Kunstbummel mit Social Distancing

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

,

Die Museen sind geschlossen. Doch bei vielen gibt es offene Hintertüren – ganz legal und bequem.

Zug – Am Anfang war Wuhan. Hier begann die Corona-Krise. Hier bin ich nach einer Yangtse-Flussfahrt vor bald zwanzig Jahren für eine Nacht gestrandet. Das reichte mir in diesem Stadt-Moloch. Es reichte allerdings nicht für einen Museumsbesuch. Den habe ich vorgestern nachgeholt – und gestaunt. Das 1953 gegründete Hubei Provincial Museum ist eines der acht wichtigsten kunsthistorischen Museen Chinas. Eine riesige Anlage, architektonisch ein Mix der Chu-Tradition (770–476 v. Chr.) mit dem zeitgenössischen chinesischen Repräsentationsstil. Gärten, Wege, Brücklein verbinden die drei Gebäude, über 200000 Artefakte besitzt es – man muss also entscheiden, welche Abteilungen man sich anschauen will. Jadeschnitzereien, alte Bronzegefässe und fein ziselierte Metallarbeiten verkörpern das typisch Chinesische. ­Andrerseits ist es spannend, bei den Tongefässen zu sehen, wie diese frühesten Errungenschaften der Menschheit sich weltweit ähneln. So flanierte ich also durch mehrere Stockwerke von Vitrine zu Vitrine, der Besucherandrang hielt sich in Grenzen, westliche Touristen waren nicht auszumachen.

Nein, das ist kein Traum, keine Erfindung. Ja, Wuhan ist noch immer Sperrzone, auf den Plätzen wird frühmorgens nicht gemeinsam Tai-Chi exerziert oder nach Walzerklängen aus Gettoblastern getanzt. Das Museum ist selbstverständlich zu. Aber mein Besuch fand statt. Bequem – und vorbildlich abgesondert – von zu Hause aus.

Die Museen haben ihre Portale weit geöffnet

Die Online-Hintertüren Tausender Museen weltweit stehen 24 Stunden am Tag offen – auch in Zeiten des Lockdown. Den einfachsten Zugang findet man per Google Arts And Culture, ein Portal, das seit 2011 Tausende von Zugängen, Tipps und Tutorials bündelt. Direkt zu den Museen geht’s via https://artsandculture.google.com/partner – mit dem Vorteil, dass alle Häuser nach dem gleichen einfachen Schema und in guter Qualität erfasst sind.

Einer kurzen Beschreibung des Museums folgt eine bebilderte Liste mit Storys zu einzelnen Werken oder Schwerpunkten. Das beste, das hintergründigste Tool. Im Rijksmuseum Amsterdam – einem der online am üppigst dotierten Häuser – sind elf wunderbar gemachte Bildbetrachtungen abrufbar. Bei der berühmten «Briefleserin» von Johannes Vermeer werden mit Zooms und Schriftbändern der Einsatz von Blau, die «Fehler» beim Schattenwurf oder die Karte im Hintergrund erklärt. Auf Englisch. Aber Google wäre nicht Google, wenn nicht das Angebot zur Übersetzung aufploppen würde. Sie ist durchaus akzeptabel.

In einem Bilderband ist die online verfügbare Sammlung nach Kategorien wie Zeitaltern, Genres und Stilen aufgelistet – da holpert es fachlich öfter mal. Als drittes Element präsentiert sich in einem Bilderteppich die online erfasste Sammlung. Das reicht von ein paar Dutzend Einträgen pro Museum bis zu unglaublichen 164511 Objekten im Rijksmuseum. Dort gibt es zudem vier üppige Streetview-Rundgänge. Ich wandere so durch die Rembrandt-Räume, doch es bleibt beim oberflächlichen Rundumblick. Denn nicht vor jedes Gemälde kann ich in einer annehmbaren Perspektive navigieren, Titel und Jahreszahlen ploppen nur in Ausnahmefällen auf – und irgendwann verliere ich mich in den Räumen und Gängen.

Im Bode Museum in Berlin funktioniert das besser. Ich kann nicht nur einen Grundriss und diverse Hilfsnavigationen aufrufen, sondern auch Infos zu den Werken, die mir ins Auge stechen. Im Raum 107 steht herrlich – und irgendwie tröstlich in diesen Zeiten – eine Schutzmantel-Madonna. Unter ihrem blauen Mantel schützt sie viele kleine Menschlein aller Schichten. War um 1480 in den Augen ihres Schöpfers, des Holzschneiders Michel Erhart, offensichtlich noch kein Thema.

Eher Virtual Distancing muss man bei vielen Schweizer Museen konstatieren. Ihre Online-Sammlungen stellen meist ein paar Highlights vor zum Durchscrollen oder Anklicken. Animiertes ist selten – oder gut versteckt. Viele bieten zusätzlich umfangreiche, aber öde verpackte Datenbanken ihrer Sammlungen an. Sehr breit etwa das Kunstmuseum Basel. Immerhin lässt sich hier nach Künstlern oder Stichworten suchen. «Krank» gebe ich ein: null Resultat. «Malade» bringt einen Treffer: das Gemälde «La Malade» des Niederländers Alexander Hugo Bakker-­Korff von 1866.

Auf in die ferne Welt, auf zu Neuem

Doch warum immer in die Häuser, die ich schon kenne? Also klicke ich mich durch die Auswahl auf Google Arts And Culture: Auf geht’s nach New Delhi, Moskau und St.Petersburg, nach Cincinnati, Skagen und Nagoya. Die Stunden vergehen wie im Flug, die Augen werden müde. Doch halt, das National Museum of Women in the Arts in Washington DC wollte ich doch schon immer mal besuchen. 1987 eröffnet, ist es «das einzige Museum, das sich ausschliesslich der Feier der Leistungen von Frauen in den Bereichen bildende, darstellende und literarische Kunst widmet». Welch eindrückliches Treppenhaus, welche Fülle an – unbekannter und bekannter – weiblicher Kunst. Eine Entdeckung. Dahin reise ich wieder. Ob online oder real.

Aber irgendwann fühlt man sich einsam bei dieser Klickerei, bei diesem Surfen an Wänden und Bildern vorbei. Da kommt die Ankündigung des Belvedere in Wien gerade recht, dass es ­täglich um 15Uhr eine Online-Live-­Führung macht. In fünf Minuten erklärt Markus Hübl mal das Treppenhaus, mal ein Gemälde. Die Videos bleiben natürlich verfügbar. Ein hübscher ­Einfall, der wohl kein Einzelfall bleiben wird. Die Museen rüsten weltweit auf, ihre virtuellen Hintertüren werden, auch angetrieben durch das Corona-­Virus, laufend grösser. Aber ich freue mich trotzdem auf den Moment, wenn die Vordertüren wieder aufgehen. (Sabine Altorfer)