Drama im Keller

Theater & Tanz

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Wo einst Ratten hausten, wächst heute im kleinen Rahmen grosse Kunst heran. Das Theater im Burgbachkeller feiert seinen Fünfzigsten. Es ist gut gealtert.

  • Roland Schlumpf in seinem Theater im Burgbachkeller. (Alle Bilder: Philippe Hubler)
    Roland Schlumpf in seinem Theater im Burgbachkeller. (Alle Bilder: Philippe Hubler)
  • Drama im Keller: Hier gibt es heute Spielfreude statt Ratten.
    Drama im Keller: Hier gibt es heute Spielfreude statt Ratten.
  • Ein Abschiedsgeschenk: Die Bänke an der Zuger Seepromenade.
    Ein Abschiedsgeschenk: Die Bänke an der Zuger Seepromenade.

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen.

Keller haben etwas Unheimliches. Als Schauplatz vieler Horrorstreifen jagte das eine oder andere ausgehöhlte Gebäudefundament schon so manchem einen kalten Schauer über den Rücken. Im Schutz dicker, fensterloser Betonmauern werden allerlei finstere Pläne geschmiedet und böse Machenschaften ausgeheckt. So stellt man sich das zumindest vor. Jedenfalls werden Keller nicht unbedingt mit positiven Attributen in Verbindung gebracht. Dunkel, modrig und feucht ist es dort. Und dann wimmelt es auch noch von Ratten und anderem Kriechgetier.
Wir wagen uns trotzdem rein.

Denn dieser Keller verspricht nichts von alledem. Mehr noch: Dieser Keller ist ein Hort der Ausgelassenheit. Hier wird gelacht, getanzt und geklatscht. Es ist weder dreckig, noch feucht; weder modrig, noch düster. Ratten hat es hier auch keine mehr. Dafür ist die Luft von Spielfreude, jeder Menge kreativer Energien und viel Historie geschwängert. Und das Beste: Wir sind nicht allein.

Frischer Wind im alten Gemäuer
Roland Schlumpf (65), Giannina Masüger (34) und Madeleine Flury (29) begrüssen sich herzlich. Kennen tut man sich zwar erst seit kurzem. Wer aber für dieselbe Sache brennt, der braucht kaum Anlaufzeit, um das Eis zu brechen. Der gemeinsame Nenner des Trios ist die Lokalität, in der sie sich gerade, mit Kaffeetassen bewaffnet, in die Runde setzen. Wir sind im Theater im Burgbachkeller. Und es gibt Grund zu feiern.
Das Stadtzuger Kleinkunsttheater im historischen Gemäuer ist nämlich 50 Jahre alt geworden. Ein halbes Jahrhundert schon wird hier im Keller musiziert, getanzt, geschauspielert, gelesen und gegaukelt. Seit 23 Jahren unter der Regie von Roland Schlumpf, der in über zwei ­Dekaden als Theater- und Programmleiter den Burgbachkeller wie kein Zweiter geprägt hat. Nächste Saison ist allerdings Schluss, Schlumpf geht in Ruhestand. Masüger und Flury sind seine Nachfolgerinnen.

«Der Burgbachkeller ist Teil meines Lebens», sagt Schlumpf. «Ich identifiziere mich voll und ganz mit diesem Theater. Manch einer wäre nicht überrascht, wenn er mein Bett irgendwo hier im Foyer finden würde.» Schmunzeln in der Runde. Dann doch etwas Wehmut: «Viele Freundschaften sind hier entstanden», erzählt der besonnene Theaterenthusiast. «Das macht es nicht ganz einfach, die Leitung abzugeben.» Und doch sei die Zeit reif für frischen Wind, betont der Kellerherr. «Manchmal frage ich mich schon, ob ich das nicht doch zu lange gemacht habe. Auch wir sind nicht vor Überalterung gefeit. Umso mehr freue ich mich, dass wir zwei junge Menschen gefunden haben, die die Sache hier auf ihre Art weiterziehen. Das wird auch im Publikum automatisch für eine Verjüngung sorgen», ist er überzeugt.

In stürmischen Zeiten geboren
Das Theater im Burgbachkeller hat einen geschichtsträchtigen Jahrgang. 1968, in einer von gesellschaftlichem Wandel geprägten Zeit, wurde das Kellertheater aus der Taufe gehoben. Das Gründerpaar Annemarie und Eugen Hotz hat jahrelang dafür gekämpft, in diesen historischen Kellerräumlichkeiten einen Ort für die Zuger Kleinkunst errichten zu können. Die beiden trafen einen Nerv. Zur Eröffnung platzte das Gewölbe aus allen Nähten. «1968 war die Zeit vieler Kleintheatergründungen in der Schweiz», erzählt Schlumpf. In Zug selbst war vom 68er-Geist zwar nur wenig zu spüren, im Gegensatz zu Zürich, wo die Jugendunruhen im Globuskrawall gipfelten. Und doch fanden vereinzelte Samen der Protestbewegungen ihren Weg auch nach Zug – namentlich in den Burgbachkeller.

«In der Anfangszeit war der 68er-Spirit auch hier drin spürbar», sagt Schlumpf. Das lag vor allem am Cabaret Durzug, das unter der Regie von Walo Lüönd das Jungfernstück im Burgbachkeller spielte. Politisches Kabarett und Gesellschaftskritik waren damals hoch im Kurs. Man spielte Jazz, sang Chansons und las explosive Texte. Gert Fröbe, César Keiser, Mani Matter, Emil Steinberger, Franz Hohler, der Clown Dimitri, Mummenschanz und viele Weitere standen hier auf der Bühne.

Leichen, Ratten und Künstler
Einige hundert Jahre zuvor wäre man in den kühnsten Träumen nicht darauf gekommen, wer sich dereinst im Burgbachkeller tummeln würde. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde darüber ein Spital errichtet, das Burgbach-Spittel. Unten wurden die Toten aufgebahrt. Es war düster, es stank, und es war definitiv unheimlich – ein typischer Keller halt.1875 wurde aus dem Spital das Burgbach-Schulhaus. Die Leichen sind verschwunden. Lange Zeit wurde der Keller als Warendepot genutzt. Gemüse, Früchte und Fleisch lagerten dort, wovon die Ringe an der Decke im Foyer noch heute zeugen. Später wurden im Burgbachkeller vor allem Weinfässer aufbewahrt.
1968 schliesslich begann sich das Hotz’sche Unterfangen langsam zu manifestieren. «Als Erstes wurde der Keller komplett leergeräumt», erzählt Schlumpf. «In der Altstadt herrschte damals eine Rattenplage, die hier offenbar ihre Quelle hatte. Es war wohl ein hartes Stück Arbeit, alle Nager rauszubekommen.»

Am 6. November 1968 war das neue Theater im Burgbachkeller bereit dazu, bespielt zu werden. Die Bühne misst knapp 25 Quadratmeter. Im Zuschauerraum finden rund 100 Gäste Platz. Mit Foyer und Bar kommt das kompakte Kellertheater total auf gut 150 Quadratmeter. Ein intimer Raum, geschaffen für die Kleinkunstszene.

Wo lokales Gewächs gedeiht
Für das hiesige Theaterschaffen sollte der Burgbachkeller von Beginn weg zum Stammlokal werden: das Zuger Laientheater. Die Kulisse ist von Anfang an dabei, und noch heute voll des Lobes: «Wir fühlen uns im Burgbachkeller zu Hause», sagt Vorstandsmitglied Pia Irányi. «Die Gastgeber sind stets offen für Ideen, sie denken mit und sind sich nicht zu schade, auch mal tatkräftig mit anzupacken.» Als Schauspielerin gefalle Irányi die Nähe zum Zuschauer, «weil man auf der Bühne unmittelbar fühlt, wie was ankommt.» So entstehe ein Zusammenspiel von Akteuren und Zuschauern, was ganz spezielle Stimmungen und Dynamiken erzeuge. «Es ist ein persönlicher Raum», sagt sie. «Deshalb stehe ich sehr gerne im Burgbachkeller auf der Bühne.»

«Die Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern und Ensembles ist mir enorm wichtig», konstatiert Theaterleiter Schlumpf. Als Publikumsmagneten seien diese sowieso unentbehrlich: «Die Lokalen bringen die Menschen ins Theater, was uns Raum für auswärtige und unbekannte Künstler gibt.»
Die intime Atmosphäre ist für Schlumpf der Trumpf seines Theaters – und für seine Nachfolgerinnen Flury und Masüger ein verführerischer Ansporn. Gemütlich soll es bleiben, familiär, persönlich und niederschwellig. Auch zukünftig soll man die Künstler nach ihren Auftritten im Foyer treffen und sich mit ihnen unterhalten.

Dieses Nahbare macht den Burgbachkeller aus, ist man sich in der Runde einig. Das sieht man auch beim grossen Nachbarhaus so, dem Theater Casino. Intendant Samuel Steinemann klingt fast neidisch, wenn er über das kleine Theater im Keller spricht: «Es ist die beschränkte Grösse, die den Burgbachkeller wertvoll macht. Ein Kleintheater kann auch viel experimenteller programmieren als ein grosses Haus.» Zudem seien kleine Bühnen für den Aufbau von Künstlern unentbehrlich, betont er. «Martin O. und Ursus & Nadeschkin haben ihre ersten Auftritte in Zug im Burgbachkeller bestritten. Unser Theatersaal wäre dafür viel zu gross gewesen.»

Vom engen Keller in die weite Welt
Die Anziehungskraft des Zuger Kleintheaters wirkte all die Jahre mit konstanter Potenz. Lokale Grössen wie Osy Zimmermann, Max Huwyler, Hans Hassler, Hans Kennel, die Screaming Potatoes und das Zuger Cabaret Marcocello waren da. Aber auch unzählige Künstler von ausserhalb sind gekommen: Lorenz Keiser, ­Peach Weber, das Duo Fischbach, Pippo Pollina und Viktor Giacobbo. «Es waren viele grosse Namen hier», resümiert Theaterleiter Schlumpf. «Einige davon waren damals noch völlig unbekannt. Heute füllen sie die ganz grossen Säle.» Der deutsche Kabarettist Dieter Nuhr zum Beispiel. Im Burgbachkeller trat dieser vor nicht einmal 100 Zuschauern auf. Mittlerweile lockt er Zehntausende in die Stadien. Einerseits sei das erfreulich, weil die Aufgabe eines Kleintheaters auch darin bestünde, unbekannten Künstlern ein Sprungbrett zu bieten. Andererseits berge dies auch ein gewisses Frustpotenzial. «Als ich die Theaterleitung übernahm, hatte ich Mühe damit, dass bestimmte Künstler nicht mehr hierherkamen und stattdessen lieber in grösseren Häusern spielten. Es ist schade, dass sie nicht zurückkehren, obwohl sie hier ihre ersten Schritte gemacht haben», sagt Schlumpf.

Verzauberte Politiker
Heute sieht er das gelassener: «Es ist, wie es ist. Ich kann die Künstler ja auch verstehen.» Ausserdem gebe es durchaus auch solche, die nach Jahren wiederkommen. Toni Vescoli, Hans Kennel und Franz Hohler beispielsweise treten im Zuge des 50-Jahr-Jubiläums wieder im Burgbachkeller auf. Dass sich einige von ­ihnen gar von sich aus bei Schlumpf gemeldet haben, spricht für den Intendanten ebenso wie für das Theater. Beide geniessen einen ausgezeichneten Ruf – allen voran in der Stadt Zug.

«Der Burgbachkeller», meint etwa Stadtpräsident Dolfi Müller, «ist wie die Kirsche auf der Torte.» Dies sei in erster Linie der Leitung zu verdanken. «Der Keller wurde stets sehr gut ­geführt. 50 Jahre sprechen für sich.» Für den selbst ernannten Theaterfreund Müller hat die Kleinkunst etwas Magisches: «Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie ein kleines Ensemble es mit einfachen Mitteln schafft, eine ganze Welt auf die Bühne zu zaubern. Ich bin froh, dass wir diese Bereicherung haben.»

Grosse Fussstapfen
Roland Schlumpf hinterlässt einen beein­druckenden Leistungsausweis. Seit seinem Amtsantritt 1995 hat sich die durchschnittliche Besucherzahl mehr als verdoppelt. «Ich programmierte stark in die Breite», erklärt der gebürtige Steinhauser. «Vielfalt war mir immer wichtig. Es sollte möglichst für alle Geschmäcker etwas geboten werden.» Aus vier bis fünf Anlässen monatlich wurden bis zu 15 Veranstaltungen pro Monat. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Theatern wurde in Schlumpfs Ära stark intensiviert. Ohne überheblich zu wirken, sagt dieser: «Der Burgbachkeller ist durch mich zu einem richtigen Theater geworden.» Der Kellermief ist definitiv weggeblasen.

Flury und Masüger schrecken angesichts dieser Fussstapfen jedoch nicht zurück. Im Gegenteil: «Ich sehe es als Ehre, dieses Erbe übernehmen zu dürfen», sagt Masüger. Der Druck sei eher Motivation. Flury fügt an: «Mich reizt die Vorstellung, selber etwas auf die Beine zu stellen und meine eigenen Ideen umzusetzen.»

Üppiges Festprogramm
Flury und Masüger sind bereits ein eingespieltes Team. Seit drei Jahren organisieren sie den Kulturadventskalender in Baar. «Daher wissen wir, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert», sagt Masüger, die selbst hin und wieder auf der Bühne steht. In welche Richtung es mit den neuen Theaterleiterinnen gehen wird, sei noch nicht klar. Zunächst geht es ohnehin darum, den Geburtstag des Kellers gebührend zu feiern. Das geht so: Die Kulisse und die Zuger Spiillüüt spielen Jubiläums-Theaterstücke; alte Bekannte kehren auf die Kellerbühne zurück; es wurde ein Jubiläumsbuch über die Geschichte des Theaters geschrieben; am 8. September findet ein Strassenfest in der St.-Oswalds-Gasse statt; und seit Anfang August zieren 16 Künstlerbänke die Zuger Seepromenade.

Für Roland Schlumpf sind das alles zugleich Abschiedsgeschenke an sein Theater. Noch eine Saison, dann reicht er den Kellerschlüssel weiter. Und dann? «Städtereisen und ausgedehnte Motorradtouren», sagt er. «Ausserdem habe ich zwei Gärten zu pflegen, die mir einiges abverlangen.» Wer über Jahrzehnte grosse Kunst im Keller gedeihen lässt, für den dürfte das bisschen Grünzeug ein Klacks sein. (Text: Philipp Bucher)

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