Eine besondere Verbindung

Musik

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Gestern hat der international bekannte Trompeter Herbert Christ mit Organist Dirk Raufeisen gespielt. Die beiden zeigten, dass Jazz und Gospel als Einheit auch bei uns bestens funktionieren.

  • Herbert Christ (Trompete) und Dirk Raufeisen (Orgel) ziehen das Publikum in ihren Bann. (Bild Stefan Kaiser)
    Herbert Christ (Trompete) und Dirk Raufeisen (Orgel) ziehen das Publikum in ihren Bann. (Bild Stefan Kaiser)

Unterägeri – Wie bringt man eine Kirchen­orgel zum Publikum? Das pompöseste aller Musikinstrumente ist nicht mobil, und in der Regel herrscht im Orgelstock wenig Platz für das Publikum. Was noch vor wenigen Jahren bei Orgelkonzerten zu einem unlösbaren Dilemma führte, ist heute einfach möglich: Man projiziert das Spiel auf eine Grossleinwand. So geschehen gestern in der katholischen Kirche Unterägeri. Gespielt wurde aber nicht einfach «nur» Orgelmusik: Das Konzert stand unter dem Motto «Organ Meets Jazz». Die Trompete spielte Herbert Christ, an der Orgel war Dirk Raufeisen.

Jazz ist ein Genre, das je nach Definition sehr tief und sehr breit ist und mehrere Dekaden umfasst, entsprechend frei kann ein Konzert gestaltet werden. Im gestrigen Fall war der rote Faden die Liebe, wie Trompeter Christ gestern vor knapp 50 Zuschauern in der Kirche erklärte. Der gebürtige Frankfurter ist in der Szene weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt; unzählige Auszeichnungen und diverse Kooperationen mit US-amerikanischen Jazzgrössen prägten seinen musikalischen Werdegang. Dass ausgerechnet ein Europäer sich dem Jazz verschrieben hat, mag verwundern, denn diese Musikrichtung ist hierzulande eng mit der Vorstellung von romantischen Musikfilmmotiven in Amerika verbunden. Dabei vergisst man gerne, dass, als sich der Jazz auf der ganzen Welt verbreitete, auch viele verschiedene nationale, regionale und lokale musikalische Kulturen eingeflossen sind und es zu entsprechenden Fusionen kam. Zu solch einer kam es auch am gestrigen Konzert.

Kirchenorgel und Jazz scheinen eigentlich nicht unbedingt Elemente zu sein, die zusammengehören. Das Publikum wurde eines Besseren belehrt. «Die Orgel in Unterägeri bietet durch die aussergewöhnlich moderne Technik dem Organisten besondere Gestaltungsmöglichkeiten, die hervorragend zu den Musikstücken passen», erklärte Organist Raufeisen. Mit «moderner Technik» spricht der Berner Musiker die neue Setzeranlage an, die seit gut einem Jahr in Betrieb ist. Damit können Register elektronisch abgespeichert werden, und auf Knopfdruck stehen diese dem Organisten zur Ver­fügung. Mit 38 Registern und ­besagter Setzeranlage sind die musikalischen Möglichkeiten beinahe unlimitiert. Dies war dann auch am Konzert hörbar: Die Orgel passte hervorragend zur Trompete und umgekehrt.

Überzeugendes Zusammenspiel

Dass die beiden Musiker Profis sind, wurde nicht nur musikalisch schnell klar. Dirk Raufeisen mit seiner Trompete meisterte die rund 80 Minuten mit einer Souveränität, die sonst an Konzerten selten spürbar ist. Im Gegensatz zur Orgel mit ihrem enormen Klangspektrum und den vielen Facetten war die Trompete manchmal nackt, manchmal amüsiert, scheppernd, dann wieder leise und melancholisch und sehr oft fröhlich. Bei der Orgel wiederum wäre jeder Spielfehler fatal gewesen, denn das grosse Spektrum und die Wucht des In­struments können im schlimmsten Fall wie ein Multiplikator des falschen Tons wirken. Davon gab es aber am Konzert kaum welche – das Duo überzeugte absolut.

Viele der Stücke waren bekannt, manche hatte man schon mal gehört, und daher war es eine kluge Idee der beiden, zu jedem Stück eine kleine Geschichte zu erzählen, ein verbales Intro quasi. Beim Stück «Memories Of You» aus den 1930er-Jahren bei­spielsweise erfuhr man, dass der Komponist Eubie Blake beinahe 100 Jahre alt wurde, Kettenraucher war und einst sagte: «Hätte ich gewusst, dass ich so alt werde, hätte ich ein bisschen besser auf meine Gesundheit geachtet.»

Es waren diese kleinen Intermezzi, die dem Konzert das gewisse Etwas gaben. Denn die Projektion zeigte wohl das Live­geschehen bei der Orgel, aber sie konnte das Gefühl des Dabeiseins nicht ganz vermitteln, zumal die Projektion lichtschwach war und daher bei weitem nicht alle Details zu zeigen vermochte. Auch die statische Kameraeinstellung war suboptimal. Diese Mankos wurden aber durch die hervor­ragende Akustik in der Kirche zumindest teilweise wettgemacht.

Konzentration auf das Gehör

Die schwache Bilddarstellung hatte aber auch einen entscheidenden Vorteil: Wenn das Sehen teilweise wegfällt, konzentriert man sich automatisch mehr auf das Gehör und nimmt so auch komplexere Stücke schärfer wahr. Etwa «The Man I Love» von George Gershwin aus dem Jahr 1924. «In diesem Stück sind sehr komplexe Harmonien mit einer einfachen Melodie unterlegt», erklärt Herbert Christ die Herausforderung bei diesem Klassiker. Eine Herausforderung, die die beiden Musiker mit Bravour gemeistert haben. (Haymo Empl)