hager. Ihre Ausführungen ­waren zu keinem Zeitpunkt mora­lisierend (was sich bei der The­matik ja geradezu schreiend aufdrängen würde) und schon gar nicht wertend. Ein gelungener Start in den samstäglichen Konzertabend also!

Originelles Konzeptkonzert

Der Chor, perfekt vor dem Bild «Das jüngste Gericht» inszeniert, die Geschichte beziehungsweise der Inhalt des Jüngsten Gerichts bekannt, das Publikum zahlreich – es konnte am Samstag also pünktlich losgehen, und das tat es auch. Und wie! Auch wenn das Werk von Dieterich Buxtehude wesentlich weniger knallig, dramatisch und düster war, als man beim Titel vermuten könnte, war es eine spektakuläre Aufführung. Die vielen einzelnen Elemente wie das Spielen auf historischen Instrumenten, die Wechsel von Solisten und Chor, die kurzen instrumentalen Strecken, die Thematik an sich und besagtes Bild machten die nicht ganz so spektakuläre Komposition letztendlich zu einer solchen. Gesanglich gab es da und dort vielleicht einige nicht ganz so saubere Stellen, die aber niemandem gross auffielen und schon gar nicht störten. Besagtes Konzertkonzept war in jedem Fall stimmig. Man kann den Aufwand dahinter nur erahnen. Stellenweise war das «Jüngste Gericht» fast schon witzig – nicht per se natürlich, sondern in den Erläuterungen von Manuela Hager. «Typisches Beispiel ist vielleicht die Arie der ‹besoffenen bösen Seele›: Ich kann nicht mehr, bin toll und vollgesoffen», erklärt Manuela Hager. «Ein sehr barocker Text. Dennoch auf der Erde gebliebene, schlichte Musik mit vielen Wechseln und Farben», so die musikalische Leiterin weiter, die selbst ebenfalls bekannte und begnadete Sängerin ist. Am Anfang stand wie immer die Idee. «Vor 15 Jahren habe ich von diesem Konzert eine andere Fassung geschenkt bekommen und war dann auch erstaunt, dass es weniger ‹chlöpft und tätscht› als angenommen», erklärt Manuela Hager. «Damals war ich nach Anhören der Musik ernüchtert und fand die Musik zu brav, ­langatmig und zusammenhanglos. Und mir fehlten die Pauken und Posaunen, die ich mit dem Jüngsten Gericht assoziierte», erinnert sich Manuela Hager weiter. «Als ich 2018 das Werk – 15 Jahre älter und weiser – wieder zur Hand nahm, wollte ich die Schönheiten entdecken, den Sinn verstehen und für ‹Messa di Voce› und das Publikum die Essenz daraus gewinnen.» Die Essenz der Komposition herauszufiltern, ist eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe, die einiges an Wissen und Können voraussetzt. Was natürlich auch für die Sänger und Musiker hinter «Messa di Voce» gilt: Ein Ora­torium ‹in der Operen Art› in drei Akten mit Rollen, Arien, ­Rezitativen, Chören aufzuführen, welches man so noch nie ­gehört hat, braucht viel Passion von allen Beteiligten. «Für den Chor sind die vielen barocken Texte, die teilweise in schnellem Tempo gesungen werden müssen, sehr anspruchsvoll», so Manuela Hager.

Kommen noch die jeweiligen Übergänge, die vielen Tempi und die jeweiligen Anfangsharmonien nach Arien und Orchesterstücken dazu. Das meiste gelang «Messa di Voce» problemlos. Für den ersten Sopran standen zudem einige hohe A an, auch das eine Herausforderung, die gut gemeistert wurde.

Viel Aufwand und viel Applaus

Die Solisten mussten generell immer auf den Punkt abliefern: «Ihre Rolle durfte nicht zu brav, sondern musste opernhaft verkörpert werden», führt die musikalische Leiterin Hager weiter aus. Das klingt einfacher, als es ist. Und sich zu trauen, als Sopran in der «besoffenen Art» zu singen, ist auch nicht jedermanns Sache. Für Manuela ­Hager als Dirigentin war es ­mitunter ebenfalls nicht ganz einfach: «Die vielen kurzen Nummern erfordern, dass ich schnell und klar dirigiere.»

All diese Überlegungen und Ausführungen zeigen sehr schön, auf welch hohem Niveau sich «Messa di Voce» bewegt und mit wie viel Energie solche Projekte in Angriff genommen werden. Das Publikum wusste dies zu schätzen und zeigte sich begeistert. Viel Aufwand – dafür auch viel Applaus. (Haymo Empl)