Spannender Blick auf die Evolution
Literatur & Gesellschaft
Die neuste Ausgabe der persönlichen Buchtipps von Mitarbeiterinnen der Zuger Bibliotheken bietet viele Denkanstösse. Sei es dazu, wie man mit Kindern über das Thema Demenz spricht, wie die Sesshaftigkeit das menschliche Dasein verändert hat oder warum das Alleinsein richtig gut sein kann. Viel Spass beim Schmökern!
Baar – Dieser Artikel ist in der Ausgabe März 2022 des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Büchertipps.
Martina Schneider, Mediothek Fachstelle BKM
Carel van Schaik und Kai Michel stellen in ihrem Buch einen Sinnzusammenhang aus der Anthropologie und Evolution mit biblischen Texten her und lesen die Bibel als Protokoll der menschlichen kulturellen Evolution. Sie verorten die entscheidende grundlegende Veränderung der Gesellschaftsstruktur in der neolithischen Revolution, vor gut 10 000 Jahren, als die Menschen begannen, sesshaft zu werden. Der Bericht über die Vertreibung aus dem Paradies im Buch Genesis nimmt nach Meinung der Autoren diesen Veränderungsprozess auf, obwohl er erst viele tausend Jahre später geschrieben wurde.
Sesshaftigkeit behagt uns nicht immer
Ihrer Argumentation legen sie zugrunde, dass der Mensch drei Naturen besitzt. Die erste Natur sind unsere angeborenen, genetisch verankerten Gefühle, Reaktionen und Vorlieben. Diese nimmt der Mensch als Intuition oder Bauchgefühl wahr. Die zweite Natur sind tradierte, in früher Kindheit verinnerlichte Gewohnheiten und Konventionen. Sie liefern kulturelle Lösungen für veränderte Gesellschaftsstrukturen und damit verbundene Probleme. Die dritte Natur basiert auf der vernünftigen Analyse der Welt, die Vernunftnatur also. Wenn unsere erste Natur im Widerspruch zur zweiten oder dritten steht, kommt es zu sogenannten Missmatch-Phänomenen. Wir fühlen uns unbehaglich. Den Autoren zufolge handeln viele biblische Geschichten von solchen Missmatch-Situationen, die ihren Ausgang in der veränderten Gesellschaftsstruktur durch die Sesshaftigkeit haben.
Da sich die erste Natur bis heute nicht an die «neue» Lebenssituation der Sesshaftigkeit angepasst hat, sind die gleichen Probleme nach wie vor relevant und so faszinieren die biblischen Geschichten bis in die Gegenwart.
Das Buch liest sich leicht und flüssig, die Sprache ist gut verständlich und die Argumentationen schlüssig aufgebaut. Sie fordern den/die Leser:in heraus, sich immer wieder in Bezug auf Weltbild, Menschenbild und Religiosität neu zu positionieren. Eine Bereicherung für alle, die dazu bereit sind.