Subtiles Zeitdokument um den Verlust von Heimat

Film & Multimedia

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Der Zuger Kinoklub Fliz zeigt den Schweizer Dokumentarfilm «Kleine Heimat» von Hans Haldimann.

  • Hanni fühlt sich scheinbar wohl in ihrem neuen Zuhause, einem Zimmer im Altersheim (Bild PD)
    Hanni fühlt sich scheinbar wohl in ihrem neuen Zuhause, einem Zimmer im Altersheim (Bild PD)

Zug – Er könnte als Hasstirade gegen die rüde Schweizer Bauindustrie oder als sentimentaler Tränendrüsendrücker daherkommen. Hans Haldimanns Dokumentarfilm «Kleine Heimat» weist von beidem keine Spur auf. Er ist das feinfühlige Porträt eines Zürcher Quartiers aus den 1950er-Jahren und seiner letzten, ältesten Bewohnerinnen und Bewohner, die mit dessen Abbruch ihre Heimat verlieren.

Die zwei Protagonistinnen Hanni und Rosa und der Protagonist Kurt erzählen ihre Geschichte selbst, lückenhaft, Stück für Stück. Manchmal mit versonnenem, tief in der Vergangenheit ruhendem Blick, manchmal mit Schalk im Gesicht oder der abgeklärten Melancholie der Greise, die sie sind, in der Stimme – jenseits von Erwartung und Bedauern. Sie nehmen das Leben, wie es kommt. Bei der Vorführung des Schweizer Dokumentarfilms am 9. Mai im Kino Gotthard Zug wird der Regisseur und Filmemacher anwesend sein. Der Kinoklub Fliz lädt zum Gespräch mit Hans Haldimann nach der Vorführung.

Den Filmauftakt gestaltet ein Blick zum Horizont bei rosig dunkler Morgendämmerung, untermalt von aufgeregtem Vogelgezwitscher sowie Linda Vogels sanften Harfenklängen und leisem Summen. Dann schweift die Kamera auf das Quartier am Waldrand, das abgerissen werden soll.

Es sind Mehrfamilienhäuser im typischen Baustil der 1950er-Jahre, umgeben von grosszügigen Grünflächen und altem Baumbestand, ebenso fest verwurzelt wie die drei alten Bewohner. Bauprofile kündigen die umwälzenden Neuerungen an, die hier bevorstehen.

Seit über 60 Jahren ein Zuhause

Rosa und Hanni zogen als Erstmieterinnen 1957 in ihre Wohnungen ein. Kurt kam erst vor zehn Jahren dazu, er ist Rosas zweiter Partner. «Das war für mich ein Paradies», erzählt die 91-jährige Hanni mit leuchtenden Augen. Mit ihrer positiven, klugen, liebenswürdigen Art übernimmt sie die Führung durch den gesamten Film. «Zu dieser Zeit war das eine Luxuswohnung mit Bad und Zentralheizung, einem Treppenhaus, das geputzt wurde, und einer Waschmaschine, die man mit den Nachbarn teilte.»

Auch Rosa berichtet, welche Freude es gewesen sei, mit Mann und Kind, schwanger mit dem zweiten, in die kleine Dreizimmer-Wohnung einzuziehen. Beschämend ist die Erkenntnis, mit wie wenig die Frauen aus heutiger Sicht hochzufrieden waren und sind. Sie zeigen Bilder ihrer Söhne und Töchter im Quartier, das man schon kennt, erzählen von bis zu 60 Kindern, die gemeinsam im Sandhaufen und auf den Wiesen spielten, beaufsichtigt von ihren strickenden Müttern. Hanni sass nicht bei ihnen. Sie – die Alleinerziehende und talentierte Hobbymalerin – musste arbeiten gehen.Hin und wieder bricht sich die Andeutung eines Schicksalsschlags Bahn, der Tod von Rosas ältestem Sohn, Hannis Scheidung. Dennoch sind sie sich einig: «Das war eine schöne Zeit.»

Kunstvolle Inszenierung des Schauplatzes

Auf der gemächlichen, manchmal etwas langatmigen Reise durch die nächsten eineinhalb Jahre, die letzten in ihrer geliebten Heimat, begleitet der Zuschauende die drei alten Menschen im Wechsel der Jahreszeiten. In kunstvollen Einstellungen wird der Schauplatz der Häuserzeilen aus immer neuen Blickwinkeln gezeigt mit Bäumen in frischer Blütenpracht, sattem Grün, im Goldregen oder Winterkleid. Am Ende wird dem Betrachter das Quartier selbst zum vertrauten Stück Heimat.Inzwischen ist es bevölkert von syrischen, somalischen und eritreischen Einwanderern, «gute, tüchtige, freundliche Leute», wie Hanni wiederholt beteuert. Bisweilen würden sie ihr einen Teller voller Guetzli vorbeibringen. Ihre Kinder beleben die Quartierbilder mit ihrem heiteren Spiel und machen auf diese Weise klar: Es ist ein schöner Ort, um aufzuwachsen.

Umzug und Abbruch

Schliesslich wird es ernst, die Poesie der Erinnerung weicht nüchtern geschäftigen Umzugs- und Abbruchaktivitäten. Die alten Leute sitzen resigniert und verloren mittendrin, der Abschiedsschmerz steht ihnen ins Gesicht geschrieben, und immer wieder begehren sie auf: «Das ist doch alles noch so schön.»

Es gibt ein Danach, wenn auch für Hanni ein sehr kurzes. Fast beiläufig erfährt der Zuschauer von ihrem Tod drei Wochen nach dem Umzug.

«Kleine Heimat» ist ein berührendes Zeitdokument, das die Opfer des gnadenlosen Kampfes um bebaubare Flächen in der Schweiz aufzeigt, mitfühlend, subtil, liebevoll, authentisch und ohne zu werten. Es ist, wie es ist. (Text von Cornelia Bisch)