Eine Matura für alle?

Literatur & Gesellschaft

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Andreas Pfister hat seine durchaus kontroverse Idee in ein Buch verpackt. Der Zuger Kantilehrer möchte die Jugendlichen für die Zukunft rüsten und sie ihr Potenzial ausschöpfen lassen – für ihn eine Art Lebensthema.

  • Andreas Pfister möchte mit seinem Buch dem «Geissenpeter-Syndrom» entgegenwirken.(Bild: Stefan Kaiser)
    Andreas Pfister möchte mit seinem Buch dem «Geissenpeter-Syndrom» entgegenwirken.(Bild: Stefan Kaiser)

Zug – Ein Mann mit einer Vision: Bildungsexperte Andreas Pfister (46) plädiert für eine Matura für alle. Der langjährige Lehrer der Kantonsschule Zug schrieb darüber ein Buch. «Das Thema beschäftig mich schon lange. Es hat auch etwas mit meiner eigenen Biografie zu tun», erklärt er. Denn er sei ein «Buurebueb», habe eine Lehre als Zimmermann begonnen, dann an das Gymnasium gewechselt und später aus Liebe zur Literatur an der Uni Fribourg studiert. «Meine Erfahrungen werden von Statistiken bestätigt, die zeigen, dass studierenden ‹Arbeiterkindern› in der Minderheit sind», sagt Pfister weiter. Weitaus grösser sei der Anteil der Maturanden, die in einem «Akademiker-Haushalt» gross geworden seien. «Das stört mich schon lange und ich empfinde das als ungerecht», so der Bildungsexperte. Und diesen Umstand möchte er ändern. «Für mich ist das so eine Art Lebensthema», gibt er zu.

Heute gibt Andreas Pfister sein Wissen in den Fächern Deutsch und Medien an der Kantonsschule Zug weiter. Als Journalist leitete der in Zürich Wohnhafte von 2015 bis 2017 den Bildungsblog des «Tages-Anzeigers». «Die These Matura für alle habe ich damals schon vertreten», erklärt er. Das Buch sei nun als eine Art Weiterentwicklung dieser Ideen zu sehen. «Matura für alle ist eine Aussage, dahinter steckt aber ein differenziertes Bild», erklärt Pfister und betont: «Ich will das Gymnasium nicht gegen die Lehre ausspielen.»

Bildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr

Vielmehr gibt es drei unterschiedliche Maturitätstypen: die gymnasiale, die Berufs- und die Fachmatura. Und der Anteil der Absolventen soll wachsen, denn geht es nach Pfister, sollte jeder Schüler oder Lehrling künftig einen Maturaabschluss haben. In Zahlen: 30 Prozent machen die gymnasiale Matura, 30 Prozent die Berufsmatura, 30 Prozent eine Fachmatura und 10 Prozent bekommen Sonderförderung, so Pfister. Zu erreichen wäre dies, wenn es keine Wahl mehr gäbe, ob man die Lehre mit oder ohne Berufsmatura abschliessen möchte. Damit würde eine Ausweitung der allgemeinen Bildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr einhergehen, so die Idee.

Statistiken und Pfisters Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche aus bildungsnahen Familien eher länger die Schule besuchen. «Jugendliche aus bildungsfernen Familien schliessen sich oft selbst aus. Sie bekommen von ihren Eltern oder vom Umfeld vorgelebt, dass sie keine Matura für ihren weiteren Lebensweg benötigen», erklärt der Kantilehrer. Das sei schade, denn damit werde auch eine Chance genommen. «Ich finde es wichtig, dass hier die Gesellschaft eingreift», sagt Pfister mit Nachdruck und fügt nachdenklich hinzu: «Bildung ist eine Chance, die uns offeriert wird.»

Der Kanton Zug ist ein «Paradebeispiel»

Dass es zu einem Umbruch im Bildungswesen kommen muss, sieht der 46-jährige Familienvater auch an der Entwicklung Zugs. «Der Kanton ist ein Paradebeispiel. Vom Bauernkanton entwickelte sich Zug zu einem Dienstleistungskanton», erklärt er weiter. Der Arbeitsmarkt habe sich stark verändert. «Die internationalen Firmen fragen nach hoch qualifizierten Arbeitern. Die Anforderung an die Bildung steigen, was sich in der Arbeitswelt abbildet.» Wenn die Fachkräfte nicht aus dem heimischen Markt kämen, dann würden die Unternehmen diese aus dem Ausland holen, ist sich Pfister sicher. Momentan brauche die Schweiz Fachkräfte, daher befürchtet der Experte nicht, dass es zu arbeitslosen Fachkräften oder Akademikern kommen würde. Seine These: Mit der Matura für alle lässt sich die klaffende Lücke zwischen nachgefragten und ausgebildeten gut Qualifizierten besser schliessen. «Jugendliche mit einem Matura-Abschluss machen später auch eher eine Weiterbildung», sagt er und verweist wieder auf Statistiken zu diesem Thema.

Doch nicht jeder geht gern zur Schule. «Auch mir ist das so ergangen. Ich verstehe die Schulmüdigkeit, aber damit muss man verantwortungsvoll umgehen und das liegt auch in der Hand der Gesellschaft.» Denn eine Volksschule oder Berufsschule stelle schliesslich auch niemand in Frage, so Pfister. Für ihn steht fest, dass die Gesellschaft das sogenannte Geissenpeter-Syndrom überwinden muss. «Das kommt noch von früher: Eine höhere Bildung braucht der ‹Geissenpeter› nicht, so die gängige Meinung», erklärt der 46-Jährige. Und von diesem Mythos wieder wegzukommen, sei schwer. Auch dürfe sich die ältere Generation nicht schlechter vorkommen, nur weil sie besagte Ausbildung nicht erhalten habe.

Dass seine Idee auch auf Ablehnung stossen könnte, damit rechnet der Lehrer sogar. «Es wird sicher kontrovers aufgenommen und diskutiert.» Unter Berufskollegen werde oft befürchtet, dass das Bildungsniveau darunter leiden werde. Das möchte Pfister auf keinen Fall. Er macht klar: «Zug liegt mir sehr am Herzen und ich möchte mit meiner Idee allen Jugendlichen eine Chance geben. Niemand soll zu einem Bildungsverlierer werden. Ich sehe mich als Anwalt der Zuger Jugend.» Und fügt hinzu: «Ich sehe noch viel Potenzial, das in den Jugendlichen steckt.» (Andrea Muff)

Hinweis

Das Buch «Matura für alle» von Andreas Pfister (ISBN 978-3-9524924-3-7) ist im Handel und beim Arisverlag erhältlich. Weitere Informationen sind unter www.maturafueralle.ch erhältlich.