«Das Chrööpfelimee hat mir viel gegeben»

Brauchtum & Geschichte, Musik

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Jürg «Jacky» Johner singt zum 50. Mal für Verliebte in der Zuger Altstadt. Der Chamer blickt zurück auf schöne und bewegte Jahre.

  • Das schicke, federbesetzte Hütlein setzt dem eleganten Kostüm von Jacky Johner die Krone auf. Bild: Stefan Kaiser (Zug, 7.2.2024)
    Das schicke, federbesetzte Hütlein setzt dem eleganten Kostüm von Jacky Johner die Krone auf. Bild: Stefan Kaiser (Zug, 7.2.2024)

Zug – In Cham und Zug ist er überall bekannt, der ältere Herr mit dem wachen Blick und den für ihn so typischen Koteletten an den ergrauten Schläfen. Oft per Velo, im Zug oder zu Fuss unterwegs, trifft man Jürg Johner, alias Jacky, fast täglich irgendwo in der Region an.

Der rüstige Pensionär amtet nicht nur als Kulturhistoriker und Stadtführer, sondern auch als begeisterter Chrööpfelimee-Sänger. Sage und schreibe zum 50. Mal besingt er am 18. Februar die verliebten, verlobten und verheirateten Zugerinnen und Zuger und nimmt dafür dankbar so manchen guten Tropfen in Empfang.

Eine Drehorgel als Begleitinstrument

«Ich strebte es nicht an, so lange dabei zu bleiben» gesteht der 75-Jährige. «Aber es stimmte immer alles, die Chööre, die Paare, meine Gesundheit. Ich hatte einfach Freude daran.» Dabei erlebte er viele Hochs und Tiefs des Zuger Brauches hautnah mit, seit er 1973 im Alter von 24 Jahren zum ersten Mal mit einer Delegation des Chors Audite Nova teilnahm, in dem er während 36 Jahren Mitglied war. Nach 15 Jahren wechselte er für weitere neun Chrööpfelimee-Auftritte zum Altpfadfinderverband, bei dem unter Drehorgelbegleitung gesungen wurde. «Die Lieder mussten zuerst auf entsprechende Papierstreifen für die Orgelwalze gestanzt werden», erzählt Johner.

Anschliessend fand er Aufnahme beim Chor Cantori Contenti. Nach weiteren fünf Jahren stiess er zu einer bunten Gesangsgruppe, die dem Zuger Singkreis nahesteht und jedes Jahr gemäss aktuellem Thema einen passenden Namen wählt. Heuer hat die Gruppe italienische Liebeslieder im Repertoire und tritt unter dem Namen «Gli Amoretti» auf. Besonders in Erinnerung geblieben ist dem treusten aller Brauchtumspfleger ein spontaner Soloauftritt im Altstadthaus Münz. «Ich hatte an einer Europäischen Singwoche ein altdeutsches Lied mit dem Titel ‹Winlin und Meitlin› gehört. Es passte so gut zum Renaissance-Repertoire, das wir einstudiert hatten, und es herrschte eine wunderbare Stimmung im stillen Innenhof des Hauses. Also bot ich das Lied spontan dar.» Es sei ein ganz besonderer Moment für ihn gewesen. Einige Auftritte bestritt Jacky Johner gemeinsam mit acht erwachsenen Sängern und einer Kindergruppe. «Es war unbeschreiblich, wie die Kinder den Brauch mitlebten und -gestalteten. Das strahlte auch aufs Publikum aus.» Leider hätten die Eltern dann gefunden, das sei nichts für Kinder, sodass sich die Gruppe aufgelöst habe.

Ein denkwürdiges Paar will Johner ebenfalls erwähnt wissen: «Der Zuger Künstler Christian Bisig und seine Frau heirateten am Sonntag nach Aschermittwoch in der Lieb-Frauenkapelle, zogen anschliessend mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft durch die Altstadt, quartierten sich in einem der historischen Häuser ein und feierten Chrööpfelimee.» So etwas habe es seines Wissens weder vor- noch nachher je gegeben. «Einmal sangen wir bei einer knausrigen Wirtin, von der alle wussten, dass sie steinreich war. Zu unserer Enttäuschung liess sie einen billigen Kochwein und zwei Päärli Landjäger im Korb herunter.» Da hätte er am liebsten etwas Derbes hinaufgerufen, regt sich der wackere Sänger heute noch auf. «Der älteste, je von mir besungene Bräutigam war 87 Jahre alt», ergänzt er, nun wieder lachend.

Jacky Johner hat mit seinen Gesangskolleginnen und -kollegen Wind und Wetter getrotzt, viele wunderbare und manch dramatische Momente erlebt. «Einige Jahre lang musste man fast um den Brauch bangen», erzählt er. Einmal hätten sich nur vier Paare und drei Chöre angemeldet, andere Male seien einige der Chöre nur auf Wein und Guetzli aus gewesen und hätten furchtbar gesungen. «Man hörte sofort, dass sie kein einziges Mal geübt hatten. Das war schlimm.» Heute sei das Niveau der Chöre erfreulicherweise sehr hoch. Es werde in verschiedenen Sprachen und aus der Musikliteratur diverser Epochen gesungen, was die Darbietungen abwechslungsreicher gestalte. «Wenn man einen Vergleich anstelle zwischen heute und vor 30 Jahren, könnte man meinen, es handle sich um einen anderen Brauch.»

Russisches Repertoire passte nicht

Zwei Zäsuren erlebte Jacky Johner in seiner langen Chrööpfelimee-Karriere: Den Ausfall des Anlasses wegen Corona und den Rückzug seines Chors aufgrund des Ausbruchs des Ukrainekrieges. «Wir hatten ausgerechnet in diesem Jahr russische Lieder einstudiert. Das ging einfach nicht.» Beide Vorfälle machten dem passionierten Chrööpfeler arg zu schaffen. Er gesteht: «Ich verbarrikadierte mich den ganzen Tag in meiner Wohnung, las Texte über den Brauch, schaute mir Fotos an, hörte Aufnahmen vergangener Auftritte und war sehr froh, als die beiden Tage vorüber waren.»

Nach dem 50. Auftritt will er nun definitiv aufhören. «Loslassen ist eine der höchsten Künste im Leben. Ich will aufhören, bevor mir das jemand nahelegen muss.» Aber wie wird er das verkraften? Zweimal habe er nun bereits Entzugserscheinungen durchgestanden. «Künftig wird es hoffentlich weniger hart sein.» Er werde den Anlass vermutlich in Gesellschaft von Freunden besuchen. «Bisher sind sie immer gekommen, um mich zu hören. Nun werde ich selbst Zuhörer sein.» Versonnen ergänzt der Jubilar: «Das Chrööpfelimee hat mir im Leben so viel gegeben, dass ich es gar nicht beschreiben kann.»

Jacky Johner wird mit der Gruppe «Gli Amoretti» am 18. Februar, um 19.50 Uhr vor dem Hotel Ochsen am Kolinplatz zu hören sein. (Text von Cornelia Bisch)