Türchen auf, Obacht, Kultur!

Theater & Tanz, Musik

,

Zum vierten Mal organisieren zwei Baarerinnen den Kulturadventskalender. Ihre kühne Vision? Keine geringere als die, in Baar eine neue Dorftradition ins Rollen zu bringen.

  • Madeleine Flury und Giannina Masüger im Schwesternhaus in Baar. (Bild: Philippe Hubler)
    Madeleine Flury und Giannina Masüger im Schwesternhaus in Baar. (Bild: Philippe Hubler)

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht's zu den anderen Artikeln, und hier gibts das Magazin als Pdf.

Jahresabschlüsse, anstrengende Weihnachtsapéros, stressiger Geschenkeeinkauf – von der Adventsromantik, die uns als Kind so elektrisiert hat, bleibt in erwachsenen Köpfen meist wenig hängen.
Und doch: An das Gefühl, am Adventsmorgen endlich, endlich wieder ein Törchen öffnen zu dürfen, können sich alle erinnern. Was steckt dahinter? Ein Rotkehlchen? Ein Schlitten? Vielleicht ein Schneemann? Im besten Fall gibt der Adventskalender täglich ein Sujet preis, das in ein Schokoladentäfelchen gestanzt wurde. Zwei Baarerinnen docken genau dort an. Beim Wunsch nach Ritualen, nach Heimeligkeit und schönen Überraschungen.
Mit dem Kulturadventskalender haben Giannina Masüger und Madeleine Flury vor drei Jahren ein gar liebliches Mittel gegen die Adventsentzauberung gefunden. Vom 1. bis zum 23. Dezember öffnen sie täglich während einer halben Stunde das Türchen und füllen diese Zeit mit Musik, Theater, Lesungen oder Tanz – und allem, was dazwischenliegt. Kommen dürfen alle, die Lust auf Kultur haben, die offen sind und sich nicht davor scheuen, überrascht zu werden. Denn wen man am Abend auf die Bühne lässt, wird erst am Morgen desselben Tages kommuniziert. Nun geht das Projekt schon in die vierte Runde. Und das freut die Initiantinnen Giannina Masüger und Madeleine Flury sehr.

Finanzieller Drahtseilakt

Anfang dieses Jahres war noch überhaupt nicht klar, ob der Kulturadventskalender wieder stattfindet. Masüger erklärt: «Es ist eigentlich jedes Jahr dasselbe. Erst, wenn wir sichergehen können, dass die Finanzierung einigermassen steht, können wir anfangen, Kulturschaffende für die Veranstaltungen zu suchen.»
Will heissen: wenn mindestens 10 000 Franken durch Unterstützungsgelder gedeckt sind. Einen Grossteil davon machen Gelder der Gemeinde Baar, des Kantons und der Kirchgemeinde aus. So viel braucht’s. Denn einen Punkt haben sich die beiden Baarerinnen, die das Projekt bis dato ehrenamtlich durchführen, dick auf die Fahne geschrieben: «Wir wollen den Künstlern eine faire Gage zahlen. Das ist uns extrem wichtig», sagt Masüger. Sie selber ist ausgebildete c Schauspielerin. Flury arbeitet beim Luzerner Theater im Bereich Ticketing und Vertrieb. Beide kennen die Situation für Kunstschaffende also nur zu gut.

So viele wie noch nie

«Häufig sind es Profis, die beim Adventskalender auftreten. Was viele nicht sehen, ist, dass die Künstler nicht nur während dieser halben Stunde Aufwand haben. Sie müssen sich vorbereiten. Müssen Produktionen kürzen und anpassen, damit sie ins Format passen», sagt Flury.
Und fügt ein wenig stolz hinzu: «60 Bewerbungen hatten wir dieses Jahr, wir konnten richtig auswählen.» Masüger freut sich: «Darunter ist so viel Gutes, das wir neu kennen gelernt haben!» Die Entscheidung darüber, wer mitmacht, liegt bei beiden Organisatorinnen. «Klar ist es uns wichtig, Künstler aus der Region zu berücksichtigen oder auch Vereine aus der Gemeinde. Doch wäre es schade, vier Jahre hintereinander eine Zuger Band zu engagieren, statt einen tollen Musiker aus Zürich oder Luzern zu nehmen», sagt Flury. Dieses Jahr habe man mit Gleitzeit sogar eine Band aus Wien eingeladen, die extra für den Abend anreise. «Wir sind also quasi international», ergänzt Masüger leicht ironisch. Beide lachen. Es ist nicht zu übersehen: Die beiden Frauen teilen den gleichen Humor. Sie kennen sich gut – konkret seit zehn Jahren schon, seit ihrem Engagement im Baarer Verein TenSing.

Keine Superpolitik

Die Kriterien bei der Auswahl der Künstler halten sie bewusst sehr offen. «Was wir sicher nicht wollen, sind superpolitische oder gar radikale Aufführungen. Kritisch dürfen sie durchaus sein, doch sollen die Auftritte zumindest in den Advent passen und für eine schöne Stimmung sorgen», sagt Flury. Und Masüger ergänzt: «Obwohl wir immer wieder Wagnisse eingehen. Dieses Jahr etwa, da treten an einem Abend die Performancekünstler Antipro auf.» Man wisse gar nicht so recht, was die wirklich machten. «Doch hat mich das Video, das sie uns bei der Bewerbung geschickt haben, völlig begeistert», so Masüger.

Bis jetzt sind Künstler immer aufgetaucht

Da gibt’s also immer auch ein Restrisiko, dass eine Veranstaltung völlig in die Hosen geht. Eines, das die Organisatorinnen bewusst eingehen. Auch wenn sie sehr wohl darauf achten würden, dass die Qualität der Auftritte stimme, dass also beispielsweise nicht einfach Laienbühnen auftreten würden, die keinen regionalen Bezug hätten. Doch Hand aufs Herz. Ging schon einmal etwas so richtig und gehörig schief in den letzten drei Jahren? «Zum Glück ist es uns noch nie passiert, dass Künstler gar nicht aufgetaucht sind. Was wir aber letztes Jahr einmal hatten, war eine Gruppe, die um Punkt 18 Uhr, also beim eigentlichen Beginn, zur Tür reinkam», sagt Giannina Masüger. Das sei unangenehm, weil man die Verantwortung für etwas trage, was man schlichtweg nicht beeinflussen könne. Dass die Auftritte kurz gehalten sind, gehört zum geschickten Konzept der beiden. «So kann jeder, der Lust hat, einfach mal vorbeikommen. Wenn’s einem nicht gefällt, riskiert man bloss eine halbe Stunde», so Flury. Und doch. Sind denn die Baarerinnen und Baarer offen genug, einfach mal hereinzuschneien und überrascht zu werden? Masüger überlegt kurz und sagt dann nachdenklich: «Wir hoffen es. Wir geben jedenfalls nicht auf. Langsam merken wir nämlich, wie ein Netzwerk entsteht. Wie das Rad – sehr langsam – in Bewegung kommt.»

Baar lebendiger machen

Baar ist nicht gerade bekannt als kulturelle Hochburg. Da wäre es doch einfach, den ganzen Kalender nach Zug zu verschieben. «Darauf haben uns schon einige Leute angesprochen», bestätigt Masüger. «Gleichzeitig ist genau das eines unserer Ziele, Baar eben lebendiger zu machen. Ausserdem wohnen wir beide hier.»
Die letzten drei Jahre fand der Kulturadvents­kalender jeweils in der Z-Galerie an der Dorfstrasse statt. Dieses Jahr ist er ins Schwesternhaus an der Leihgasse umgezogen. Eine Veränderung, die den Organisatorinnen die Sache deutlich erleichtert. Masüger sagt: «Einerseits haben wir nun mehr Raum. Das ist super, gerade für Tanzveranstaltungen. Diesen mussten wir bisher immer Absagen erteilen.» Zudem sei es im Schwesternhaus möglich, die benötigte Infrastruktur während des ganzen Advents stehen zu lassen. «Wir müssen nicht mehr nach jeder Aufführung ab- und am nächsten Abend wieder aufbauen. Das erspart uns eine Menge Arbeit», ergänzt Flury. Kurz wird es still, dann sagt sie ungläubig: «Wie haben wir das nur gemacht vorher?»
Wenn die beiden Baarerinnen von ihrem Projekt erzählen, von der Zeit, die sie damit verbringen, Gelder zu beantragen, Künstler auszuwählen, die Anlässe vorzubereiten und an 23 Abenden durchzuführen, wird klar, dass sie das nicht einfach so machen. Es steckt mehr dahinter.
Madeleine Flury: «Wir wünschen uns, dass daraus eine Dorftradition entsteht, die zum Advent dazugehört. Die Leute sollen keine Angst davor haben, einfach vorbeizukommen.» Giannina Masüger bewegt noch ein weiterer Wunsch: «Vielleicht wird mit dem Kulturadventskalender auch das Bewusstsein für den Beruf der Theaterschaffenden geschärft und das Verständnis dafür grösser.»
«Und dann wäre es schön, noch ein paar Helfer mehr zu generieren. So könnten wir das Dorf
integrieren und müssten nicht an jedem der 23 Abende vor Ort sein», so Masüger.

(Text: Valeria Wieser)