Fantasie, Chaos, und Mutterwitz

Literatur & Gesellschaft

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Finn-Ole Heinrich kann viel, was Kinder in den Bann zieht: Geschichten erfinden, sie lebendig vortragen, Sprachwitze kreieren und Filme machen. Bei der Lesung aus seinem Buch «Frerk, du Zwerg» zeigt er all das.

  • Der Autor Finn-Ole Heinrich begeistert die Schülerinnen und Schüler im Dorfmatt bei seiner Lesung. (Bild: PD)
    Der Autor Finn-Ole Heinrich begeistert die Schülerinnen und Schüler im Dorfmatt bei seiner Lesung. (Bild: PD)

Baar – Die zehn- bis elfjährigen Viertklässler, sechzehn an der Zahl, sitzen in ihrem Klassenzimmer im Baarer Schulhaus Dorfmatt erwartungsvoll im Halbkreis, um den jungen Autor mit Spitzbart, der sie sofort für sich zu gewinnen weiss: «Kennt ihr selber Namenswitze? Mich zum Beispiel nannte man Finn-Ole-Pistole und später auch Heinrich-ist-peinlich.» Und schon fliegen die Finger in die Höhe. Der Autor Finn-Ole Heinrich stellt den Kindern bei dem Leseanlass, der im Rahmen der Leseförderung durchgeführt wird (siehe Box) kurz sein erstes, 2011 entstandenes Kinderbuch vor. Daraus wird er gleich vorlesen. Er fordert sie auf, jedes Mal, wenn er beim Lesen die Hand hebe, im Chor so laut wie möglich «Frerk, du Zwerg!» zu rufen.

Dann beginnt die Fantasie­reise zu dem kleinen Jungen, dessen Name friesisch ist und Friedrich bedeutet. Frerk ist nicht besonders stark, er hat einen wortkargen Vater und eine Mutter, die auf alles allergisch reagiert, was Spass macht: Ausflüge, Schokolade, Sommer, Himbeeren, Gäste. Deshalb träumt er – und zwar bunt und wild – von einem riesigen irischen Wolfshund, der sein Freund ist und ihn zu aufregenden Abenteuern mitnimmt. Die Kinder sind ganz Aug und Ohr. Denn Heinrich erzählt nicht einfach nur, sondern spielt mit Gestik, Mimik und Stimme, um die Figuren zu charakterisieren. Und zwischendurch steht er auf, geht im Halbkreis herum und zeigt die wunderschönen Zeichnungen der isländischen Künstlerin Ran Flygenring, welche das Buch illustriert hat.

Viele Fragen an den Autor

Dann liest er weiter, sprachgewandt, schnell, fabulierlustig, die Kinder wippen auf ihren Stühlen hin und her, folgen der Geschichte mit leuchtenden Augen und müssen immer wieder herzhaft lachen oder sich wundern, denn die Erzählung enthält beides – mutwilligen Quatsch und Denkfutter. «Frerk, du Zwerg» sei ein «Plädoyer für Anarchie, Mut und Selbstbewusstsein» schrieb die Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises, als sie das Buch im Jahr 2012 auszeichnete und Heinrich damit auf einen Schlag zu einem berühmten Kinderbuchautor machte.

Der 35-Jährige ist aber nicht nur das. Er schreibt seit seinem 17. Lebensjahr und verfasst ausserdem Bücher für Erwachsene, sein Romanerstling «Räuberhände» wurde dabei sogar zur Abiturpflicht an Hamburger Schulen. Auf die Frage «Wie heisst Ihr dickstes Buch?» erzählt er von seiner 600-seitigen Trilogie um das starke Mädchen Maulina. «Wie lange brauchen Sie für ein Buch?», will dann ein Schüler wissen, und Heinrich antwortet: «Das ist unterschiedlich, von drei Wochen bis zu drei Jahren.» Nach Tipps für das Schreiben befragt, nennt Heinrich: nicht allein sein, mit jemandem reden können; mit kleinen Geschichten anfangen; so kurz wie möglich bleiben; die Augen zumachen und sich die Erzählung visuell vorstellen. Am Schreiben interessiert ihn auch der Prozess des Recherchierens.

Eine gute «Stimmführung»

«Sie erhalten jetzt von den Schülern eine warme Dusche – Feedbacks!», verkündet am Ende des Leseanlasses die Klassenlehrerin Yvonne Odermatt, und die Kinder sagen ihm Dinge wie: «Ich fand Ihre Geschichte sehr spannend!», oder «Sie haben sehr gute Ideen!» und «Ich finde es toll, dass Sie Bücher schreiben!» Einer fügt noch hinzu: «Sie haben eine gute Stimmführung!» Das kleine Publikum und der Schriftsteller haben den Draht zueinander gefunden. (Dorotea Bitterli)

Lesen soll gefördert werden

Die Pädagogische Hochschule Zug organisiert jeweils im Frühling und Herbst drei Wochen lang Lesungen von Autorinnen und Autoren in Schulklassen der öffentlichen Primar- und Oberstufe. Lesekompetenz hat auch oder gerade im digitalen Zeitalter absolute Priorität, und die direkte Begegnung mit professionell Schreibenden gehört zu den wirksamsten Mitteln, bei den Kindern die Freude am Lesen und Schreiben zu wecken. In einem Zeitgefäss von rund 60 Minuten wird üblicherweise aus einem Kinder- oder Jugendbuch vorgelesen, von der eigenen Arbeitsweise erzählt, und es werden Fragen beantwortet. Dagmar Stärkle, auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisierte Bibliothekarin und Buchhändlerin, ist zuständig für die Durchführung der Lesungen. Weitere Informationen gibt es unter www.lesefoer­derung.phzg.ch. (db)