Neubetrachtung eines Universalgenies

Kunst & Baukultur

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Er war Architekt, Bühnenbildner, Ausstellungsmacher – und bildender Künstler. Als Letzteres ist Friedrich Kiesler der Welt bisher kaum bekannt. Das Kunsthaus Zug widmet dem Multitalent eine grosse Einzelausstellung und leistet damit beachtliche Pionierarbeit.

  • Grosses Ausstellungmodell für Peggy Guggenheim. Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)
    Grosses Ausstellungmodell für Peggy Guggenheim. Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)
  • Der Bogen aus «Muschelschalen» ist eine weitere Monumentalplastik. Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)
    Der Bogen aus «Muschelschalen» ist eine weitere Monumentalplastik. Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)
  • Erstmals öffentlich zu sehen - der tote «Bucephalus». Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)
    Erstmals öffentlich zu sehen - der tote «Bucephalus». Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21.12.2023)

Zug – Der kunstaffine Mensch tendiert dazu, einen Namen mit einer bestimmten Disziplin in Verbindung zu bringen. Daran glaubt er, den Wiedererkennungswert festzumachen. Künstlerinnen und Künstler teilen sich das «Los», schubladisiert zu werden. Einige von ihnen haben sich jedoch nie in ein Korsett schnüren lassen, sich dauernd neu erfunden, frei die Disziplinen gewechselt oder miteinander verbunden.

Unter ihnen eine der herausragendsten Figuren des 20. Jahrhunderts war Friedrich Kiesler (1890–1965). Der austro-amerikanische Künstler wird als Universalgenie gehandelt, wobei er vorderhand als Architekt, Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter wahrgenommen wird. Bisher am wenigsten rezipiert ist er als bildender Künstler. Doch ist sich die Fachwelt weitgehend einig: Friedrich Kieslers künstlerische Ansätze und Konzepte, unter anderem basierend auf seiner Theorie des Correalismus als Grundlagenforschung zum Entwurf in Architektur und Design, gehören zu den grossen Visionen des 20. Jahrhunderts und haben nichts an Aktualität verloren.

Weltpremiere in Zug

Dem Kunsthaus Zug ist nach jahrelanger Vorbereitungsarbeit und einem enormen logistischen und finanziellen Aufwand ein wahrer Kiesler-Coup gelungen: Die von mehreren namhaften Sponsoren grosszügig unterstützte Ausstellung «Us, You, Me» findet in zwei Teilen statt und stellt das künstlerische Werk des Visionärs in einer Gesamtheit in den Fokus, wie es bisher noch kein Museum fertiggebracht hat. Mit Leihgaben aus Wien, Deutschland und den USA wird der Künstler zum ersten Mal als solcher greifbar.

Mehrere der teils riesenhaften Plastiken und Skulpturen sind in Zug nach Jahrzehnten überhaupt erstmals öffentlich zu sehen. Werke wie der Muschelschalen-Halbbogen aus Bronze und Aluminium oder der ebenso grosse «zerstückelte» Michelangelo-David, waren in Kisten eingelagert. Auch seine «Galaxien» – Werkgruppen aus mehrteiligen Elementen mit genauer Anordnungsvorgabe – sind nie zuvor in einer vergleichbaren Gesamtheit präsentiert worden. Im Falle von mehreren Kunstwerken musste erst einmal eruiert werden, wie sie überhaupt aufzubauen sind. In Sachen Dimensionen ist «Bucephalus» der schiere Höhepunkt der Ausstellung. Das geschätzt acht Meter lange tote Pferd Alexanders des Grossen ist in den Verwesungsstatus übergegangen, aus Aluminium, begehbar und füllt einen ganzen Ausstellungsraum. Einzelne Neuentdeckungen – jede für sich eine kleine Sensation – ergänzen die Gesamtschau.

Kuratiert wird die Ausstellung von Kunsthausdirektor Matthias Haldemann, Gerd Zillner von der Österreichischen Friedrich und Lilian Kiesler-Privatstiftung und Stephanie Buhmann von The Estate of Frederick Kiesler in New York. Mit dieser Ausstellung soll die Wahrnehmung Kieslers erweitert werden.

Das von unterschiedlichen Strömungen und transdisziplinärem Schaffen beeinflusste malerische und skulpturale Œuvre Kieslers hatte seine Anfänge in den späten 1940er-Jahren, als er sich unter anderem mit seinen visionären Gestaltungsideen für theatralische Gesamtkunstwerke und Ausstellungslösungen international einen Namen gemacht hatte. Aus dem Design von Bühnenrequisiten heraus entwickelte er weiterreichende künstlerische Konzepte, wie das «Endless Home» oder die bereits erwähnten Galaxien. Kiesler suchte in seinem Schaffen die Überwindung von konventionellen Rahmen und Genres, bezog das unmittelbare Umfeld und vor allem den Menschen in sein Werk mit ein. Er war damit ein Wegbereiter der so genannten Environment-Kunst.

Einer von Kieslers Antriebsfaktoren war sein unermüdliches Netzwerken. Er war mit den grossen Künstlerinnen und Künstlern von der Wiener Moderne über die Avantgarde bis zur amerikanischen Pop Art bekannt und befreundet, suchte den steten Austausch und die Interaktion. So gehört auch ein riesenhaftes Porträt von Marcel Duchamp aus der Hand Kieslers zu den herausragenden Exponaten in Zug – eine exklusive Leihgabe vom Philadelphia Museum of Art.

Vielseitiges Rahmenprogramm

Die Kuratoren Buhmann, Zillner und Haldemann sind überzeugt, mit diesem gelungenen Grossprojekt eines der prägendsten Universalgenies des 20. Jahrhunderts in eine neues respektive erweitertes Licht zu rücken. So geht die Ausstellung mit einem reichen Rahmenprogramm einher, zudem wird ein umfassender Ausstellungskatalog über das bildnerische Werk Kieslers erscheinen, der erstmals die bislang wenig beachtete Aspekte in dessen Schaffen beleuchtet und weltweit vertrieben wird. (Text von Andreas Faessler)

 

Hinweis

«Us, You Me», 1. Teil der Ausstellung im Kunsthaus Zug bis 26. Mai. Details dazu und zum Rahmenprogramm auf der Website (www.kunsthauszug.ch). Der 2. Teil der Ausstellung startet am 9. Juni und stellt den Werkdialog mit Zeitgenossen in den Fokus.