Der Weg nach Hause und zu sich selbst

Theater & Tanz

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Wer bin ich? Wo bin ich zu Hause? Was heisst Menschsein? Das neuste Stück des Theaters Noï stellt die menschlichen Grundfragen nach Identität, Herkunft und Geschichte für Kinder und Erwachsene.

  • Auf ihrem Weg findet Gaia (Sandra Bruppacher) Andreas (Moritz Hassler). (Bild Stefan Kaiser)
    Auf ihrem Weg findet Gaia (Sandra Bruppacher) Andreas (Moritz Hassler). (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Am Freitagabend feierte das Zuger Theater Noï die Premiere seines dritten Stückes mit Charles Ways «Weit ist der Weg» (The Long Way Home, 2005). Seit 2016 bietet die kleine Schauspieltruppe um den Regisseur Franz Spörri und die Theaterpädagogin Judith Spörri feinstes Theater für Jung und Alt. Während zwei Wochen wird im Burgbachkeller gespielt, insgesamt 24 Aufführungen, acht davon für die Öffentlichkeit. Die übrigen 16 Vorstellungen werden von Zuger Schulklassen besucht – und der Andrang dazu ist gross.

Wer kennt nicht Freddy Quinns Hit «Weit ist der Weg» oder Norah Jones’ Ballade «The Long Way Home»? Weitere Popsongs, aber auch Kinofilme tragen diesen Titel. Der Weg zurück, der Weg zu den Wurzeln ist offenbar ein Basismotiv des menschlichen Bewusstseins. Darum dreht sich alles in Charles Ways «The Long Way Home».

Die alte Gaia (Sandra Brupp­acher) möchte zurück ans Meer, nach Emblisi, ihrem Heimatdorf. Ihre drei Söhne sind erwachsen und fort. Sie verabschiedet sich auf dem Friedhof von ihrem toten Mann Kostas und zieht los. Im Wald begegnet sie einem verängstigten Jungen (Moritz Hassler), der sich für einen Hund hält, knurrt und bellt. Sie nimmt sich des verstörten Wolfskindes an und bringt ihm allmählich das Sprechen bei. Gemeinsam gehen sie den Weg weiter, wochenlang, durch Felder und Zitronenhaine, über das schneebedeckte Gebirge und endlich hinab zum Meer. Die Schicksale der beiden Hauptfiguren verweben sich. Gaia bedeutet griechisch Erde, und auf dem Höhepunkt der Geschichte, auf dem eisigen Pass, den sie allein nicht schaffen würde, sagt sie einmal: «Ich bin d’Urmueter Gaia.» Die Frau als Mutter. Gaia aber möchte wissen, was sie davor war; sie erinnert sich an die Liebe, an den Krieg. Die Sehnsucht nach dem Meer ist die Sehnsucht nach den Ursprüngen des Ichs. Der tote Kostas (Erich Ettlin) erscheint ihr in den Träumen, macht ihr Vorwürfe, versöhnt sich am Ende mit ihr. Zu allem hat sie immer wieder nur eines zu sagen: «Ich weiss …»

Der Wolfsjunge aber blüht auf unter ihrer Mütterlichkeit. Irgendwann wird es Zeit, seine Namenlosigkeit zu beenden, und Gaia nennt ihn Andreas – den Männlichen, Mutigen, Tatkräftigen, Tapferen. Und lässt damit die Erinnerung an ihren vierten, jüngsten, viel zu früh verstorbenen eigenen Sohn zu. Der Schmerz wird erträglich. Und Andreas ein Mann.

Subtilität in Bühne, Licht und Musik

Vor einem einfachen Bühnenbild (Berthe Spörri, gebaut von Walter Gauer) aus beweglichen grauen Styroporwürfeln und Leinwänden tragen ein Erzähler (Marc Haring) und eine Erzählerin (Judith Spörri), in neutrales Schwarz gekleidet, die Geschichte auf Hochdeutsch vor. Ihre Blicke richten sich dabei direkt ins Publikum, die «vierte Wand» verschwindet. Aber dann verwandeln sie sich mittels eilends übergezogener bunter Kleidungsstücke (Kostüme Sarah Grangier) und dem Wechsel ins Schweizerdeutsche in die verschiedenen Nebenfiguren der Handlung. Gaia und Andreas begegnen nämlich auf ihrer Reise fremden Schicksalen, von der traurigen Xenia bis zum schiesswütigen Räuberpaar Odessa und Darius. Diese Stationen variieren und vertiefen das Thema. Zur Schlichtheit der Bühne gesellt sich das subtile Licht Martin Bruns, blau, gelb, weiss, beige, Schatten provozierend, Fokus setzend. Es ist ein Atmosphären-, ein Seelenlicht. Zarte Akustik untermalt zusätzlich die Stimmung (Technikführung Bruno Wirth) – etwa Vogelzwitschern, Windheulen oder Meeresrauschen. Die von Charles Way vorgesehenen Lieder hat Pascal Bruggisser vertont. Er begleitet den gesamten Theaterabend auf dem Akkordeon, mal in osteuropäischen Tanzrhythmen, mal mit unterschwellig lang gezogenen hohen Tönen. Das Stück atmet wesentlich mit dieser Musik.

Am Ende tritt die Liebe dazu. Für Andreas und Gaia je anders. Franz Spörri hat für den Abschluss seiner Inszenierung berührende Bilder gefunden. Manchen Zuschauern liefen ein paar Tränen herab. Der Applaus war warm und lange. (Dorotea Bitterli)

Hinweis
Weitere Vorstellungen im Burgbachkeller, Zug: Freitag, 10.5., um 20 Uhr; Samstag, 11.5., um 17 und 20 Uhr; Sonntag, 12.5., um 17 Uhr.