Berührendes zu einer schrecklichen Tat

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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Am 27. September 2001 erschoss ein Mann im Zuger Regierungsgebäude 14 Politikerinnen und Politiker, bevor er sich selber richtete. Die Steinhauser Autorin Barbara Schmutz lässt in einem Buch Überlebende erzählen, wie sie das Ereignis zu verarbeiten versuchten.

  • Die Anteilnahme der Bevölkerung in den Tagen und auch Wochen nach dem Attentat war riesig. (Bild Christof Borner)
    Die Anteilnahme der Bevölkerung in den Tagen und auch Wochen nach dem Attentat war riesig. (Bild Christof Borner)
  • Autorin Barbara Schmutz. (Bild Maria Schmid)
    Autorin Barbara Schmutz. (Bild Maria Schmid)

Zug – Innerhalb von zwei Minuten und 34 Sekunden wurden an diesem Tag im Zuger Regierungsgebäude 14 Menschen getötet: eine Regierungsrätin, zwei Regierungsräte, zwei Kantonsrätinnen, neun Kantonsräte. Danach richtete sich der Attentäter ­selber. Seither sind zahllose Zeitungs­artikel erschienen, der Untersuchungsbericht ist bekannt, und es gibt zwei Dokfilme des Schweizer Fernsehens. Die Steinhauserin Barbara Schmutz hat nun mit «Das Zuger Attentat. 20 Jahre danach» das erste Buch darüber geschrieben.

Wer mit der Lektüre beginnt, will das Buch nicht mehr weglegen. Tief berührend sind die 13 Porträts von Beteiligten. Der heutige Oberägerer Nationalrat Gerhard Pfister, der aktuell die Partei Die Mitte führt, sagte in einem Interview vor rund zehn Jahren, dass er sich daran störte, wie gewisse Personen sich über das Zuger Attentat geäussert hätten, bevor alle ­Opfer bestattet waren: «Im Nachhinein muss ich sagen, dass mein Ärger eine unreife ­Reaktion war. Es soll jede und jeder so reagieren, wie sie oder er will.» Er habe hinterher viel Geschriebenes nochmals reflektiert und plötzlich gemerkt: «Es gab damals noch kein Social Media.» Der Zuger Nationalrat lobte dann den Fotografen Christof Borner-Keller. Dieser hatte das Bild gemacht, das Verletzte auf der Treppe des Regierungs­gebäudes zeigt, und um die Welt ging. Pfister: «Es ist ein gutes Bild, weil es die Tragödie zeigt, ohne sensationslüstern zu sein.»

Fotograf Christof Borner-Keller bezeichnet sein unmittelbar nach dem Attentat gemachtes Foto mit den fünf Menschen auf der Treppe zum Regierungsgebäude selber als «stimmig». Letzteres Wort kommt ihm auch heute noch nicht leicht von den Lippen. An der Bildaussage ­ändere dies aber nichts: «Es enthält genug Informationen. Man sieht das Gebäude, in dem das Attentat passiert ist, man sieht Emotionen, Schmerz, Schock und Hilflosigkeit.»

Er weiss bis heute nicht, warum er nicht geholfen hat

Auf dem Bild ist auch der Baarer Kantonsrat Karl Betschart zu ­sehen. Er blieb unverletzt und sagte hinterher: «Ich hatte einen Schutzengel.» Mit schonungs­loser Offenheit liess Betschart die Autorin Barbara Schmutz auch wissen: «Das Schlimmste war: Man konnte nicht helfen, war nicht in der Lage zu helfen! Ich sah im Saal die Toten, hörte die Verletzten und ging dennoch einfach raus, ohne nach rechts und links zu blicken.» Lobend erwähnt der damalige SVP-­Kantonsrat seine Ratskollegin ­Manuela Weichelt (Alternative-die Grünen). Sie hat «grosse Hilfe geleistet, viel und überall». Weshalb er nicht geholfen habe, weiss Betschart bis heute nicht.

Manuela Weichelt hält es auch mit einer Distanz von 20 Jahren für angebracht, weiterhin über das Attentat von 2001 zu sprechen. Dieses Ereignis soll nicht vergessen gehen. Das Attentat zeige, dass «wir mit un­seren Mitmenschen achtsam ­umgehen sollten, und wir uns nicht darauf verlassen können, dass uns hier nichts passiert».

Vom Engagement der Zuger Bevölkerung getragen

Ein prägender Bestandteil des neuen Buchs über das Zuger Attentat ist die aufgezeichnete Geschichte des damaligen Landschreibers Tino Jorio und seiner Frau Ruth Jorio. Der Landschreiber beschäftigte sich bereits am Attentatstag ab 16 Uhr mit der Zukunft. Er ist Mitglied einer Taskforce, die über Dinge entscheidet, die keinen Aufschub dulden. Zudem bildet Jorio mit seiner Frau und Standesweibel Paul Langenegger ein Care-Team, das sich um die Sorgen der Angehörigen kümmerte.

Zehn Jahre lang ist Trio in dieser Sache unterwegs. Tino Jorio, der selber wiederholt mit dem nachmaligen Attentäter zu tun hatte, lässt sich im Buch sinngemäss so zitieren, dass er solchen Wutbürgern früher geraten habe, eine Beschwerde zu schreiben, um ihren Groll zu legalisieren. Heute verfolgt Tino Jorio einen modifizierten Ansatz: Er habe gelernt hinzuhören, um die Zwischentöne zu ­erkennen. Das Allerschönste, so Tino Jorio im Buch über das Attentat, sei gewesen, wie ihr ­Engagement von der Bevölkerung getragen worden sei.

Alle 13 Porträts sind auf ihre Weise berührend. Hilfreich ist auch, dass wissenswerte Fakten zum Attentat im Buch ausgelagert und sehr kurzgehalten wurden. Es ist von Anfang bis zum Ende lesenswert. Die Lektüre zeigt auch, dass selbst 20 Jahre seit dem tragischen Ereignis noch viel Dankbarkeit und Demut vorhanden sind. Selbst wer die Porträtierten nicht kennt, erkennt, wie die Autorin unaufgeregt das ihr Gesagte präsentiert, ohne moralisierend zu wirken. Barbara Schmutz: «Es hat mich beeindruckt, wie offen die Interviewten erzählten, welche Auswirkungen das Attentat auf ihr Leben hatte.» Ihr nächstes ­Projekt ist eines über die Liebe. Barbara Schmutz sagt zu ihrer Berufung: «Ich habe viel Freude am Bücherschreiben, weil ich dabei Zeit habe, mich in Themen vertiefen zu können.» (Marco Morosoli)