Nennen wir sie «Neu-Morgärtler»

Brauchtum & Geschichte

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1909 verschwand das Dorf Hauptsee postalisch von der Schweizer Landkarte. Sein neuer Name Morgarten gefiel nicht allen. Die Umbenennung wurde wegen einer Schlamperei bei der Postdirektion verzögert.

  • Das einstige Hauptsee heisst seit 1909 offiziell Morgarten. (Bild Matthias Jurt)
    Das einstige Hauptsee heisst seit 1909 offiziell Morgarten. (Bild Matthias Jurt)

Morgarten – Der Ortsname Hauptsee war bis kurz nach der Jahrhundertwende der offizielle Name des Kirchweilers am hinteren Ende vom Ägerital und schloss das Hofgebiet zwischen See und Kantonsgrenze zu Schwyz mit ein. Interessant ist vorerst allein die Herkunft des Ortsnamens. Er bezieht sich auf das «Haupt» eines Sees, womit vornehmlich das obere Ende des Gewässers gemeint ist. Seit dem 14. Jahrhundert sind schweizweit ähnliche Ortsbezeichnungen an Seen und teils auch Flüssen belegt. Ein besonders aufschlussreicher Quervergleich lässt sich mit der Gemeinde Seeshaupt machen. Sie liegt am oberen Ende des Starnbergersees in Bayern:

Blickt man heute auf die Landkarte der Schweiz, so erscheint der Name Hauptsee lediglich noch als Flurbezeichnung quer über das Rietgebiet dies- und jenseits des Trombachs. Das Dorf selbst ist als Morgarten bezeichnet, auch auf dem blauen Ortsschild an der Strasse. Der Namenswechsel von Hauptsee in Morgarten wurde 1905 eingeleitet und war eine recht delikate, ungewollt langwierige Aktion. Im «Schwyzer Heft» von 2008 schildert der damalige Sattler Gemeindeschreiber und «Morgarten-Experte» Pirmin Moser (*1956), wie sich die Namensänderung zugetragen hat.

Der Verkehrsverein als treibende Kraft

Demnach war der Verkehrsverein Oberägeri-Morgarten der Auslöser, primär aus dem touristisch begründeten Motiv heraus, dass der Name Morgarten interregional – da geschichtlich bedingt – weit bekannter und somit klangvoller ist als Hauptsee.

So reichte der Verein am 15. Juni 1905 beim Oberägerer Gemeinderat ein entsprechendes Gesuch ein. Denn allein das Postwesen hat sich zu jenem Zeitpunkt offenbar schon länger auf den Namen Morgarten ausgerichtet. So war man der Ansicht, dass die Postdirektion die «Ablage Hauptsee» in «Ablage Morgarten» ändern möge. Der Gemeinderat hielt dem nichts entgegen unter der Voraussetzung, dass die Hauptseer damit einverstanden sind. Er verlangte aber vom Verkehrsverein, diese Abklärungen selber vorzunehmen und das Gesuch an die Kreispostdirektion in Zürich zu richten. Diese aber schrieb vor, dass ein solches Gesuch von der Gemeinde kommen und vom Regierungsrat gutgeheissen werden müsse, um «eventuell berücksichtigt» werden zu können.

Die ganze Chose ging also zurück ins Ägerital – mittlerweile war es November geworden. Der Verein warb beim Einwohnerrat für sein Anliegen, indem er eine Empfehlung des Postablagehalters Peter Josef Merz vom Eierhals beifügte und zudem erklärte, dass einige Sattler sich bereits hätten «Morgarten-Sattel»-Stempel anfertigen lassen. Der Einwohnerrat stimmte dem Wunsch des Verkehrsvereins am 16. November 1905 zu.

In Zürich nun ordnungsgemäss eingereicht, vermasselte die dortige Kreispostdirektion alles: Bei einer internen Rochade just nach Eingang ging das Dossier vergessen. Es dauerte vier Jahre, bis man den Antrag wieder ausgrub und endlich die geforderten Schritte unternahm. Die Post gab bald grünes Licht, und am 1. Mai 1909 wurde das Dorf Hauptsee postalisch in Morgarten umbenannt.

Kritische Betrachter

Die ganze Aktion kam bei weitem nicht überall gut an. So äusserten sich gemäss Aufzeichnungen von Pirmin Moser zeitgenössische Historiker und Namensforscher zu Wort, die es ausserordentlich bedauerten, dass ein geschichtlich bis Jahrhunderte zurück verbriefter Ortsname nun verdrängt worden ist. Auch in der Bevölkerung gab es kritische Stimmen. Moser zitiert die Lesermeinung eines Sattlers in der «Schwyzer Zeitung» vom 7. Dezember 1904, also noch bevor die ersten behördlichen Schritte für den Namenswechsel unternommen worden sind:

Wenn man vor 40 Jahren durch die Strasse von Ägeri ging, merkte man gar nichts vom Morgarten. Und heute sind es nicht weniger als vier Wirtschaften – zwei auf Schwyzer und zwei auf Zuger Seite –, welche diesen historischen Namen im Schilde haben. Was früher den lieben Nachbarn von Zug, vereint mit den Österreichern, nicht gelungen ist, mit Gewalt den Morgarten zu erobern, heute ist es ihnen mit Hilfe der eidgenössischen Obersten und Kartenzeichnern gelungen, den Berg samt Schlachtfeld an den See hinabzuziehen. Da sie aber keine älteren Urkunden über deren Besitz aufweisen können, so nennen wir sie «Neu-Morgärtler».

So hat der Mammon aus Sicht der Kritiker gesiegt und das Interesse an Geschichte und Tradition zurückgedrängt. Dass der Verkehrsverein offenbar hauptsächlich vom Gedanken der Vermarktung der Region getrieben war, unterstreicht auch der Bau des Schlachtdenkmals ab 1906. Somit ist das ehemalige Hauptsee zu einem Hotspot für den historisch interessierten Fremdenverkehr geworden. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.