«Karneval der Stile» zwischen Heuballen

Musik

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Tierisch und mit einem Hauch Kaffeehausromantik startet das Zuger Sommerklänge-Festival in die 17. Runde. Die grossräumige Tenne eines Landwirtschaftsbetriebes wird dabei zur nicht alltäglichen Bühne für gehobene Kammermusik.

  • Milder Duft haufenweise frischen Heus umwehte das Ensemble Chamäleon am ersten Sommerklänge-Konzert in der Scheune des «Hof» in Oberwil bei Cham. Die Tenne war bis auf den letzten Platz besetzt. (Bild Andreas Faessler)
    Milder Duft haufenweise frischen Heus umwehte das Ensemble Chamäleon am ersten Sommerklänge-Konzert in der Scheune des «Hof» in Oberwil bei Cham. Die Tenne war bis auf den letzten Platz besetzt. (Bild Andreas Faessler)

Cham – Sie wissen doch wirklich immer wieder zu überraschen, die einfallsreichen Köpfe hinter dem schon lange zur Tradition gewordenen Sommerklänge-Festival. Seit 17 Jahren werden hierfür im Kanton Zug die unkonventionellsten Orte zur Bühne für gepflegte kammermusikalische Konzerte auf hohem Niveau. So war gestern Abend für das erste der insgesamt fünf Konzerte der Bauernhof «Hof» in Oberwil bei Cham Schauplatz für ein Programm mit reichlich verspielter, leichter Klassik. Zwar ist das Anwesen auf den ersten Blick ein typischer Hof wie viele andere, seine Besonderheit liegt jedoch in der spektakulären Lage am Rande einer monumentalen Kiesgrube, von welcher das Gebäudeensemble auf drei Seiten hin umgeben ist. Eine wahre Fundgrube für Archäologen sei dieser Ort, erklärte der Zuger Geograf und Leiter der Schweizerischen Bauernhausforschung Benno Furrer. Nicht nur habe man hier Reste einer bronzezeitlichen Siedlung gefunden, sondern auch ein vergessenes Munitionsdepot aus den 1930er-Jahren. Allein aus dieser Sicht atmet dieser Hof reichlich Geschichte.

Konzerterlebnis mit dem gewissen Etwas

Es ist eines der Markenzeichen der «Sommerklänge», dass dem Publikum, welches gestern wie erwartet für eine volle Scheune sorgte, wertvolles Hintergrundwissen für den jeweiligen Konzertort mitgegeben wird. Das trägt wesentlich dazu bei, dass die einzelnen Konzerte jeweils zu einem Gesamterlebnis werden und jedem Besucher neue Horizonte eröffnen, die über den reinen Musikgenuss hinausgehen.

Für das gestrige Konzertprogramm auf der Tenne unter dem grossflächigen Stalldach trat das renommierte Zuger Ensemble Chamäleon unter der Leitung von Pianistin Madeleine Nussbaumer, Gründerin der «Sommerklänge», in unterschiedlicher Besetzung auf und bewies überzeugend seine hohe Flexibilität. Diese bestand nicht nur in der Homogenität der einzelnen Formationen, sondern auch angesichts des Bühnenbildes, das primär aus rustikalen Holzwänden und einem riesenhaften Haufen Heuballen bestand. Diese ungewohnten Umgebungen bedeuten auch für die Profimusiker immer wieder eine Herausforderung der besonderen Art.

Dem Motto «Karneval der Stile» wurde das gewählte Programm mehr als gerecht. Auf ein facettenreiches Septett von Camille Saint-Saëns folgten die archaisch-virtuosen Variationen über ein Thema von Paganini von Witold Lutosawski, welche der Komponist in den Kriegsjahren in Warschauer Kaffeehäusern aufgeführt hatte. Mit diesem hochanspruchsvollen Werk für zwei Klaviere reizten Madeleine Nussbaumer und Charlotte Dentan die beiden Flügel genussvoll aus. Mit einem reizenden Marsch im Wiener Stil für Klaviertrio von Fritz Kreisler blieb man im Dunstkreis des Kaffeehauses. Eine Komposition, wie sie für Kreisler typischer nicht sein könnte, abstrahiert er doch lieblich-urwienerische Klangmalerei, ohne sie je ihres Reizes zu berauben. Die Musiker holten das Beste aus diesem kontrastreichen Werk – das Publikum: verzückt. Genauso hingerissen war es bei einem «Walzerspass» für Klavier und Streichquintett, in dem die Komponistin Sofia Gubaidulina Themen aus Johann Strauss’ Paradewalzer «Geschichten aus dem Wienerwald» zu einem spielerischen und äusserst neckischen Potpourri sprichwörtlich zerpflückt und neu (um)arrangiert. Und als wäre es eingeplant gewesen, fanden zu den letzten Takten des Wiener Walzerspasses zwei Schwalben den Weg durchs offene Scheunentor, drehten zwitschernd eine Runde im Takt durchs Tenn und flogen just mit dem Verklingen des letzten Tones wieder ins Freie – als wollten sie den zweiten Konzertteil ankündigen: Dieser bestand in Camille Saint-Saëns’ «Karneval der Tiere» in voller Länge – ohne Erzähler. Die 14-teilige Suite gehört zu den populärsten Kammermusikperlen des 19. Jahrhunderts und räumt dem interpretierenden Klangkörper reichlich Platz ein, seine Spielfreude zu demonstrieren – wovon erwartungsgemäss auch das erweiterte Ensemble Chamäleon Gebrauch zu machen wusste und der Zuschauerschaft zahlreiche besonders heitere Momente bescherte.

Spielfreude auf hohem Niveau

Zusammenfassend erbrachten sämtliche Musiker die Leistung, welche das Publikum der «Sommerklänge» gewohnt ist – sattelfest, gut aufeinander abgestimmt und auf hohem Niveau mit spürbarer Freude an der Sache. Der Auftakt zum 17. Sommerklänge-Festival, er gelang auf der ganzen Linie und hinterliess eine hingerissene Zuschauerschaft, die schliesslich mit Bravorufen nicht geizte. Die Musiker quittierten diese Gunst mit zwei Reprisen aus dem Programm als Zugabe. (Andreas Faessler)

Hinweis
www.sommerklaenge.ch