Die Neustadt als Epizentrum der Zuger Kirschtorte

Brauchtum & Geschichte

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Das Kirschwasser aus der Zuger Neustadt wurde vor 150 Jahren weltbekannt. Eigentlich logisch, dass ein Konditor im neuen Stadtquartier beim Bahnhof Zug auf die Idee kam, Kirsch zu verwenden.

  • Visitenkarte der 1870 im Zuger Neustadt-Quartier gegründeten und damals auf der ganzen Welt bekannten «Kirschwassergesellschaft in Zug». (Bild PD)
    Visitenkarte der 1870 im Zuger Neustadt-Quartier gegründeten und damals auf der ganzen Welt bekannten «Kirschwassergesellschaft in Zug». (Bild PD)

Zug – Kirsch wurde in der Region Zug und Rigi nachweislich schon vor 400 Jahren gebrannt. Es wird erzählt, dass das Zuger Chriesiwasser bereits im 18. Jahrhundert bei der feinen Pariser Gesellschaft äusserst beliebt gewesen sein soll. Die Gebiete rund um den Zugersee waren im 18. und 19. Jahrhundert bekannt für ihre Kirschbaum-Wälder, auf der Zuger Allmend standen Hunderte von Chriesibäumen, die als Gemeingut allen gehörten. Gleichzeitig mit der einsetzenden Industrialisierung steigerte sich um 1850 auch die Produktion des Zuger Kirschwassers. Und mit der Eröffnung der neuen Eisenbahnstrecken und des ersten Zuger Bahnhofs 1864 erfuhr der Kirsch-Export einen markanten Aufschwung. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Neugründungen.

Berühmte Destillerien waren im Neustadt-Quartier nahe des Zuger Bahnhofs angesiedelt. An der Alpenstrasse 1 produzierte die Brennerei und Mosterei «Weiss zum Erlenbach» seit Mitte des 19. Jahrhunderts Zuger Kirsch. An der Poststrasse 23 destillierte die Brennerei «Paul Etter» von 1891 bis 1926, bevor sie an die Baarerstrasse 37 umzog und dort bis 1980 tätig war. An der Vorstadt befand sich von 1855 bis 1902 die Kirschwasser-Destillerie «Joseph Schmidt», an der nahen Gartenstrasse 2 war die Brennerei «Carl Landtwing» von 1902 bis 1956 domiziliert.

Kirsch für Kuba

Am wichtigsten für die frühe Verbreitung und den internationalen Ruf des Zuger Kirschs war jedoch die Zentrale der «Kirschwassergesellschaft in Zug», die von 1872 bis 1911 an der Bundesstrasse 15 neben der späteren protestantischen Kirche in der Neustadt angesiedelt war. 1870 hatten sich 116 Kirschbrenner und Chriesibauern aus dem ganzen Kanton zur neuen Gruppierung zusammengeschlossen, um die Qualität des Kirschwassers zu steigern, Fälschungen zu verhindern und den weltweiten Export zu fördern. Zu diesem Zweck unterhielt die genossenschaftliche Vereinigung um 1900 über 20 Depots und Agenturen in Europa, Russland, Kleinasien, Nord- und Südamerika sowie in der Karibik. Auch auf Kuba wurde Zuger Kirsch getrunken. Die grossen, dampfbetriebenen Destillationsapparate bestellte die Aktiengesellschaft bei Siemens in Stuttgart. Zum unabhängigen Kontrollexperten bestimmte man den Kantonsschullehrer Friedrich Mühlberg, den späteren Chemielehrer von Albert Einstein.

250 000 Torten

Aus heutiger Sicht erscheint es logisch, dass eine mit Kirschwasser getränkte Torte im bahnhofsnahen Neustadt-Quartier erfunden wurde. Aktuell werden im Kanton Zug über 250 000 Kirschtorten hergestellt und dafür rund 15 000 Liter Zuger Kirsch (100 Vol.-Prozent) verwendet. Meier, Treichler, Strickler und Speck, die vier grössten Kirschtorten-Hersteller, die schweizweit etwa 85 Prozent dieser Zuger Spezialität herstellen, haben ihren Stammsitz oder ihr Ladenlokal heute noch in der Zuger Neustadt. So ist das Stadtviertel rund um den Bahnhof Zug nicht nur die Heimat des weltbekannten Zuger Kirschwassers, sondern auch das eigentliche Epizentrum der Zuger Kirschtorte.

Übrigens ...

Aber nicht nur das Neustadt-Quartier war damals eine Hochburg der Zuger Kirschkultur. Auch mitten in der Zuger Altstadt waren im 19. Jahrhundert berühmte Kirschbrenner tätig, so ab 1830 die Gebrüder Bossard im Haus «Zum Schwanen» in der Unteraltstadt, ab 1851 Wyss in der «Münz» an der Zeughausgasse und Speck-Stadler an der Ägeristrasse sowie ab 1883 Keiser beim Knopfliturm. Die Gemeinde Menzingen verfügte 1932 über 95 Brennereien, Baar hatte 83 und Oberägeri 78. Ausserhalb des Kantons waren Arth, Steinen, Küssnacht, Schwyz und Weggis eigentliche Kirschen-Hochburgen. In Küssnacht zählte man 154 Brennapparate, in Schwyz 116 und in Weggis deren 90. (Ueli Kleeb)

Lesen Sie in der nächsten Serie, wie das wiederentdeckte Originalrezept der Zuger Kirschtorte lautet. Und was die Unterschiede zur heutigen Torte sind.
Zusammen mit einem Team von Historikern hat der Zuger Ueli Kleeb die Kirschenkultur in der Region Zug-Rigi erforscht und seit 2007 ein umfangreiches Archiv angelegt. Ende Jahr erscheint das Buch dazu. Viele der erwähnten Exponate sind im Zuger Kirschtorten-Museum bei Treichler ausgestellt.