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Kunst & Baukultur

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Den Zuger Künstler Markus Uhr beschäftigt das Thema «Wahrheit». Wie, das zeigt er in der Galerie Billing in Baar.

  • Markus Uhr verleiht unter anderem Blättern aus Modezeitschriften eine neue Aussagekraft. (Bild Matthias Jurt)
    Markus Uhr verleiht unter anderem Blättern aus Modezeitschriften eine neue Aussagekraft. (Bild Matthias Jurt)

Baar – Auf den Internetplattformen und in den Medien finden sich unzählige Bilder und Texte. Alle wollen gefallen oder sogar provozieren. Doch was sind Fake News, und was ist wahr? Der in Leipzig lebende Zuger Künstler Markus Uhr (45) sammelt seit Jahren viele Dinge. Darunter befinden sich auch Modehefte mit professionell gestalteten Werbebildern von namhaften Firmen. Es reizte ihn, solche alten Bilder, die zumeist Models in Kleidern von hochpreisigen Labels zeigen, durch seinen Eingriff umzugestalten und ihnen neue Aussagekraft zu geben. So hat er Mode- oder Ausstellungsbilder mit extrem vergrösserten Ausschnitten von grauschwarzen Faltenwürfen kombiniert.

Welche Stellen nun überdeckt sind, können die Besucher der aktuellen Ausstellung in der Galerie Billing in Baar nachvollziehen. Die sind oft komplett überrascht, weil die ganze Wand rechts vom Eingang ist mit 500 solcher Arbeiten zum Thema «Wahrheit» überdeckt ist. «Die Bilder funktionieren auch als Einzelsujet, sie sind austauschbar. Doch sie wirken stärker als Tapete, als Gesamtbild», sagt Markus Uhr und ergänzt: «Das Thema ist viel versprechend. Der Künstler muss sich mit seinen neuen Werken jedes Mal quasi nackt machen, etwas von seinem Inneren zeigen. Es stellt sich die Frage, wie viel man auf die Waage legen soll», führt Uhr aus.

Die Modebilder mit den Faltenwürfen zu kombinieren, habe ihn gereizt. Die Faltenwürfe seien kunstgeschichtlich interessant, man sehe sie auf den ­alten Bildern und Statuen. «Sie geben mir die Möglichkeit, wie eine Zensur etwas zu verdecken. Dabei habe ich mich gefragt, wie viel Schwarz verträgt es, und was macht ein Bild zum Bild? Hier stelle ich die Vergänglichkeit in einen anderen Kontext.»

Aus einer Leseempfehlung erwächst Inspiration

Interesse weckt ebenfalls die Werkgruppe Buenos Aires/Malos Aires, die aus der sechsmonatigen Residence 2018 in Argentinien stammt und die bereits im Titel seine Empfindungen über diese Zeit andeutet. Ihre Entstehung ist, wie Markus Uhr erzählt, einem Zufall zu verdanken: «Vor der Reise hat mir jemand den Roman Auf der Suche nach dem Gesang der Nachtigall› des russischen Avantgardisten Konstantin Waginow in die Hand gedrückt und zum Lesen empfohlen. Ich habe festgestellt, dass sich seine Ansichten mit meinen decken.» Nach dem Lesen kreierte er daraus Seite für Seite ein spezielles Tagebuch, wobei er jede mit Zeichnungen oder Handyfotos von Gebrauchsgegenständen, Federn oder Eindrücken aus seinen Wanderungen durch die Stadt kombinierte. Das Ganze ergibt ein eigenwilliges Gesamtkunstwerk.

Alltagsgegenstände erhalten neues Leben

Auf den Flohmärkten waren ihm weiter die Verkäufer von alten Zündholzbriefchen aufgefallen, die anscheinend wegen der Sujets gesammelt werden. Auch hier reizte es ihn, ihnen spielerisch neues Leben einzuhauchen. «Einige habe ich gerettet und sie vergolden lassen, dass ihnen nun – jenseits der ursprünglichen Funktion – ein überhöhter Wert zugesprochen werden kann.»

Der aus Menzingen stammende Markus Uhr musste sich seinen Weg zum Künstler hart erarbeiten. «Ich habe immer gewusst, dass ich das machen will», sagt er und berichtet, dass er sich mehrmals um die Aufnahme in den Vorkurs bemüht hat, dies aber lange vergebens. «So lernte ich zuerst Hochbauzeichner und dann Landschaftsgärtner.» Doch seinen Traum gab er nicht auf; erst mit 24 gelang ihm die Aufnahme, und er konnte mit der Kunstausbildung beginnen, wo er sich auf die Fotografie spezialisiert hatte. Markus Uhr ist es wichtig zu betonen: «Die Fotografie steht zwar im Zentrum, aber ich arbeite daneben viel mit Collagen, Zeichnungen, Objekten und Kunstbüchern. Und mich interessiert noch vieles mehr.» (Monika Wegmann)

Hinweis
Markus Uhr – «Die Wahrheit». Galerie Billing Bild, Haldenstrasse 1, Baar. Ausstellung bis 19. Januar 2020. Offen Mo, Do, Fr 14–18 Uhr, Sa 10–16 Uhr. Am 19. Dezember, 17–19 Uhr, liest Thomas Heimgartner aus dem Buch von Konstantin Waginow.