Mit diesem Engel hat niemand gerechnet

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Bei der Sanierung des Kolingevierts im Herzen der Stadt ist ein wertvolles Wandgemälde aufgetaucht. Und bald könnten noch weitere Geheimnisse gelüftet werden.

  • Dieses Bild mit dem Erzengel Gabriel ist in der Liegenschaft Kirchenstrasse 3 in der Stadt Zug freigelegt worden. (Bild PD)
    Dieses Bild mit dem Erzengel Gabriel ist in der Liegenschaft Kirchenstrasse 3 in der Stadt Zug freigelegt worden. (Bild PD)

Zug – Die Sanierung der historischen Häuser des Kolingevierts in der Stadt Zug hat schon die eine oder andere Überraschung gebracht. Sie erweist sich für die archäologische Bauforschung als ein wahrer Glücksfall.

Im vergangenen Herbst ist entdeckt worden, dass Bauteile der Häuser Kirchenstrasse 3, 5 und 7 aus den Jahren 1436/37 stammen (Ausgabe 1. Oktober 2016). Deren Bau ist im Nachgang an den Ufereinbruch im Jahre 1435 erfolgt, der die bewohnbare Fläche innerhalb der ersten Stadtzuger Mauer markant verkleinert hat. Es handelt sich um die ersten Reihenhäuser, die auf dem Grund der Stadt Zug erstellt worden sind.

Nun gibt es wieder einen Fund, mit dem weder die Bauherrschaft noch die Archäologen gerechnet haben. Im Haus Kirchenstrasse 3 ist eine Wandmalerei aus dem frühen 17. Jahrhundert ans Licht gebracht worden. Darauf ist der Erzengel Gabriel zu sehen, welcher in ein Jagdhorn bläst und damit drei Hunde durch einen Garten treibt. Sie tragen die lateinischen Namen «Fides», «Spes» und «Caritas». Die drei Vierbeiner verkörpern dabei die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Szene für sich alleine betrachtet, lässt den zufälligen Betrachter jedoch rätseln.

Die Sache mit dem fehlenden Einhorn

Anette JeanRichard dit Bressel, die Leiterin der Abteilung Bauforschung und Mittelalterarchäologie beim Amt für Denkmalpflege, hat das Bild für die Teilnehmer der Pressekonferenz von gestern Freitag mündlich fertig gemalt. Der Engel und die Hunde würden ein Einhorn der Jungfrau Maria in den Schoss treiben. Sinnbildlich dargestellt sind damit, so erzählt JeanRichard dit Bressel weiter, die Verkündigung und die Empfängnis Christi. Denn das Einhorn, so die Legende, lässt sich nur von der reinen Jungfrau empfangen. Womöglich ist der noch fehlende Bildteil in der jetzt weissen Schicht verborgen. Das Symbolbild für sich, so erklärt die Archäologin weiter, sei oft gemalt worden. So zeigt sie eine in der Burg Zug vorhandene Wappenscheibe, auf der dieselbe Geschichte erzählt wird. Was das hochqualitative, in Grau, Schwarz und Weiss gehaltene Fresko einzigartig mache, sei der Umstand, dass es erst im 17. Jahrhundert auf die Wand gemalt worden sei. Im 15. und 16. Jahrhundert sind solche Darstellungen häufig anzutreffen. Dann muss diese spezielle Symbolik wohl der Bannstrahl der katholischen Kirche getroffen haben. «Ab dem 17. Jahrhundert war der Einsatz von Fabelwesen im religiösen Zusammenhang verpönt», sagt Anette JeanRichard dit Bressel.

Verrät ein verborgenes Wappen den Besitzer?

Auf dem gleichen Stock haben die Archäologen ein weiteres Wandbild bereits in kleinen Teilen freigelegt. Sichtbar ist eine Helmzier. Anette JeanRichard dit Bressel hofft, dass bei den weiteren Arbeiten das ganze Wappen freigelegt werden kann. «Es könnte uns vielleicht helfen, den damaligen Besitzer des Hauses zu eruieren.» Auf dem Schrank, der vor dem Einhornbild platziert war, haben Bauarbeiter im Weiteren handgeschriebene Unterlagen eines Zuger Landammanns aus dem frühen 18. Jahrhundert gefunden. Die wertvollen Handschriften sind bereits in die Obhut des Staatsarchivs gebracht worden, wie JeanRichard dit Bressel erklärt.

Bei der genauen Betrachtung der Wände haben die Fachleute weitere Gegenstände der früheren Bewohner gefunden. Es handelt sich um Einritzungen von Pentagrammen oder aber flämmchenförmige Brandspuren. Laut Anette JeanRichard dit Bressel haben die Bewohner solche Dinge gemacht, um Unheil von sich abzuwenden. In den Zwischenböden sind zudem weitere Gegenstände wie Münzen, allerlei Metallteile und ein Teil einer Spielkarte aufgetaucht. Diese Restposten aus früherer Zeit haben hingegen keinen religiösen Hintergrund. Sie sind den Menschen, die in diesen Wänden lebten, entglitten und so verloren gegangen. Und womöglich gibt es noch weitere Funde zu vermelden, wenn das Haus Kolinplatz 19 genau angeschaut wird. «Es wird spannend. Weitere Überraschungen sind nicht ausgeschlossen», sagt Anette JeanRichard dit Bressel hoffnungsfroh.

Zeitplan kann nicht eingehalten werden

Da aber aus den derzeit genau untersuchten Häusern kein Museum wird, stellt sich die Frage, wie mit all den Zeugnissen der Vergangenheit verfahren werden soll. «Wir wollen möglichst alles erhalten», sagt Paul Knüsel, Leiter Hochbau beim Baudepartement der Stadt Zug, in deren Eigentum sich die Gebäude befinden. Er kann sich vorstellen, dass zum Beispiel das Bild mit dem Erzengel Gabriel mit Glas geschützt erhalten werden soll und so zu bestimmten Tagen der breiten Öffentlichkeit gezeigt werden könnte. Doch dies, so Knüsel, sei nur ein Denkansatz. Um den historischen Wert der Liegenschaft wissend, muss Knüsel auch dafür sorgen, dass der vom Volk für die Sanierung und den Neubau auf diesem Gebiet gesprochene Kredit in der Höhe von rund 12 Millionen Franken trotz des Mehraufwandes ausreicht. «Wir können alles finanziell stemmen. Einzig der Zeitplan kann nicht eingehalten werden», sagt Knüsel.

Herausforderungen für die Bauherrschaft

Dabei steht jedoch die Bauherrschaft vor einigen Herausforderungen. So muss bestehendes Gebälk mit der heutigen Technik so verbunden werden, dass die statischen und bauphysikalischen Anforderungen erfüllt werden. Auch in Bezug auf den Brand- und Erdbebenschutz genügen die Häuser dereinst heutigen Erfordernissen. (Marco Morosoli)