«Für mich ist das Glas immer halb voll»

Musik

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Der Zuger Florin Simmen alias OG Florin rappt über sein ADS, depressive Verstimmungen, den Klimawandel, die Liebe. Ein Porträt.

  • Florin Simmen alias OG Florin «möchte es selber können, selber rausfinden, wie’s geht». Bild: zvg
    Florin Simmen alias OG Florin «möchte es selber können, selber rausfinden, wie’s geht». Bild: zvg

Zug – «Wie goht’s», OG Florin? Früher habe er geantwortet: «Ich schlage mich so durch.» Heute sagt er: «Es geht mir gut.» Es geht einem gut, wenn man produktiv ist.

Ziemlich genau drei Jahre nach «Träffpunkt» erschien im November sein drittes Album «ILY<3» («I love you»). Vor kurzem ist der Zuger Florin Simmen nach Zürich gezogen, um näher an der Musik zu sein und bei Menschen, die ihm dabei helfen. «Wenn du in Steinhausen am Abend zu Hause bist, bleibst du zu Hause», erklärt er.

Man trifft sich in der «Zentralwäsche» in Zürich, wo OG Florin mit Melodiesinfonie auch schon aufgetreten ist. Er redet gern über seine Musik, ist ganz da und zufrieden mit einem Glas Hahnenwasser von der Theke.

Immer noch Hip-Hop, zumindest von der Idee her

Im November 2021 war OG Florin unerwarteter Special Guest an einem Schweizer Hip-Hop-Event im Musikzentrum Sedel in Luzern. Darauf angesprochen, leuchten seine Augen. Das sei der Moment gewesen, meint er. Auf Anraten von Rapper-Kollege Weibello performte OG Florin «De Chlini Brüeder», den Titelsong seines Debütalbums. Ein Track, der ein bisschen «reinhaut». Das Publikum ging ab. Und in dem Moment habe er gemerkt, dass er immer noch Hip-Hop machen wolle. Aber ist «ILY<3», dieses an Stilen breit gefächerte Album, überhaupt noch Hip-Hop?

Für OG Florin ist es das, zumindest von der Idee her. «Für mich ist Hip-Hop ein Lebensgefühl und eine künstlerische Herangehensweise.» Er betont den DIY-Aspekt – do it yourself. «Um Musik zu machen, die die Leute berührt, braucht es kein grosses Label, kein grosses Budget und keine 1000 Beteiligten.» Die Songs kämen auf ihn zu, sagt Florin. In Form von Gedanken, Ideen, die er ins Handy tippt – er zeigt mir die lange Liste in der Notizen-App – oder zu Hause ins Büchlein kritzelt. Dann erst fange das Geknorze an, wenn es darum geht, den Textschnipseln eine Reimstruktur überzustülpen. Die Musik? Kein Problem.

Man spürt den Menschen dahinter

Bis 17 nahm Florin Simmen Gitarrenunterricht und hat an der Hochschule Luzern den Vorkurs besucht. Mit der Musiktheorie hatte er es nicht so. «Ich hätte mehr mitnehmen können», sagt er heute und schmunzelt. Er hat die Fachmaturität Soziale Arbeit im Sack, ein Praktikum in einer Behinderteninstitution, in der Kinderbetreuung (Mittagstisch) gemacht – und im Tonstudio Soundfarm von Marco Jencarelli in Kriens. An der Hochschule der Künste Bern wollte er Sound Arts studieren, landete aber, wohl wegen fehlender musiktheoretischer Kenntnisse, auf der Warteliste.

Aber eben, do it yourself. Der 25-Jährige spielt ziemlich gut Bass, ein bisschen Klavier – da will er jetzt mehr Zeit reinstecken – und hat diverse Perkussionsinstrumente bei sich zu Hause rumstehen. Die Drums sind gesampelt, sonst hat er alle Instrumente selber eingespielt. Einen Synthie hat er auch noch. Und für den Song «Elei» kam ein Vierspur-Kassettenrecorder zum Einsatz. Florin Simmen verfolgt einen kreativ-verspielten Ansatz. Das Ergebnis ist zwar nicht perfekt, aber löst etwas aus bei der Zuhörerin. Seine Musik ist interessant, stellt ungewohnte Verbindungen her und ist doch zugänglich. Man spürt den Menschen dahinter.

Und genau darum geht es OG Florin. Mit «I hear you, aber …» reagiert er normalerweise auf Vorschläge von aussen. Vielleicht sei er «echli stur». «Curiosity» – ihm fällt das deutsche Wort nicht ein, «zu viel im Internet» –, gesunde Neugier ist ihm lieber. «Ich möchte es selber können, selber rausfinden, wie’s geht.»

«Mega picky» mit Features

Dass er «mega picky» ist mit Features, passt dazu. Zwei finden sich dennoch auf dem Album. Das erste gehört dem Zürcher Rapper Luuk auf «DoOmsday» – Ehrensache, war es doch auf dessen letztem Album umgekehrt. Das zweite ist aus der Not heraus geboren. Diese hohe, weiblich klingende Stimme, die er für die Hookline brauchte, hat er selber einfach nicht hingekriegt. Dann hat er Melicious aus Basel gehört. Ihre Stimme auf «Hun» ist ein Glücksfall und der Track nach wie vor OG Florins Lieblingsstück – auch weil er viel Zeit in den Beat investiert hat.

Überhaupt hat Florin Simmen sehr lange an «ILY<3» gearbeitet, seine Gedanken und Stimmungen verarbeitet. Er geht offen um mit seinem ADS, mit depressiven Verstimmungen, rappt und singt über den Klimawandel und die Liebe. Er könne nur über das schreiben, was er selber erlebt habe oder in seinem nahen Umfeld passiere, sagt Florin. Aber als melancholisch oder gar traurig würde er seine Musik nie bezeichnen. «Es geht darum, wie ich selber mit etwas ‹cope›.» Wie er also selber mit etwas zurande kommt und es im künstlerischen Prozess loslassen kann. Das tut er auf nonchalant ehrliche, sympathische und unverwechselbare Weise und gönnt dem Zuhörer immer wieder einen Break. Eine Zeile, die einen schmunzeln lässt, ein verspielt-fröhliches Ausfasern in Reggae-Tönen … Dem Album wohnt eine gewisse Lockerheit inne.

«Nume d’Zuekunft isch für immer»

Die zwei Seiten seiner Musik nimmt man auch am Menschen Florin Simmen wahr. «Ich bin ein ziemlicher Einzelgänger», sagt er. «Andererseits habe ich Freude an den Menschen.» Ist er ein positiver Mensch? «Sehr fest! Für mich ist das Glas immer halb voll, auch wenn es nur noch zu einem Drittel gefüllt ist.»

Bald geht’s auf Tour. Mit Liveband versteht sich. «D’Hoffnig sterbt zletscht / Ond mängisch hoff ich / Sie vergessed mich / Doch nume d’Zuekunft isch für immer», singt OG Florin auf «Für Immer». Er versucht, mehr im Moment zu leben. Und doch, seine Zukunft sieht er ganz klar im Musikmachen. (Text von Regina Grüter)

Hinweis

OG Florin live: 6. 3. Mehrspur, Zürich; 20. 3. Palace, St.Gallen; 12. 4. Südpol, Luzern; 18. 4. Rössli, Bern.