Ein Kirchenbau als Lebenswerk und Schicksal zugleich

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Abgearbeitet und geschwächt ist der einstige Zuger Stadtpfarrer Franz Xaver Uttinger 1904 von der Welt gegangen. Ein kaum beachtetes Bildnis erinnert an den pflichtbewussten Geistlichen und «Gründer» der Kirche St. Michael, der offenbar allen Widrigkeiten trotzte.

  • Das aufwendig gerahmte, posthum angefertigte Porträt von Stadtpfarrer Franz Xaver Uttinger (1845–1904) hängt an der Rückwand des südlichen Querhauses. (Bild Andreas Faessler)
    Das aufwendig gerahmte, posthum angefertigte Porträt von Stadtpfarrer Franz Xaver Uttinger (1845–1904) hängt an der Rückwand des südlichen Querhauses. (Bild Andreas Faessler)

Zug – In den weiten Hallen der Pfarrkirche St. Michael fällt das Porträt eines Herrn mit Brille, schwarzem Priestergewand und weissem Kollar kaum auf. Platziert ist das Bildnis an der Rückwand des südlichen Querhauses. Der aufwendig stuckierte Holz-Ädikularahmen weist den bleichen Mann als «Gründer dieses Gotteshauses» aus.

Er ist eine fahle Erscheinung, schmal das weisse Gesicht mit hoher Denkerstirn, das Haar streng zurechtpoma­disiert, die schwarze Priestersoutane verschmilzt mit dem Hintergrund. Wer uns hier einigermassen ernst und mit prüfendem Blick entgegenschaut, ist der Zuger Stadtpfarrer Franz Xaver Uttinger. Er spielte im Zusammenhang mit der Michaels­kirche eine – oder besser gesagt die – wesentliche Rolle.

Vom strengen Lehrer zum Seelsorger

Franz Xaver Uttinger ist im September 1845 im Zuger Quartier Lüssi zur Welt gekommen. Seine Eltern waren Melchior und Anna Marie Katharine geb. Villiger. Der Sprössling schlug eine geistliche Laufbahn ein, studierte in Einsiedeln, Innsbruck und zuletzt in Solothurn, wo er im Alter von 22 Jahren die Priesterweihe empfing. Kurz danach kam Uttinger als junger Professor ans Gymnasium in Zug. Hier unterrichtete er Grammatik, Syntax und Rhetorik. Nachdem Präfekt Bonifaz Staub 1872 sein Amt als Bibliothekar der Zuger Stadtbibliothek nach 16 Jahren abgegeben hatte, übernahm dies Franz Xaver Uttinger. Einen regelrechten Karrieresprung machte der Geistliche 1875 mit der Wahl zum Präfekten der städtischen Gemeindeschulen.

Nachdem er sich für einige Jahre der Seelsorge verschrieben und in den Pfarreien von Zuzgen im Fricktal und St. Urban sowie in der dortigen «Irrenanstalt» Dienst getan hatte, wurde der bibelfeste Uttinger 1884 an die Theologische Lehranstalt Luzern berufen, um die Exegese zu lehren. Nach der Resignation des Zuger Stadtpfarrers Jakob Blasius Fridlin (1834–1892) fiel die Wahl für dessen Nachfolge auf Uttinger. Er trat dieses verantwortungsvolle Amt im Februar 1888 an.

Übertragung einer Mammutaufgabe

Uttingers Ruf als fleissiger, sehr genauer, pflichtbewusster und ganz allgemein hochbegabter Mann war ihm schon länger vorausgeeilt. So erwartete ihn nach der Rückkehr in seine Vaterstadt eine Aufgabe, die sein Lebenswerk und zugleich Schicksal werden sollte: Als neuem Stadtpfarrer wurde ihm automatisch die Hauptverantwortung für den Bau der neuen Pfarrkirche St. Michael übertragen. Nachdem der Abriss der alten Kirche trotz grossem Widerstand beschlossen worden war, hatte sich Pfarrer Uttinger noch mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass die kostbare Altargruppe und die Kanzel der alten Kirche nicht nach Konstanz für die dortige Dreifaltigkeitskirche verkauft werden («Hingeschaut» vom 19. Februar 2014). Ohne Erfolg. Die Frust über diese vergeblichen Mühen dürfte noch lange eine grosse seelische Last für Uttinger gewesen sein.

Die Befürworter wie die Gegner bildeten selbst nach dem 1898/99 vollzogenen Abriss der alten Kirche noch stark verhärtete Fronten, zwischen denen Pfarrer Uttinger zu vermitteln und schlichten hatte. Die Leitung der zahlreichen, über fünf Jahre hinweg abgehaltenen Sitzungen zum Bauprozess erwies sich stets als Spiessrutenlauf. Doch aus seinem unerschütterlichen Pflichtbewusstsein heraus schien Uttinger die nötige Kraft geschöpft zu haben, dieses Mammutwerk zu vollenden: Am 5. Oktober 1902 konnte die neue Kirche feierlich konsekriert und ihrer Bestimmung übergeben werden.

Uttinger jedoch war von all den Strapazen stark gezeichnet und geschwächt. Dies dürfte mit ein Grund gewesen sein, dass er kaum ein halbes Jahr später einen schweren Blutsturz erlitt. Von diesem Ereignis vermochte er sich nicht mehr richtig erholen. Im November 1904 gab er sein Amt als Stadtpfarrer ab. Franz Good (1865–1925) wurde als Nachfolger gewählt, der sich nun um die Ausstattung der neuen Kirche kümmern sollte.

Müde und stark geschwächt zog sich Franz Xaver Uttinger in die Kaiserpfründe bei der Liebfrauenkapelle zurück und befasste sich eingehend mit der Geschichte seiner Heimatstadt – das, was er in Jugendjahren bereits mit Leidenschaft gemacht hatte. Es sollte ein Aufenthalt von sehr kurzer Dauer sein: Franz Xaver Uttinger starb noch im selben Jahr – am Tag vor Heiligabend.

Genau, trefflich, hochgebildet

Über Wesen und Charakter des fleissigen Zuger Geistlichen sind mehrere Äusserungen von Zeitgenossen dokumentiert – und diese wollen auch zum Eindruck passen, welchen der in der Michaelskirche Porträtierte beim Betrachten vermittelt: Der überaus gebildete Uttinger soll ein Lehrer gewesen sein, der in der Ausführung seiner Funktion alles sehr genau nahm und mit grossem Ernst bei der Sache war. Genau deshalb soll er jedoch bei den Schülerinnen und Schülern eher unbeliebt, gar gefürchtet gewesen sein. Zugleich wird er als «trefflicher Erzieher und Seelsorger der Jugend» beschrieben – jedenfalls aus da­maliger Sicht.

Uttingers ungeheures Wissen, vor allem in Theologie und Philosophie, soll mit einem «ungewöhnlich scharfen Verstand» und einem sehr guten Gedächtnis einhergegangen sein. Einige geschichtliche Essays und Pub­likationen, die Uttinger abgefasst und hinterlassen hat, zeugen von seiner tiefen Kenntnis auch dieser Materie. (Text von Andreas Faessler)