Seltene Orgeltrouvaillen aus Polen

Musik

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Organist Michał Markuszewski aus Warschau gestaltete in Baar ein vielfältiges Programm: Neben Bach und Improvisationen aus eigener Hand spielte er Werke von weniger bekannten polnischen Komponisten.

Baar – Das zweite Konzert der diesjährigen Internationalen Zuger Orgeltage gehörte dem polnischen Gast-Virtuosen Michał Markuszewski. Die Orgel der Baarer St.-Martins-Kirche bewährte sich für sein Programm. Neben dem souveränen Können des Organisten lag dies auch am guten technischen Zustand sowie an einer Akustik, die auch bei relativ geringem ­Publikumsaufmarsch nicht allzu hallig wirkte.

Die primär auf Barock ausgerichtete Orgel-Disposition rief gewissermassen nach Johann Sebastian Bach. Er war fast stärker vertreten, als dies im schriftlichen Programm seinen Niederschlag fand: Gleich zu Beginn erklang eine Eigen-Improvisation über ein Choralthema, die man ohne Kenntnis des Sachverhalts wohl einem Bach-Zeitgenossen zugeordnet hätte. Die ursprüngliche Melodie erschien immer wieder in Fragmente aufgelöst, und nach der wuchtigen Reprise im Bass folgten vor den Schlussakkorden jene Generalpausen, die auch viele Bach-Fugen auszeichnen.

Ein Stück hiess zwar «Bach-Werk-Verzeichnis 972», aber die Grundstruktur hatte Bach von einem Konzert für Streicher von Antonio Vivaldi übernommen. Die Überarbeitung durch den Organisten selbst verschärfte noch den Kontrast zwischen den drei Sätzen durch die Arpeggierung langer Akkordfolgen im Mittelsatz. Selbst bei der Fantasie KV 608 von Wolfgang Amadeus Mozart war deutlich zu spüren, wie intensiv sich der Vertreter der Wiener Klassik für den sehr beschwingt angegangenen Eingangsteil von Johann Sebastian Bach hatte inspirieren lassen. Erst mit den dazwischen liegenden Variationen löste er sich davon.

Exzerpte aus dem ­Warschauer Tabulaturbuch

Seit vielen Jahren fordert Olivier Eisenmann die ausländischen Gastsolisten auch auf, Werke von Komponisten ihres Heimat­landes zu spielen. Für den pol­nischen Organisten war dies insofern schwierig, als Polen in den letzten 150 Jahren häufig andere Grenzen erhielt und zeitweise von Russland und Deutschland einverleibt wurde. Wohl aus dem 17. Jahrhundert stammten die Werke des anonymen Warschauer Tabulaturbuches, die wiederum reichlich die erwünschte Gelegenheit zur Bearbeitung und Improvisation boten. 

Stimmungsvoll gelang die Elegie in fis-Moll von Mieczysław Surzyński (1866–1924), wo neben den Eigenheiten in der Komposition selbst auch die Abwechslung zwischen zwei Registerkombinationen die grossräumige Struktur verdeutlichte. Kaum bekannt ist in Westeuropa das umfangreiche Schaffen von Karl August Freyer (1801–1883). Seine «Konzert-­Variationen in E-Dur» bearbeiteten das Thema eines russischen Liedes, das später zu Nationalhymne geworden ist. Zwei Tutti-Einsätze zu Beginn und am Schluss markierten den festen Rahmen für die sehr unter­schiedlich gestalteten Zwischen­strophen, die aber durchwegs gut hörbar das Hauptthema beinhalteten. Dessen Text verherrlichte jenes Regime des Zaren, welches nur wenige Jahre vorher das Musik-Konservatorium in Warschau hatte schliessen lassen.

Eher im Beiläufigen verharrten Präludium und Fuge von Jan Gawlas (1901–1965), die nach der kurzen Spieldauer fast einen zu wuchtigen Abschluss erhielten, so wie eine «Polnische Fantasie» von Feliks Nowowiejski (1877–1946), welche die überarbeiteten Melodie-Fragmente von ver­schiedenen volkstümlichen Weih­nachts­liedern aneinanderfügte. 

Den Schlussapplaus verdankte Michał Markuszewski mit einer weiteren Eigenimprovisation. (Jürg Röthlisberger)

Hinweis
Nächstes Konzert am Sonntag, 13. Mai, 16 Uhr, in der Klosterkirche Frauenthal, Hagendorn. An der Orgel: Giulia Biagetti (Italien).